Nach einem Jahrzehnt steht Norbert Majerus wieder vor dem roten Backsteingebäude des Porsche-Werks 1 in Zuffenhausen und blickt zurück: Als der Goodyear-Manager 2005 die Aufgabe erhielt, schlanke Prinzipien in der Entwicklung des Reifenherstellers einzuführen, hätte er sich nicht träumen lassen, welche Dimensionen dieses Vorhaben erreichen würde. „Wie alle anderen dachte auch ich damals, dass spätestens nach zwei Jahren wieder eine neue Mode kommen wird.“ Inzwischen ist daraus fast so etwas wie eine Lebensaufgabe für den heute 62-jährigen Luxemburger geworden. Kein anderes Projekt hat ihn in seiner beruflichen Laufbahn so lange beschäftigt.
Goodyear beauftragte Porsche Consulting, bei den ersten Schritten auf dem Weg zur schlanken Produktentwicklung zu helfen. Die Analyse der Porsche-Berater hat Majerus noch heute genau vor Augen – sie traf ins Mark: „Sie sagten uns, wir hätten gar keinen Prozess, den wir optimieren könnten. Stattdessen hatten wir so viele verschiedene Prozesse wie Mitarbeiter.“ Arne Petersen war damals als junger Berater in das Projekt involviert. Er erinnert sich an hitzige Diskussionen: „Es hieß, die Märkte seien so unterschiedlich, dass die Entwicklungsprozesse verschiedener Standorte niemals auf einen Nenner gebracht werden könnten.“
Majerus: „Neue Produkte entwickeln wir 70 Prozent schneller“
Das ist Geschichte. „Heute gibt es bei Goodyear nur einen einzigen Entwicklungsprozess“, berichtet Majerus nicht ohne Stolz. Der Erfolg zeigt sich an messbaren Resultaten: „Pro Entwickler schaffen wir heute drei Mal so viele Innovationen wie vorher. Neue Produkte entwickeln wir 70 Prozent schneller. Und auch die Qualität, die ohnehin schon hoch war, ist noch mal deutlich gestiegen.“
Für Porsche Consulting war der Auftrag aus der Goodyear-Zentrale in Akron im US-Bundesstaat Ohio der erste aus Nordamerika. „Das Projekt war von Anfang an wirklich global ausgerichtet. Heute sind wir ständig weltweit im Einsatz, aber damals war diese Internationalität auch für uns Berater etwas Besonderes“, so Petersen. Die Goodyear Tire & Rubber Company ist mit mehr als 49 Standorten in 22 Ländern einer der größten Reifenhersteller der Welt. Insofern war nicht entscheidend, aus welchem Land die Berater kamen, sondern allein die Kompetenz beim Thema „schlankes Management“. Im Kernteam um Majerus, Leiter Lean Transformation im Bereich Forschung und Entwicklung, waren neben Kollegen vom Hauptsitz in Akron auch Mitarbeiter der Entwicklungszentren an den Standorten Colmar-Berg in Luxemburg und Hanau in Deutschland vertreten.
Verbesserungen mit deutlichem Effekt
Goodyear bringt jährlich 1500 neue Produkte auf den Markt. Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Reifen ist enorm wichtig, um sich im Wettbewerb mit den anderen Großen der Branche – Continental und Michelin, neuerdings auch Konkurrenten aus Asien wie den südkoreanischen Reifenherstellern Hankook oder Kumho – durchzusetzen. „Die Verbesserungen, die wir damals eingeführt haben, hatten sofort einen deutlichen Effekt auf die Geschäftszahlen“, erinnert sich Majerus. „Das hat uns vor Augen geführt, welch großen Unterschied es macht, wenn ein Produkt zum gewünschten Zeitpunkt tatsächlich da ist.“
Ursprünglich war das nur bei 18 Prozent der Entwicklungsprojekte der Fall. Die Zielmarke von 90 Prozent hat Goodyear schon lange überschritten. Und der Bereich Forschung und Entwicklung wurde zu einer Art Keimzelle für schlanke Prozesse bei Goodyear. „Auch andere Abteilungen haben schnell gemerkt, dass plötzlich die meisten Innovationsprojekte pünktlich abgeschlossen wurden.“
Dabei sah es anfangs gar nicht so gut aus für die Lean-Initiative bei Goodyear. „Es gab auch einige Rückschläge“, berichtet Majerus. „Zum Beispiel haben wir zu den ersten Workshops mit Porsche Consulting ausschließlich Prozess-Spezialisten geschickt. Wirklich erfolgreich waren wir aber erst, als wir auch die Leute eingebunden haben, die tagtäglich die Prozesse umsetzen mussten.“
Dass es mitunter auch einen langen Atem braucht, um Widerständen zu begegnen, hat Majerus selbst erfahren. Ein großes Problem waren zum Beispiel sogenannte Prioritätslisten für Entwicklungsarbeiten. Die Kriterien für die Priorisierung waren undurchsichtig und orientierten sich nicht an der tatsächlichen Kapazität. „Jeden Montag gab es eine neue Liste, aber schon am Dienstag war die Reihenfolge wieder hinfällig. Die Porsche-Berater haben den Finger auf die Wunde gelegt und diese Schwachstelle von Anfang an benannt. Trotzdem hat es noch mehrere Jahre gedauert, bis die Listen endgültig abgeschafft waren“, erzählt Majerus. Auch er selbst wurde erst mit der Zeit zum Überzeugungstäter: „Als wir die Unterstützung vom Topmanagement hatten und erste Erfolge sichtbar wurden, hat es angefangen, Spaß zu machen.“
Was ist von den Ergebnissen, die mit Unterstützung von Porsche Consulting erreicht wurden, heute noch übrig? „Natürlich haben wir die Prozesse über die Jahre verfeinert und weiterentwickelt. Aber im Großen und Ganzen ist unsere heutige Arbeitsweise sehr nah an dem dran, was wir damals verabschiedet haben“, sagt Majerus. Er kennt auch den Grund für den anhaltenden Erfolg: „Porsche Consulting hat uns keine fertigen Lösungen präsentiert, sondern uns die Prinzipien beigebracht, mit denen wir über die Jahre immer weiter hinzulernen und uns selbst helfen konnten.“ Jetzt komme es darauf an, das Erreichte weiterhin zu hinterfragen und den Mut zu haben, Etabliertes wenn nötig auch wieder zu verwerfen. Majerus ist zuversichtlich, dass dies bei Goodyear gelingen wird: „Aber das ist die Aufgabe der nächsten Generation.“
Porsche Consulting GmbH
Die Porsche Consulting GmbH, Bietigheim-Bissingen, ist eine Tochtergesellschaft des Sportwagenherstellers Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Stuttgart. Sie wurde 1994 gegründet, begann damals als vierköpfiges Team und beschäftigt heute mehr als 380 Mitarbeiter. Das international agierende Unternehmen hat vier Auslandbüros in Mailand, São Paulo, Atlanta und Schanghai. Porsche Consulting zählt zu den führenden Beratungsgesellschaften in Deutschland. Die Experten für operative Exzellenz beraten weltweit Konzerne und mittelständische Unternehmen aus der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt sowie dem Maschinen- und Anlagenbau. Weitere Klienten kommen aus dem Finanzdienstleistungssektor, der Konsumgüterindustrie und dem Handel sowie aus der Baubranche.
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting - Das Magazin“, Ausgabe 17
Autor: Maren Eitel // Fotos: Thomas Kienzle