Der Taycan elektrisiert das gesamte Unternehmen. Seit der Entscheidung, einen vollelektrischen Sportwagen zu bauen, stand Porsche unter Strom. Wie sieht er aus? Wie funktioniert die neue Hochvolttechnologie? Und wie wird er gebaut? Am Anfang kennen allein die Entwicklungsingenieure erste Details. Dennoch bereitet sich die Produktion bereits lange vor dem Anlauf auf die Montage eines Fahrzeugs vor, das es noch gar nicht gibt. Wie das geht? Sandra Kolb und Manuel Liepe haben dafür eine Lösung. In einem Projektteam beschäftigen sie sich mit dem Thema Virtual Reality (VR). Damit später jeder Handgriff sitzt, schicken sie die Mitarbeiter kurzerhand in eine Parallelwelt. Manuel ist federführend für das mit dem Taycan eingeführte VR-Training zuständig, in dem die Werksmitarbeiter die Hochvoltbauteile kennenlernen. Die virtuelle Schulung zur Hochvolttechnologie haben beide gemeinsam geplant, und Sandra hat für die Produktionsvorstufe des neuen Elektro-Macans, der in Leipzig gebaut wird, ein drittes VR-Projekt auf den Weg gebracht.
Die VR-Trainings gehen weit darüber hinaus, mit einer Brille auf dem Kopf virtuell einen Raum zu betreten und sich die neuen Technologien anzuschauen. Dazu würde ein herkömmlicher Bildschirm ausreichen. Auch in der virtuellen Welt gilt bei Porsche das didaktische Prinzip, dass angewandtes Lernen nachhaltiger ist. Bei der Schulung zur Hochvolttechnologie für die 2.000 neuen Mitarbeiter im Taycan-Werk werden die Bauteile von allen Seiten betrachtet und mit den nötigen Informationen bespickt. Zur Nachbereitung der Inhalte gibt es zu jedem Bauteil noch ein kurzes Quiz. Ähnlich funktioniert das Training zum Elektromotor, bei dem die wichtigsten Bauteile herausgenommen und wie mit Röntgenaugen betrachtet werden können.
Virtual Reality ermöglicht Einblicke in das Innenleben von Bauteilen.
Das ist ein weiterer Grund, warum die virtuelle Realität zur Vorstellung von neuen Technologien besonders geeignet ist: Sie ermöglicht Einblicke in das Innenleben sonst geschlossener Komponenten. Den Akku des Taycan sehen die Mitarbeiter aus der Taycan-Produktion nur als 700 Kilogramm schweren Block, der montiert und angeschlossen wird. „Mit der VR-Brille können sie ihn drehen, sich alle Anschlüsse oder Leitungen anschauen – und sogar einzelne Batteriezellen betrachten, die normalerweise geschlossen sind“, erklärt Manuel. Das Wissen über die Bauweise der Bauteile hilft, später bei der Montage die Prozesse besser zu verstehen.
Ein VR-Training wird Schulungen am realen Bauteil nie ganz ersetzen können, glauben Manuel und Sandra. Anfassen und Ausprobieren hinterlassen immer noch nachhaltigere Spuren im Gedächtnis, weshalb das tiefergehende Wissen zu Arbeitsschritten und Prozesskenntnissen immer in klassischen Schulungen vermittelt wird. Die Einheiten mit der Datenbrille sind aber eine optimale Vorbereitung oder Ergänzung, weil sich eine neue Technologie mit ihnen spannend und spielerisch vermitteln lässt – deutlich besser als zum Beispiel in gedruckten Handbüchern. „Feedbacks der Schulungsteilnehmer aus der Produktion lassen darauf schließen, dass der Transfer in die reale Welt leicht fällt“, erklärt Sandra.
Die Entwicklung der VR-Trainings ist eine echte Teamarbeit zwischen der Produktionsplanung, der Produktionsorganisation, der Produktionsentwicklung und der Fahrzeugentwicklung. Sie sind schließlich die Ersten, die die Details des neuen Fahrzeugs kennen. Deshalb führt der Weg für Sandra und Manuel stets zuerst ins Entwicklungszentrum Weissach, um dort die nötigen Informationen einzusammeln. Auf deren Basis entstehen dann ein Storyboard und erste Mockups. Zur Grundlagenarbeit gehört auch die Auswahl von Musik oder Hintergrundgeräuschen. Danach gehen die Programmierer ans Werk. Zwei bis drei Monate dauert ein Entwicklungsprozess, an dessen Ende ein 20- bis 30-minütiger Ausflug in die Zukunft steht.
Info
Text: Benjamin Büchner
Text erstmalig erschienen im CAMPUS Magazin.