Der Weg ins Hauptquartier von B. Braun führt durch einen Mischwald. Und dann in eine ehemalige Klinik – am Rande einer mittelalterlichen Kleinstadt. In der Ruhe liegt hier die Kraft. Und manche Entscheidung fällt im Park. Denn Mutter Natur ist gut für die Gesundheit und gut fürs Geschäft.
Nicht umsonst pflanzte der US-Konzern Apple unlängst 9.000 Bäume vor seinem neuen Headquarter in Cupertino und löste damit ganz nebenbei einen Versorgungsengpass bei kalifornischen Baumschulen aus. „Dieses Problem haben wir hier nicht“, sagt Klaus-Dieter Pannes, Senior Vice President Operational Excellence bei B. Braun Melsungen, und schaut aus einem Panoramafenster. Der Blick geht über grüne Hügel und Täler. Bäume ohne Ende. Inmitten eines riesigen Waldparks hat das nordhessische Medizintechnik-Unternehmen in den schlossartigen Mauern einer ehemaligen Lungenheilanstalt eine ungewöhnliche Konzernzentrale geschaffen. Stahlbeton und Hochhausflair? Fehlanzeige.
In der Empfangshalle schraubt sich eine helixförmige Treppe über vier Etagen in die Höhe. Wo sich früher Patientenzimmer und Behandlungsräume aneinanderreihten, erstrecken sich nun mit viel Glas und edlen Hölzern gestaltete Großraumbüros, dazwischen Lounge-Areale in den Unternehmensfarben Grün und Lila, Meetingräume mit Polsterwürfeln und kleinen Tribünen, aber auch Ruhezonen für konzentrierte Stunden vor dem Rechner. Die Mitarbeiter entscheiden selbst, welches Arbeitsumfeld für die aktuellen Auf gaben ihnen gerade am geeignetsten erscheint. Und sei es die lauschige Sonnenterrasse vor der Kantine. „Natürlich wollen wir angesichts eines zunehmenden Wettbewerbs um die Talente einen attraktiven Ort schaffen, wo Mitarbeiter sich wohlfühlen“, sagt Pannes. „Vor allem aber wollen wir Strukturen schaffen, die den Menschen gerecht werden. Die ihnen helfen, optimal ihre Arbeit zu verrichten.“
Die spektakuläre Innenarchitektur der vor einigen Monaten eröffneten Zentrale signalisiert jedem Besucher, dass hier über viele Dinge neu nachgedacht wird. Tatsächlich ist das von Porsche Consulting beratene Unternehmen als moderner Arbeitgeber beim Thema New Work ganz weit vorn. Lange bevor es andernorts schick wurde, führte B. Braun Anfang der Neunzigerjahre innovative Elemente wie zum Beispiel flexible Büroarbeitsplätze ein. Heute haben agile Arbeitsformen und Design-Thinking-Ansätze Einzug in das Unternehmen gehalten.
Andere Maßnahmen, die von B. Braun ausprobiert werden, erscheinen auf den ersten Blick weniger spektakulär und sind dennoch äußerst effektiv. Beispiel Meetings: „Werk E“, Raum „Dallas“. Jürgen Stihl, Group Senior Vice President des Bereichs für intravenöse Systeme, hat hier schon viele Stunden seines Arbeitslebens verbracht. Zwei Mal im Monat findet in diesem Raum die große Abteilungsleiterkonferenz statt. Sie dauert einen ganzen Vormittag und lief noch vor Kurzem so ähnlich ab wie Besprechungen auf der ganzen Welt: Ein Kollege spricht und präsentiert per PowerPoint. Die übrigen Anwesenden verschwinden derweil hinter ihren auf geklappten Laptops. „Ich nehme mich da nicht aus“, gesteht Stihl. Zu viele und zu lange Meetings werden in vielen Studien als eine Hauptursache für Unzufriedenheit im Job und Ressourcenverschwendung angeführt.
Ganz anders läuft die große Konferenz in Stihls Bereich heute ab. Die Teilnehmer drängen sich um Pinnwände voll bunter Moderationskarten, diskutieren, schauen sich in die Augen, hören einander zu. Wo früher Routine und Langeweile herrschten, ist jetzt Energie und Dynamik zu spüren. Was hat diese Veränderung bewirkt? „Im Grunde ganz einfache Maßnahmen. So simpel“, berichtet Stihl mit einem leisen Lächeln, „dass es deshalb Zweifel gab, ob sie wirklich funktionieren können.“ Denn statt wieder einmal neue Meetingregeln und noch modernere Konferenztechnik aufzustellen, wurde abgeschafft: Stühle raus, Tische raus, Beamer aus. Stattdessen Stehtische, ringsum Pinnwände und eine große Stoppuhr rein. Die neuen Rahmenbedingungen führten dazu, dass sich niemand mehr hinter seinem Notebook verstecken kann, PowerPoint-Präsentationen haben sich von 80 Folien auf acht ausgedruckte Seiten reduziert und Projektvorträge sind nach spätestens 20 Minuten beendet. Der Erfolg ist messbar. „Die Meetingdauer hat sich um 50 Prozent reduziert“, berichtet Stihl, und durch die Fokussierung aufs Wesentliche sinke das Risiko, dass wichtige Informationen untergingen. „Die Vortragenden überlegen sich nun vor dem Meeting intensiver, welche Informationen wirklich relevant sind. Sie übernehmen mehr Verantwortung.“
Was so einfach klingt, hat tatsächlich einen wissenschaftlich erwiesenen Hintergrund. Der Ökonom Richard Thaler erhielt den Wirtschaftsnobelpreis für seine Studien, wonach sich das Verhalten von Menschen am Arbeitsplatz durch Stupser – er spricht von „Nudges“ – steuern lässt, zum Beispiel durch Veränderungen der Innenarchitektur. „Dieser verhaltenswissenschaftlich fundierte Managementansatz führt zu ganz pragmatischen Lösungen“, erklärt Dr. Wolfgang Freibichler, Partner bei Porsche Consulting. „Weil sie sich oft schon mit geringem finanziellen Aufwand realisieren lassen, sind sie in großen wie in kleineren Unternehmen schnell umzusetzen.“
So gibt es den wohl schönsten Konferenzraum von B. Braun praktisch kostenlos: Wer in Melsungen eine Besprechung plant, kann über das Computersystem nicht nur Meetingräume wie „Dallas“ oder „Deutschland“ reservieren, sondern auch ein „Walking-Meeting“ unter freiem Himmel einstellen. Verschiedene vordefinierte Routen von unterschiedlicher Gehdauer stehen zur Auswahl. Die Teilnehmer – bewährt hat sich eine Zahl von zwei bis drei Personen – laufen dann diskutierend 30 oder 60 Minuten durch den Park oder um einen kleinen See. „Walking-Meetings sind gerade bei schwierigen oder kontroversen Themen sehr hilfreich“, erzählt Klaus-Dieter Pannes von seinen Erfahrungen mit den dienstlichen Spaziergängen. Es entspreche der menschlichen Natur, in schwierigen Situationen aufzuspringen und auf und ab zu gehen, anstatt ruhig sitzen zu bleiben. Die bessere Durchblutung des Gehirns und der Perspektivwechsel tragen zur Problemlösung bei. „Außerdem ist man gezwungen, den Weg auch zusammen zurückzugehen.“
Tradition seit 1839
Die Firmengeschichte von B. Braun beginnt am 23. Juni 1839 mit dem Kauf der Rosen-Apotheke im hessischen Melsungen durch Julius Wilhelm Braun. Der 31-Jährige weitet bald sein Geschäftsfeld aus, zunächst mit einem Versandhandel für Heilkräuter. Sohn Bernhard beginnt mit der Produktion von Pflastern und Migränestiften, woraus 1867 ein eigenständiges Unternehmen entsteht, das unter seinem Namen B. Braun ins Handelsregister eingetragen wird. Seither wurde das Familienunternehmen über die Generationen hinweg erweitert und zählt heute zu den weltweit führenden Pharma- und Medizintechnikherstellern mit Fertigungsstätten rund um den Erdball. Dabei brachte das Unter nehmen zahlreiche Innovationen hervor, die von Ärzten auf der ganzen Welt verwendet werden. Ein bekanntes Beispiel ist die nach dem Hersteller benannte Braunüle, eine Venenverweilkanüle zur Verabreichung von Infusionen. 1971 wurde B. Braun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und befindet sich auch heute weiterhin in Familienhand. Das Geschäft der B. Braun Melsungen AG gliedert sich in die vier Sparten Hospital Care, Aesculap (chirurgische Instrumente), Out Patient Market (ambulante Versorgung) und B. Braun Avitum (Blutbehandlung). Das Unternehmen beschäftigt derzeit weltweit rund 62.000 Menschen, setzte im vergangenen Jahr 6,8 Milliarden Euro um und wächst weiter.
Info
Foto: Porsche Consulting GmbH