Das Matterhorn im Schweizer Kanton Wallis, die Grenze zu Italien. Vor dem markanten Viertausender lässt einer der besten Rettungshubschrauber-Piloten seine Bell 429 (Neupreis: 7 Millionen US -Dollar) schweben. Vor 150 Jahren wurde der weltbekannte Gipfel erstmals bestiegen. Heute kommen die Kletterer und Skisportler in Scharen – manche riskieren zu viel. Bis zu 20 Mal pro Tag gehen die Retter von Air Zermatt deshalb in die Luft – und manchmal bis an ihr Limit.

Der Sturz in eine tiefe Gletscherspalte ist einer der lebensgefährlichsten Unfälle in den Bergen. Eine Situation, in die vor allem leichtsinnige Urlauber geraten, manchmal auch erfahrene Alpinisten oder wagemutige Berufsbergsteiger. Viele mussten ihr Leben lassen, weil es in den meisten Fällen extrem schwierig und zeitraubend ist, einen Abgestürzten zu erreichen und zu befreien. Durch den Kontakt mit dem Gletschereis nimmt seine Körpertemperatur rasch ab. Todesgefahr durch Unterkühlung. Für die Retter kommt es deshalb auf jede Sekunde an.

Die Retter sind wertvoller als jede Lebensversicherung

„Bei Stürzen in enge Spalten gleiten viele Verunglückte immer tiefer ab, bis sie an einer Engstelle eingeklemmt werden – entweder mit den Hüften oder mit dem Kopf“, sagt Gerold Biner (50). Zuhause im weltbekannten autofreien Schweizer Wintersportdorf Zermatt, erledigt er längere Strecken mit seinem roten Mountainbike. Meistens ist Biner ziemlich schnell unterwegs. „Das hält fit“, sagt er. Der durchtrainierte und beneidenswert gelassene Mann ist für Kletterer und Skifahrer, die an dem markantesten Schweizer Gipfel – dem Matterhorn (4478 Meter über dem Meer) – unterwegs sind, wertvoller als jede Lebensversicherung.

Biner ist Pilot und CEO des Helikopterunterneh-mens Air Zermatt AG (65 Mitarbeiter, 9 Hubschrauber). Seit drei Jahrzehnten rettet er Menschen aus Extremsituationen. Zwischen den Einsätzen arbeitet das Team von Air Zermatt daran, die Rettungsmöglichkeiten ständig weiter zu verbessern – darunter auch die Einsätze an Gletscherspalten: „Wer heute den Sturz in eine Spalte überlebt, den holen wir auch lebend heraus“, sagt Biner.

Neue Methoden ermöglichen eine schnellere Rettung

Das war nicht immer so: „Viele Opfer sind früher vor unseren Augen gestorben, weil die Retter sich mühsam vorkämpfen und in stundenlanger Handarbeit mit ihren Pickeln Eis abschlagen mussten, um den Abgestürzten zu befreien.“ Mit einer Lösung, die verblüffend einfach aussieht, geht das heute viel schneller: Bei Spaltensturz-Einsätzen nehmen die alarmierten Retter ein griffbereites Spezial-Set mit an Bord des Helikopters. Das besteht aus einem klappbaren Dreibein, einem Stromgenerator und leistungsstarken Bohrhämmern.

Das Dreibein wird so über der Gletscherspalte aufgespreizt, dass sich ein Bergrettungsspezialist mittels Flaschenzug punktgenau abseilen lassen kann. Dann folgt der mit einem Spezialmeißel bestückte Bohrhammer, der via Notstrom mit Energie versorgt wird. Mit der starken Maschine kann das Eis sehr schnell abgesprengt werden. Sobald der Patient befreit und erstversorgt ist, werden Opfer und Retter mit Winden aus der Gletscherspalte gezogen, transportfähig gemacht und ins Krankenhaus geflogen.

Die Schweizer waren die Ersten, die das Dreibein einsetzten. Heute sind die Spaltenrettungsmethoden von Air Zermatt internationaler Rettungsstandard. „Bei uns“, sagt Biner, „entstehen Verbesserungen aus Problemsituationen. Wir versuchen immer, noch besser zu werden, um unsere Arbeit noch sicherer zu machen und so die Chancen der Opfer zu erhöhen. Das gehört zur Kultur unserer Firma.“ Deshalb sitzt die Mannschaft nach Einsatzende oft am runden Tisch im Bereitschaftsraum zusammen. Bei einem großen Becher starken Kaffees werden dann neue Ideen diskutiert.

Eine Rettungsstation am Fuße der Achttausender im Himalaja

Wissen weitergeben – auch das gehört zur Kultur. Aus Russland reiste der Katastrophenschutzminister zum Matterhorn, um mehr über die Spaltenrettung zu erfahren. Und in der Internationalen Kommission für Alpines Rettungswesen (IKAR) haben die Zermatter einen regelmäßigen Austausch mit Fachleuten aus aller Welt. 2010 waren sie sogar in Nepal unterwegs, um mit den lokalen Kollegen von Fishtail Air eine Rettungsstation am Fuße der Achttausender im Himalaja aufzubauen. Dort hatte zuvor kein Pilot Helikopterrettungen in Höhen von bis zu 7000 Metern gewagt.

Teuflische Winde und die Höhenluft machen solche Einsätze unberechenbar und übliche Hubschrauber können in dieser Höhe nicht mehr schweben. Die Piloten müssen sich über Masken mit Atemluft versorgen, sonst könnten sie ohnmächtig werden und sterben. Zwei Männern aus Biners Crew, Pilot Daniel Aufdenblatten und Rettungsspezialist Richard Lehner, gelang es erstmals, eine total erschöpfte Seilschaft aus 7000 Meter Höhe zu retten. Die höhenkranken und halb erfrorenen Kletterer am Berg Annapurna (8091 Meter) haben den beiden Schweizern ihr Leben zu verdanken.

Draufgänger sind die mutigen Zermatter dennoch nicht: „Auch wenn das Leben von Verunglückten auf dem Spiel steht, müssen wir die Limits von Mensch und Maschine respektieren“, sagt Biner. Deshalb denkt er gerade auf Flügen unter extremen Bedingungen stets in Etappen und nie direkt ans Ziel: „Auf dem gesamten Weg muss ich immer wissen, an welcher Stelle ich notfalls landen könnte. Von Emotionen darf ich mich in solchen Situationen weder leiten noch ablenken lassen.“ Das braucht viel Erfahrung. Die gibt Biner als Fluglehrer an die nächste Generation weiter. Die jungen Piloten in seinem Team müssen ihr Können erst mal bei Rundflügen, Shuttle-Einsätzen und Lastenflügen gründlich vertiefen, bevor sie den ersten Rettungsflug absolvieren.

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