Weniger ist mehr

Mit der Digitalisierung rückt der Kunde noch stärker als zuvor in den Mittelpunkt. Dabei ist es das Ziel, ihn mit auf eine Reise namens Produkterlebnis zu nehmen – und nicht immer alles umzusetzen, was technisch möglich ist. Wie das gelingen kann, erkunden bei Porsche sogenannte UX/UI-Experten.

Der Kunde, das unbekannte Wesen? Vielleicht sollte man ihn besser als herausforderndes Wesen bezeichnen, vor allem wenn es darum geht, technische Geräte für ihn zu konzipieren oder Software für seine Bedürfnisse zu programmieren. Das liegt natürlich daran, dass es „den einen“ Kunden nicht gibt, sondern viele Individuen mit ihren ganz speziellen Interessen. Und die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (User Interface, oder kurz: UI) ist eine Herausforderung an sich. Hier die rationale Technik, dort die „Launen des menschlichen Denkens“, wie es der Psychologe Donald Norman 1988 in seinem Buch „The Psychology of Everyday Things“ ausdrückte.

Er diagnostizierte: „Wir klammern uns immer noch an die Vorstellung, dass das menschliche Denken rational, logisch und wohlgeordnet sein sollte.“ Das Gegenteil sei aber der Fall. Denken, Problemlösen und Planen scheinen mehr in den Erfahrungen der Vergangenheit als in der Logik verwurzelt zu sein. Der Mensch hüpft und springt von Idee zu Idee, bringt Dinge zusammen, die nicht zusammengehören, macht kreative Sprünge, findet neue Einsichten und Konzepte.

Das gilt auch 30 Jahre später noch. Mit dem Unterschied, dass in der Zwischenzeit Norman selbst den Begriff der User Experience, kurz UX, prägte. Das war Mitte der 1990er, als er bei Apple die Abteilung Advanced Technology leitete. Anstelle der reinen Benutzbarkeit von Technik stellte er die ganzheitliche Erfahrung der Anwender beim Umgang mit Technik in den Mittelpunkt. Was das in der Praxis bedeutet, weiß spätestens seit der Einführung des iPhones und seiner intuitiven Gestensteuerung jedes Kind.

User-Experience-Konzept

Normans UX-Konzept hat mit der fortschreitenden Digitalisierung Karriere gemacht und findet Eingang in immer mehr Lebensbereiche. Auch bei Porsche. „Wir betreiben keine Digitalisierung um jeden Preis und nicht zum Selbstzweck“, bringt es Vorstandsvorsitzender Oliver Blume auf den Punkt. „Wir digitalisieren nur das, woraus unsere Kunden einen Nutzen ziehen. Und auch nur, wenn sie das wollen.“

Was aber wollen die Kunden? Durch deren Augen schauen, damit die künftigen Entwicklungen und Features den Nerv der Zeit treffen – genau diese Aufgabe übernehmen bei Porsche UX/UI-Experten in unterschiedlichen Bereichen, vor allem wenn es um digitale Themen geht.

So auch bei der Abteilung UI/UX Anzeige und Bedienung. „Wir nehmen die Vorschläge und Wünsche auf, die von Kunden an unseren Vertrieb und dann weiter zu den Kollegen aus der Entwicklung getragen werden“, erläutert Leiter Lutz Krauß den ersten Schritt auf dem Weg hin zu perfekt auf den Kunden abgestimmten Benutzerschnittstellen (UI). Erstklassige UI sind entscheidend für eine User Experience (UX), wie sie Porsche seinen Kunden bieten möchte: einfach, schnell und emotional. Der Anspruch lautet auch in einer digitalisierten Welt: Technik und Faszination sollen in Produkte übersetzt werden, die einfach und schnell zu bedienen sind.

Lutz Krauß, Leiter UI/UX Anzeige und Bedienung, 2019, Porsche AG Lutz Krauß: „Wir nehmen die Wünsche der Kunden auf"


„Die Sinnhaftigkeit einer User Experience wird bei Porsche immer wichtiger“, weist Krauß auf einen Trend zur digitalen Klarheit hin. „In vielen Fällen, beispielsweise bei der Struktur von Bedienmenüs, gilt bei uns heute oft: weniger ist mehr.“ Ein aktuelles Beispiel dafür sei die Bedienung der Klimaautomatik für künftige Modelle. Sie kommt erstmals komplett ohne für den Kunden sichtbare Mechanik aus. Alles wird über ein berührungsempfindliches Display gelöst. „Für die Regelung des Luftstroms gibt es künftig zwei Voreinstellungen: fokussiert für eine schnelle Kühlung und diffus für ein angenehmes Klima auf längeren Fahrten“, erläutert Erik Kögler.

Mit diesen beiden Szenarien komme die UI den häufigsten Kundenbedürfnissen entgegen. Eine Anpassung vieler einzelner Einstellungen je nach Situation ist nicht mehr nötig. In besonderen Fällen können Kunden auch weiterhin eine präzise Detailregelung vornehmen. Dazu lässt sich im Individual-Modus eine Luftstrom-Einstellung auswählen, die den ganz persönlichen Wünschen entspricht. Die Verständlichkeit für den Kunden behalten die UX/UI-Experten dabei immer im Blick. Der Fokus liegt darauf, vom technisch Möglichen zum Optimalen für den Kunden zu kommen. Das Kundenbedürfnis sei der entscheidende Gradmesser, wenn es um die Entwicklung neuer Funktionen gehe. „Häufig übernehmen wir auch eine Art Vermittlerrolle zwischen den unterschiedlichen Anforderungen aus den verschiedenen Abteilungen“, ergänzt Erik Kögler. Ohnehin arbeitet das Team stets eng mit den UX-Spezialisten aus Design und Technik zusammen.

 „Mit einem Simulator, der das Cockpit der nächsten Macan-Generation darstellt, erhoffen wir uns neue Erkenntnisse – wenn die Kunden die künftige Technik zum ersten Mal bedienen“, verrät Lutz Krauß. „Während sie verschiedene Aufgaben an den neuen UI durchführen, sitzen wir mit den Kollegen aus der Entwicklung in einem Nachbarraum und können alles über ein Kamerabild beobachten. Wenn dann fünf Kunden hintereinander einen virtuellen Schalter nicht finden oder eine Funktion nicht verstehen, liegt es ja auf der Hand, dass wir da nochmal ranmüssen.“

UX/UI Team, 2019, Porsche AG
Die Arbeit des UX/UI-Teams geht weit über das eigentliche Fahrzeug hinaus


Die Arbeit des UX/UI-Teams geht bereits heute weit über das eigentliche Fahrzeug hinaus. Die für den Taycan und künftige PHEV-Fahrzeuge entwickelte Ladekabel-Box (Mobile Charger Connect) ziert eine eigene Bedienoberfläche, deren grafische Darstellung der gewohnten Darstellung im Fahrzeug entspricht. „Die Bedienlogik haben wir so realisiert, dass sie für den Kunden möglichst schnell verständlich ist und über verschiedene Touchpoints gleich dargestellt wird“, erklärt Sigrid Engel, die sich bei EEC4 mit ihren Kollegen um ein einheitliches Erscheinungsbild aller Lade-Schnittstellen kümmert.

Ein weiteres Thema außerhalb der eigentlichen Fahrzeugentwicklung ist die elektronische Wagenbegleitkarte (eWBK), die in der Fertigung zum Einsatz kommt. Informationen, die früher in Papierform an den Fahrzeugen angebracht waren, stehen in Form der eWBK heute digital zur Verfügung. Darin enthalten sind Arbeits- und Prüfschritte für die Werker. Als zentrales Tool für Prozessautomatisierung, Diagnose und Dokumentation wird die eWBK stetig optimiert. Den nutzerzentrierten Gestaltungsprozess unterstützen die UX/UI-Experten von EEC4.

Kollaboratives Fahren

Mitunter reicht der Blick noch weiter als bis zur nächsten Generation einer Baureihe. In Zusammenarbeit mit dem Volkswagen Electronics Research Laboratory (ERL) im kalifornischen Belmont forscht das UX/UI Team an der Innenraumgestaltung von teil- und vollautomatisierten Fahrzeugen. „Bei einer Testfahrt mit einem teilautomatisierten Auto ist die Idee des kollaborativen Fahrens entstanden“, berichtet Krauß. „Es kann nämlich zu Situationen kommen, in denen der Mensch der selbsttätig fahrenden Maschine einen Impuls geben möchte – obwohl er nicht ins Lenkrad greifen kann, damit der autonome Fahrmodus nicht verlassen wird.“

Für einen solchen Fall könnte ein kurzes „Jetzt überholen!“ per Spracheingabe oder ein neuartiges Eingabegerät in der Form eines Handschmeichlers eine Möglichkeit sein, den Computer mit einem eindeutigen Impuls temporär zu überstimmen. Entsprechend positiv blickt Krauß voraus: „Es wird also auch in einer Welt voller automatisierter Fahrzeuge noch genug Arbeit für uns geben.“

Weitere Artikel