Die Warnung hat Wucht: „Wenn dieser Draht reißt, wird er zur tödlichen Peitsche“, sagt Kai Hashagen und deutet auf ein armdickes Stahlseil, das sich zwischen dem riesigen Frachtschiff „AM Express“ und dem vergleichsweise winzigen Hamburger Hafenschlepper „Bugsier 7“ spannt. Kapitän Hashagen, den seine Crew lässig beim Vornamen nennt, hat das Kommando auf dem extrem wendigen und bärenstarken Schleppschiff. Bei einem dicken Pott schwarzen Kaffees sitzt der erfahrene Seemann scheinbar entspannt im Drehsessel auf der Brücke seines Schiffs. Doch die Gelassenheit ist gepaart mit höchster Konzentration.

Der aktuelle Auftrag lautet: die 200 Meter lange AM Express, die 27 000 Tonnen Kohle transportieren kann, vom Liegeplatz im Hamburger Hafen zurück auf die Elbe und in Richtung Nordsee zu bringen. Fast senkrecht ragt die Schiffswand rund 30 Meter aus dem Wasser in die Höhe. Wellen schlagen gegen das Heck. Jetzt nähert sich Bugsier 7 bis auf wenige Zentimeter. Dann kommt es zum Kontakt zwischen dem Ozeanriesen und dem Hafenschlepper. Keine Havarie, sondern präziser Prozess. An Deck der Bugsier 7 fängt Schiffsmechaniker Frederick Wenning die Wurfleine der AM Express, die unter der Flagge von Hongkong fährt, auf und befestigt daran die Schlepptrosse. Die elektrische Winde wickelt den tonnenschweren Metalldraht ab. Die Trosse wird nach oben auf die AM Express gezogen und dort befestigt. Bugsier-Kapitän Kai Hashagen bekommt per Funk das Signal, dass die Schleppverbindung hergestellt ist, und der Lotse gibt das Kommando zum Ziehen. „Da gehört schon Fingerspitzengefühl dazu“, brummt der Käpt’n. Das hat er. Jedenfalls ist ihm noch nie der Draht gerissen. Und das soll auch so bleiben.

Ebbe und Flut bestimmen den Arbeitsrhythmus  

Inzwischen hat sich das Gespann aus je einem Schlepper an Bug und Heck des Frachtschiffs in Bewegung gesetzt. Ein guter Zeitpunkt für Sven Schröder, ein wenig Werbung für die Arbeit an Bord zu machen. Er gehört zur Geschäftsführung der Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Gesellschaft mbH & Co. KG und sagt: „Das ist ein aufregender Beruf, der trotzdem viel Ausgleich ermöglicht.“ Acht Tage und Nächte am Stück ist die Crew ununterbrochen an Bord. Ihr Schiff liegt in Bereitschaft, rund um die Uhr. Während dieser Zeit leben die Männer in einer Wohngemeinschaft an Bord – zwar mitten in der Stadt, aber dennoch isoliert.

Für die Manöver mit den größten Handels- und Kreuzfahrtschiffen, die bis zu 13,80 Meter Tiefgang haben, bietet der Hamburger Hafen jeden Tag nur ein begrenztes Zeitfenster. Ebbe und Flut ändern den Pegel der Elbe um durchschnittlich 3,60 Meter. Die Hansestadt hat einen gezeitenabhängigen, sogenannten Tidehafen. Nur bei Hochwasser können die Ozeanriesen auf der schmalen Elbrinne im Hafengebiet fahren, ohne im Schlick des Stromes auf Grund zu laufen. Für rund sechs Stunden steigt das Wasser, bis es seinen Höhepunkt erreicht und während der darauffolgenden sechs Stunden wieder auf Niedrigwasser zurückgeht. Rund die Hälfte aller Seeschiffsassistenzen wird nachts erledigt, es ist also nicht ungewöhnlich, dass mehrere Schlepper am Tag an ihrem angestammten Liegeplatz bleiben, weil ihre Besatzungen schlafen.

Die Schlepper nehmen die Ozeanriesen an die Leine

Kai Hashagen, der mit seinem roten Bart aussieht, wie man sich einen echten „Seebären“ vorstellt, fuhr viele Jahre für die Reederei Hapag-Lloyd um die Welt. Dabei sah er manchmal wochenlang kein Land. Jetzt sorgt er dafür, dass sich die großen Handels- und Kreuzfahrtschiffe beim Ein- und Auslaufen in Hamburg keine Schrammen holen. Der Welthafen umfasst mit 7200 Hektar ein Zehntel der Fläche der Hansestadt. Er ist die Verbindung zu 950 Häfen in 178 Ländern der Erde. Jedes Jahr werden hier neun Millionen Container umgeschlagen.

Peter Neumann, Erster Technischer Offizier, Kai Hashagen, Kapitän, Oliver Kayser, Porsche-Berater, l-r, Brücke der Bugsier 7, 2016, Porsche Consulting GmbH
Porsche-Berater Oliver Kayser (r) ist zu Gast auf der Brücke der Bugsier 7

Ohne die Seeschiffsassistenz würde im Hamburger Hafen vermutlich gar nichts gehen. Wie Taxis stehen die Schlepper auf Abruf bereit und holen die großen Schiffe aus aller Welt an der Hamburger Landesgrenze auf der Elbe ab, nehmen sie buchstäblich an die Leine und begleiten sie bis ins Hafenbecken. Dort sind die wendigen Schiffe eine Art Einparkhilfe für die Ozeanriesen. Durch Schieben, Drücken, Ziehen und Bremsen bringen sie die dicken Pötte an den richtigen Liegeplatz. Wenn der Schlepper direkten Druck auf den Schiffsrumpf ausübt, sprechen Kenner von Bugsieren.

8000 PS leisten höchste Präzision

Die Bugsier 7 ist eines der neuesten Schiffe der Reederei. Es ist ein sogenannter Traktorschlepper, der sich mit einem Antrieb am Bug durchs Wasser zieht. Für die Wendefähigkeit sorgen zwei Ruderpropeller, die um 360 Grad gedreht werden können. Damit kann der Schlepper mit bis zu zwölf Knoten fahren oder sich „auf dem Teller“ um die eigene Achse drehen. Für den nötigen Schub und die Zugkraft von 72 Tonnen sorgen zwei ABC-Dieselmotoren (Anglo Belgian Corporation), die zusammen 8000 PS leisten. „Diese Motoren finden sich in sehr ähnlicher Bauweise beispielsweise auch in Generatoren und Diesellokomotiven“, erklärt Sven Schröder. Er hofft, dass noch lange Dieselloks gebaut werden. „Das verbessert die mitunter kritische Verfügbarkeit von Ersatzteilen“, sagt der Reeder.

So präzise, wie es im engen Hamburger Hafenbecken nötig ist, können die riesigen Handelsschiffe trotz ihrer starken Antriebe unterhalb bestimmter Geschwindigkeiten gar nicht selbst navigieren und sind deshalb auf die Assistenz durch Schlepper angewiesen – und gesetzlich dazu verpflichtet, sie in Anspruch zu nehmen. Viele Reedereien schließen daher Rahmenverträge ab. Steht ein Auftrag an, informiert ein Hafenlotse das entsprechende Schleppunternehmen.

Den Liegeplatz verlassen, gleicht dem Manövrieren aus einer Parklücke

Zeitsprung: zwei Stunden zurück. In der Bugsier-Einsatzzentrale geht die Info ein, dass der Massengutfrachter AM Express aus dem Hafen gelotst werden soll. Jetzt muss alles schnell gehen. Die Crews der Schlepper Bugsier 7 und Bugsier 8 werden informiert und machen sich bereit für den Einsatz. An Bord der Bugsier 7 beendet der Erste Technische Offizier gerade seinen Rundgang im Maschinenraum, als per Funk das Startsignal kommt. Den engen Liegeplatz zu verlassen, gleicht dem Manövrieren aus einer Parklücke in der Großstadt. Kapitän Hashagen muss traversieren, also seitlich fahren. Mit geübten Fingern bedient er zwei Joysticks, mit denen er die beiden Ruderpropeller am Bug einzeln ansteuern kann. Auf der rundum verglasten Brücke hat er den absoluten Durchblick. „Wir fahren jetzt zu einem ,Abgeher‘, also einem Schiff, das wir aus dem Hafen hinaus auf die Elbe begleiten“, sagt Hashagen, als die Fahrt beginnt.

Der Massengutfrachter war vor 20 Tagen vollbeladen mit Kohle in Luleå in Schweden gestartet. Jetzt soll er Kurs nehmen auf den Zielhafen Port-Cartier in Kanada. „Sturm, Strömung und Ladung können so eine Operation sehr riskant machen“, sagt Kapitän Hashagen. An diesem Tag herrschen relativ „ruhige“ Wetterverhältnisse mit Windstärken von 25 Kilometern pro Stunde. Nach zwanzig Minuten Fahrt mit dem Frachter an der Trosse heißt es dann „losmachen“ und Decksmann Frederick Wenning setzt die Winde wieder in Gang. Hashagen vermerkt im Logbuch, dass alles reibungslos verlaufen ist. Danach steht die Crew wieder auf Abruf bereit.

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