Begeisterung löst die Erinnerung an die akute Phase der Corona-Krise wohl bei den wenigsten aus. Thorsten Heuberger spricht trotzdem enthusiastisch von einer „stressigen, aber wahnsinnig kreativen Zeit, in der sich die Ereignisse überschlagen haben“. Natürlich ist das nicht auf die Krise an sich bezogen, sondern auf das, was sie für ihn und seinen Kollegen Oliver Scheible im Job mit sich gebracht hat. Die beiden haben mit ihrem Team in kürzester Zeit einen Porsche-internen Chatbot entwickelt, der den Mitarbeitern Tag und Nacht bei allen Fragen rund um die Auswirkungen der Pandemie Rede und Antwort stand. Denn bei den Kollegen hat die Corona-Krise mit dem abrupten Wechsel ins Homeoffice und dem zeitweisen Stillstand der Produktion vor allem eines ausgelöst: viele offene Fragen. Die Telefone der Personalabteilung und des Gesundheitsmanagements standen nicht mehr still. Eine schnelle Lösung musste her.

Den Porsche Employee Assistant – wie der Chatbot derzeit noch offiziell heißt – innerhalb weniger Wochen an den Start zu bringen, „war eine Mammutaufgabe“, sagt Thorsten, der technisch für den Bot verantwortlich ist. Zwar arbeitete das Team bereits vor dem Ausbruch der Pandemie an einem solchen unternehmens­internen Bot, an einen so schnellen Livegang ohne Netz und doppelten Boden hatte jedoch niemand gedacht. „Die Coronavirus-Krise hat ordentlich Geschwindigkeit in das Thema Bot-Entwicklung gebracht“, sagt Oliver, der Product Owner des Bot-Projekts.

„Die Coronavirus-Krise hat ordentlich Geschwindigkeit in das Thema Bot-Entwicklung gebracht.“ Oliver Scheible

Erst Ende 2019 hatte sich das Team unter dem Dach des Programms AI@Porsche (siehe Interview) gefunden und mit dem Ziel aufgestellt, den Chatbot zu entwickeln, der den Mitarbeitern Antworten zu Themen aus verschiedensten Ressorts geben kann. Bis es so weit ist, dass eine künstliche Intelligenz auf jede noch so unterschiedlich formulierte Frage die richtige Antwort geben kann, vergehen viele Stunden des Programmierens, Testens, Verbesserns, erneuten Testens und erneuten Verbesserns. Zeit, die die Porsche-Entwickler in diesem Fall nicht hatten. „Ende Februar wurde klar, dass uns Corona doch mehr beschäftigen würde als wir dachten. Mitte März wurde den Mitarbeitern angeraten, von zu Hause aus zu arbeiten. Und nur drei Wochen später haben wir den Bot freigeschaltet“, berichtet Thorsten. Kein Wunder, dass die künstliche Intelligenz da anfangs auch mal noch die falsche Antwort ausgespuckt hat: „Wir haben uns auf alle Fragen rund um Corona und die Auswirkung auf Arbeitszeit, Arbeitsort und so weiter fokussiert“, sagt Oliver. Auf die Frage, wann er geboren sei, war der Bot hingegen nicht vorbereitet. „Dein Mutterschutz beginnt am 12. Oktober“, lautete die vom Schlagwort „geboren“ getriggerte Antwort des Bots.

Insgesamt belegen die Zahlen jedoch, dass der Krisen-Chatbot ein voller Erfolg war und ist. Zum einen, was die Qualität der Beantwortung betrifft: 98,3 Prozent der Antworten sind richtig, nur 1,7 Prozent der Fragen konnte die künstliche Intelligenz nicht beantworten. Zum anderen, was die Akzeptanz der Porsche-Mitarbeiter angeht: Mehr als 20.000 Anwender haben sich registriert und dem Bot bis Mitte Juli mehr als 30.000 Fragen gestellt. „Dass der Bot so rege genutzt wird, ist für uns ein großes Lob“, sagt Thorsten. Noch mehr habe das Team jedoch gefreut, dass die Kollegen von Gesundheitsmanagement und Personalabteilung spürbar entlastet wurden. „Es ist toll, dass wir den Kollegen helfen konnten, denn genau das ist das Ziel unseres Bots“, sagt Oliver.

„Dass der Bot so rege genutzt wird, ist für uns ein großes Lob.“ Thorsten Heuberger

Und somit ist die Arbeit – jetzt, wo der Bot alles rund ums Thema Corona-Virus beantworten kann – auch längst nicht vorbei. Das Interesse anderer Fachbereiche, der künstlichen Intelligenz ihre Inhalte beizubringen, ist riesig. Zeitgleich arbeitet das Bot-Team weiter an der Persönlichkeit des digitalen Kollegen. Er soll gemäß den vier Grundwerten von Porsche – Pioniergeist, Herz­blut, Sportlichkeit und eine Familie – möglichst frische, sportliche und sympathische Antworten geben. Und einen Namen bekommen, über den die Mitarbeiter demnächst abstimmen.

Auch für die fernere Zukunft haben Thorsten und Oliver Visionen: „Irgendwann könnte der Bot wie ein persönlicher virtueller Assistent eines jeden Mitarbeiters funktionieren und zum Beispiel die Frage nach den verbleibenden Urlaubstagen für jeden individuell beantworten sowie nach einem kurzen Befehl im Eingabefenster direkt den Urlaubsantrag stellen“, erklärt Oliver. Das sei aber wirklich noch Zukunftsmusik – sollte nicht wieder ein so noch nicht da gewesenes Ereignis mit weltweiten Auswirkungen ungeahnte Geschwindigkeit ins Thema bringen.

Was ist ein (Chat-)Bot?

Ein Bot ist ein Computerprogramm, das sich wiederholende Aufgaben automatisch abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein. Ein Chatbot untersucht Eingaben der Benutzer und gibt unter Anwendung von Routinen und Regeln Antworten aus.

Thorsten Heuberger

Thorsten Heuberger, 2020, Porsche AG

Jobtitel: Senior IT-Architect
Aufgabe: Tech Lead Chatbot
Jahrgang: 1986
Bei Porsche seit: 06/2018
KI-Leitsatz: „Künstliche Intelligent ersetzt nicht, sondern ergänzt."
Superkraft: Risikobereitschaft

Oliver Scheible

Oliver Scheible, 2020, Porsche AG

Jobtitel: IT-Plattformmanager
Aufgabe: Product Owner Chatbot
Jahrgang: 1976
Bei Porsche seit: 10/2014
KI-Leitsatz: „KI bedeutet, wieder mehr Zeit für Kernaufgaben durch Automatisierung zu haben.“
Superkraft: Als Integrator niemanden auf der Journey verlieren

Simone Schulz

Simone Schulz, 2020, Porsche AG

Jobtitel: Program Manager
Aufgabe: Chief Product Owner AI @ Porsche
Jahrgang: 1970
Bei Porsche seit: 10/2017
KI-Leitsatz: „Die Beziehung zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz wird irgendwann so fließend sein, dass Entscheidungen in Echtzeit getroffen werden.“
Superkraft: Die Mensch-Maschinen-Schnittstelle transformieren

Daniel Bareiß

Daniel Bareiß, 2020, Porsche AG

Jobtitel: Innovation Manager
Aufgabe: Funnel Management AI@Porsche
Jahrgang: 1990
Bei Porsche seit: 01/2019
KI-Leitsatz: „Eine der Gefahren von künstlicher Intelligenz ist, dass wir glauben, sie schon völlig zu verstehen.“
Superkraft: Das Chaos beherrschen
 

Interview

„Wir wollen über 35.000 Mitarbeiter abholen“

Seit 2019 gibt es das Programm AI@Porsche als Dach für alle KI-Aktivitäten im Konzern. Ziel ist es, Unternehmensprozesse mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) zu optimieren – und vor allem die Kollegen zu begeistern und weiterzubilden.

Simone Schulz, Daniel Bareiß, warum wurde AI@Porsche ins Leben gerufen?

Simone Schulz: Natürlich ist das Thema künstliche Intelligenz nichts komplett Neues für Porsche. Bislang gab es jedoch an vielen Stellen im Unternehmen Einzelkämpfer und einen sehr unterschiedlichen Wissensstand, was KI überhaupt ist und wie die Firma, aber auch jeder Einzelne davon profitieren kann. Unser Programm bildet das Dach für alle KI-Aktivitäten im Konzern: Wir haben den Überblick, vereinheitlichen Prozesse und legen fest, welche KI-Lösungen schneller vorangetrieben werden als andere – dabei geht es zunächst nur um interne Projekte.

Daniel Bareiß: Viele kennen künstliche Intelligenz aus Filmen wie Star Wars oder Terminator – und da ist sie meist etwas Böses. Unser Ziel ist es, den Kollegen zu zeigen, wie sie in ihrem Arbeitsalltag von KI profitieren können. Wir wollen über 35.000 Porsche-Mitarbeiter abholen und vermitteln ihnen in Schulungen KI-Grundwissen. Zudem bilden wir Kollegen mit entsprechenden Berufsbildern zu Experten weiter.

Was ist seit dem Start 2019 passiert?

Bareiß: 2019 war das Jahr der Selbstfindung und der Werbetrommel. Wir haben uns als rund zehnköpfiges Kernteam aufgestellt, uns allen Fachbereichen vorgestellt, um bekannt zu machen, dass es uns gibt und welchen Mehrwert wir bieten. Und wir haben uns Multiplikatoren gesucht und mit diesen bereits rund 250 mögliche Use Cases für den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verbesserung unserer Unternehmensprozesse gesammelt. Es gab seitdem zahlreiche interne und externe Events wie den AI Monday, den wir mitorganisieren.

Schulz: 2020 ist jetzt das Jahr der ersten Ergebnisse. Wir haben die 250 Anwendungsfälle validiert und priorisiert und zum Teil mit der Umsetzung begonnen. In diesem Jahr wollen wir rund 20 KI-Anwendungen unterschiedlichster Art (siehe rechts) auf die Straße bringen.

Hat die Corona-Krise Ihre Arbeit stark ausgebremst?

Bareiß: Nein, wir liegen gut im Zeitplan. Lediglich fürs sogenannte People Business war die Homeoffice-Situation eine Bremse. Workshops sind virtuell einfach nicht dasselbe.

Schulz: Corona wurde für uns aber auch zum Use Case, mit dem wir uns beweisen konnten. Mit dem Krisen-Chatbot haben wir gezeigt, dass wir Projekte bei Bedarf schnell und gelungen umsetzen können. Und natürlich ist der Bot ein tolles Beispiel, wie künstliche Intelligenz einen Mehrwert für die Mitarbeiter bringen kann.

AI Monday

Der AI Monday wurde 2017 als Netzwerkveranstaltung zum Thema künstliche Intelligenz von einer Firma aus Helsinki ins Leben gerufen. 2018 fand in Berlin der erste deutsche AI Monday statt. Seit 2019 gibt es das Format auch in Stuttgart. Porsche organisiert die Veranstaltungen als Eventpartner der finnischen Initiatoren mit.

Aufgrund der Corona-Pandemie gab es in Stuttgart in diesem Jahr am 20. Juli nur ein virtuelles Treffen. Weitere Infos: www.ai-monday.de/stuttgart

Drei Beispiele für AI@Porsche

Weiterbildung à la Netflix 

Wer regelmäßig Video-Streaming-Dienste wie Netflix nutzt, kennt es: Hat man erst ein paar Serien oder Filme angeschaut, erkennt der Algorithmus den Geschmack und schlägt dem Nutzer ähnliche Titel vor. Ganz nach diesem „Das könnte Ihnen auch gefallen“-Prinzip funktioniert künftig auch die interne Lernplattform für Porsche-Mitarbeiter. Bislang war es schwierig, aufgrund des großen Angebots auf Anhieb das richtige Lernmodul für sich zu finden. Künftig heißt es: „Sie haben das Modul ‚Agiles Arbeiten‘ absolviert – wir empfehlen Ihnen auch die Einheit ‚Künstliche Intelligenz‘.“

Wohlfühltemperatur ab der ersten Sekunde

Jeden Samstag um 11 Uhr fährt Frank Schuster seine Tochter zur Reitstunde. Sein Taycan in der Garage weiß das. Ebenso, ob es draußen klirrend kalt oder tropisch warm ist. Damit Vater und Tochter sommers wie winters die Fahrt ab der ersten Sekunde genießen können, fragt der Sportwagen seinen Besitzer via App rund 35 Minuten vor Abfahrt, ob er den Innenraum auf die gewohnte Wohlfühltemperatur vorkühlen oder -heizen soll. Wo diese liegt, hat Frank Schuster der künstlichen Intelligenz zuvor einprogrammiert. Seit Anfang 2020 gibt es diese KI-Lösung für alle Taycan, Cayenne Plug-in-Hybrid sowie Cayenne mit Standheizung.

KATE weiß, wann der neue Porsche kommt

Wann der individuell konfigurierte Porsche des Kunden im Werk vom Band rollt, kann das Unternehmen bis auf einen Tag genau sagen. Wann der Sportwagen aber beim jeweiligen Händler ankommt, ist schon schwieriger abzuschätzen – vor allem, wenn er auf einen anderen Kontinent verschifft werden muss. Auch hier schafft künstliche Intelligenz bald Abhilfe: Anhand von Daten aus der Vergangenheit trifft KATE (Kunden-Auftrags-Terminierungs-Engine) – ein neuer Service zur Lieferterminberechnung – Vorhersagen. Das Ziel: den Liefertermin bis auf eine Woche genau beziffern können.

Info

Text: Julia Bayer

Text erstmalig erschienen im CAMPUS Magazin.

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