Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Revolution auf dem Geldmarkt auch in Deutschland zum Geldautomaten wurde. Nachdem das Kammergericht Berlin Ende September 2018 geurteilt hatte, dass Bitcoin kein Finanzinstrument sei und daher auch privat gehandelt werden dürfe, hat ein Münchener Unternehmer nicht lange gezögert und Ende Oktober einen Bitcoin- Automaten aufgestellt. Damit kann man reales Geld gegen Bitcoins tauschen, wie es auf dem Amsterdamer Flughafen Shiphol bereits Praxis ist. Dort können Reisende ihre überzähligen Euro und Cent auf diese Weise bequem umtauschen.
Dass jetzt allerdings überall in Deutschland Bitcoin-Automaten aufgestellt werden, ist weniger zu erwarten. Erstens hat der große Hype von Ende 2017 mit dem Kursabsturz dieses Jahr einen heftigen Dämpfer erlitten. Und die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin zeigt sich zudem von dem Berliner Urteil unbeeindruckt, spricht von einer Einzelfallentscheidung im Strafrecht und pocht nach wie vor auf ihren Erlaubnisvorbehalt. Dass der Münchener Automat ausgerechnet in einer Spielhalle aufgestellt wurde, dürfte die Bereitschaft von seriösen Geschäftsleuten, auf Bitcoins zu setzen, nicht unbedingt steigern.
Trotzdem: Mit der Kryptowährung ist ein Instrument in die Welt gekommen, das die Gesellschaft nachhaltig verändern dürfte. Das Angebot an Dienstleistungen und Produkten, die auf dem Bitcoin basieren, hat im Laufe dieses Jahres stark zugenommen. Nicht nur von Start-ups. So lassen sich in der Schweiz an den Fahrkartenautomaten der Schweizerischen Bundesbahn (SBB) Bitcoins erwerben. Die SBB wirbt damit, dass auf diese Weise an mehr als 10 000 Akzeptanzstellen weltweit ohne Kreditkarte oder Bankverbindung bezahlt werden kann. Und der Bitcoin ist hier nur der öffentlichkeitswirksame Teil. Denn entscheidend ist die Technologie, die ihm zugrunde liegt: die Blockchain. Als Technologie hat Blockchain bereits in die unterschiedlichsten Wirtschaftsmilieus Einzug gehalten. Das Magazin „Wired“ veröffentlichte im Mai eine Liste mit 187 Problemen, die mit dieser Technologie gelöst werden können, darunter die Wasserversorgung, das Rentensystem, der Schutz von Gesundheitsdaten – aber auch Themen wie Krebs oder Wirtschaftskrisen.
Fälschungssicher und nicht manipulierbar
Die Technologie in den Dienst komplexer gesellschaftlicher Kontexte zu stellen, ist auch im Volkswagen Konzern ein Thema. Zusammen mit dem Online-Bekleidungshändler Zalando richtete er einen Hackathon aus, bei dem innovative Ideen für mehr Transparenz in der Lieferkette gesucht wurden – zum Beispiel für ein smartes Tracking- System für Rohstoffe, das jedes Objekt über die gesamte Lieferkette hinweg mitverfolgt und dem digitalen System meldet. „Transparenz in der Lieferkette ist sowohl bei Zalando SE in Bezug auf die Modeindustrie ein Brennpunktthema als auch bei uns im Konzern, mit dem wir uns in einer Sondereinheit zu Beschaffung und Nachhaltigkeit in der Lieferkette beschäftigen“, erklärte Lena Schorsch, Corporate Citizenship bei der Volkswagen Group.
Im Auto selbst soll die Blockchain-Technologie bei ganz alltäglichen Dingen helfen. Dabei reichen die Möglichkeiten von der Ver- und Entriegelung des Fahrzeugs über zeitlich befristete Zugangsberechtigungen, die der Besitzer erteilen kann, bis zur Verbesserung autonomer Fahrfunktionen. Alles fälschungssicher und nicht manipulierbar. Auch Bezahlvorgänge lassen sich mit Blockchain-Technologie sicher abwickeln: Parktickets, Mautgebühren oder die Stromrechnung nach dem Laden eines Elektroautos.
Im Bereich der Parkgebühren hat Matthias Falkenberg mit seinen Kollegen Tiziana Vicino und Matthias Hub und Quantoz, einem niederländischen Spezialisten für Blockchain-Technologie, einen Prototypen gebaut. Ihr Netzwerk, das sie entworfen haben, basiert auf der Blockchain-Technologie. Porsche übernimmt dabei die Rolle des sogenannten Gateway – englisch für „Einfahrt“. Das heißt: Der Sportwagenhersteller öffnet die virtuelle Fahrzeugtür für Dienstleister wie zum Beispiel die evopark GmbH, die über die Porsche Plattform ihre Dienstleistung anbieten. In diesem Fall die unkomplizierte Abrechnung von Parkgebühren. Auf der anderen Seite des Tors steht der Kunde, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt. Das funktioniert wie folgt: Der Porsche- Kunde fährt mit seinem Fahrzeug in ein Parkhaus und gibt sich an der Einfahrt mit einer RFID-Karte zu erkennen. Diese übermittelt mithilfe elektromagnetischer Wellen (Radio Frequency Identification) die notwendigen Daten zur Identifikation an das Parkhaus-Terminal. Beim Ausfahren wird erneut die ID übermittelt und die Parkgebühr via Blockchain-Wallet – eine virtuelle Geldbörse – abgerechnet: Dazu wird im Blockchain-Wallet des Kunden ein Daten-Block generiert, um die Transaktion zu dokumentieren. Der Gang zum Parkscheinautomaten entfällt, ebenso die Suche nach passendem Kleingeld.
„In diesem Fall ist das Parkhaus der Sender und der Kunde der Empfänger von einer Art Schuldschein, der den Betrag und die Währung umfasst. Im Blockchain-Netzwerk heißen diese Transaktionen ,You Owe Me‘. Diese UOMs oder ‚Sie schulden uns‘ werden am Ende des Abrechnungszeit-raums von Porsche eingesammelt und an den Provider zurückgeschickt“, erklärt Falkenberg das Prinzip. „Dadurch entstehen in der Blockchain neue Datenblöcke, deren geldwerte Entsprechung ein Zahlungsdienstleister, den wir ausgewählt haben, vom Kundenkonto abbucht.“ Der abgebuchte Betrag für die Parktickets wird dann im Anschluss an den Parkhausbetreiber durch Porsche überwiesen. „Der Vorteil ist, dass wir unseren Kunden Dienste anbieten können, ohne dass sich jeder von ihnen vorher dafür gezielt anmelden muss“, sagt Falkenberg. Die konkreten Kundendaten sind nur Porsche bekannt – dennoch erlaubt es die Blockchain den Kunden, auch Services anderer Anbieter in Anspruch zu nehmen und dann über Porsche zu bezahlen. Ein weiterer großer Vorteil der Blockchain liegt darin, dass für solche „Micropayments“ (also Zahlungen geringer Einzelbeträge) keine Trans-aktionsgebühren anfallen, weil dank der dokumentierten Datenblocks keine Mittelsleute oder zwischengeschaltete Dienstleister beteiligt werden müssen.
Das Blockchain-gestützte Parken hat den Status eines „Proof of Concept“ – die Ingenieure haben anhand eines konkreten und vor allem praxisrelevanten Szenarios bewiesen, dass die Technik funktioniert. Aus den Tests lassen sich wichtige Erkenntnisse gewinnen: So waren sich die Programmierer beispielsweise nicht sicher, ob die Frequenz der hinzukommenden Datenblöcke zu hoch werden könnte. „Mit diesem Gedanken im Hinterkopf haben wir uns für eine Blockchain auf Basis von Stellar entschieden. Sie bewältigt nach konservativen Schätzungen 1000 Transaktionen pro Sekunde. Zum Abrechnen von Parktickets im Rahmen unserer Evaluierung der Blockchain-Technologie war das mehr als ausreichend“, so der IT-Spezialist.
Allerdings schränkt er ein: „Unser Proof of Concept hat auch aufgezeigt, dass der Reifegrad der Blockchain-Technologie an verschiedenen Stellen noch recht gering ist. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass es zwar unzählige theoretische Abhandlungen darüber gibt, ein großflächiger und dabei sinnvoller praktischer Einsatz in der Industrie hingegen noch auf sich warten lässt.“
Dennoch sind sich Falkenberg und seine Kollegen einig: Die Blockchain-Technologie wird bleiben. Wie bei jeder innovativen Technologie stehe für Porsche daher außer Frage, dass man sich intensiv und frühzeitig damit beschäftige. Davon ist auch Oliver Döring, Strategie Finanzen und Risikomanagement, überzeugt. „Mit der Blockchain können wir Daten schneller und sicherer übertragen und unseren Kunden so in Zukunft noch mehr Komfort bieten, sei es beim Laden, Parken oder um Dritten, wie etwa einem Paketzusteller, temporären Zugang zum Fahrzeug zu gewährleisten.“
Porsche arbeitet an weiteren Geschäftsmodellen auf Basis der Blockchain
Das Öffnen und Abschließen des Fahrzeugs auch aus der Ferne sei ein gutes Beispiel für die Vorteile der Blockchain gegenüber der IT-Vernetzung über Zentralrechner. „Wird das Auto selbst ein Teil der Blockchain, kann die Verbindung etwa von einem Smartphone zum Auto lokal und somit ohne Umwege über das Internet oder Rechenzentren erfolgen“, erklärt Döring.
„So lässt sich diese Funktion nicht nur bis zu sechs Mal schneller realisieren als mit bisheriger Technik, sondern auch die Sicherheit erhöhen: Der Vorgang basiert auf einer effizienten kryptografischen Verschlüsselung und wird überdies unveränderbar in der Blockchain dokumentiert.“
Porsche arbeitet zudem an weiteren Geschäftsmodellen auf Basis der Blockchain, bei der die Kontrolle über die Daten immer beim Nutzer liegt: Er entscheidet über deren Verwendung. Dabei werden sämtliche Aktivitäten in der Blockchain dokumentiert, Löschvorgänge so transparent gemacht.
Auf dieser Basis kann auch autonomes Fahren in Zukunft mit verbesserten Funktionen angeboten werden: Mithilfe lokaler Daten können regionale Lerneffekte erzielt und diese sicher mit anderen Fahrzeugen geteilt werden. Der Kunde kann Schwarmdaten nutzen, gleichzeitig sind sie aber geschützt.