Das Entree hat Symbolcharakter: ein Foyer mit dem unberührt nüchternen Pastell-Charme des zurückliegenden Jahrhunderts. Und mitten im Blickfeld als Kontrast ein mannshohes Banner mit leuchtend rotem Signet und der Vision „One Gehring“. Tradition trifft Innovation.

Gehring ist eines jener Traditionsunternehmen, wie sie so typisch sind im Umkreis der deutschen Automobilmetropole Stuttgart. Seit 90 Jahren liefert der Maschinenbauer Anlagen zur Bearbeitung von Zylinderoberflächen in Verbrennungsmotoren. Beim sogenannten Honen werden Oberflächen mit einem zum Teil aus Diamanten bestehenden Honstein bearbeitet. Er graviert mikroskopische Furchen in die Oberfläche, die sich mit Öl füllen und so die Gleiteigenschaft verbessern. Weniger Reibung bedeutet weniger Verbrauch. Deshalb kommt dem Verfahren bei der Effizienzverbesserung von Benzin- und Dieselmotoren große Bedeutung zu. Auch die Luft- und Raumfahrt, die Hydraulik- und Pneumatikindustrie sowie der Werkzeugbau profitieren vom Honen.

Erste Adresse für Hontechnologie

Erfahrung und schwäbischer Erfindergeist machen Gehring seit Jahrzehnten weltweit zur ersten Adresse für Hontechnologie. Neben den Hauptproduktionsstätten in Deutschland hat das Unternehmen Niederlassungen in Frankreich, den USA, Brasilien, Indien und China. Knapp 800 Mitarbeiter zählt Gehring derzeit weltweit, mit 530 die Mehrzahl im Stammland Deutschland. 2012 kaufte die Investmentgruppe Penta die Mehrheit an der Gehring Technologies Holding GmbH mit dem Ziel, das Wachstum der Gruppe zu beschleunigen und den Unternehmenswert zu steigern. Kurz darauf wurde mit Unterstützung von Porsche Consulting ein unternehmensweites Wertsteigerungsprogramm ausgerollt. „Dahinter steht ein Konzept, mit dem wir die gesamten Kräfte des Unternehmens bündeln wollen“, erklärt Dr. Sebastian Schöning, der als CEO gleichzeitig der Regisseur des Programms ist und dessen Fäden zusammenhält.

Die Vision „One Gehring“ steht als Antrieb hinter dem Programm. Ihre Eckpfeiler sind weltweit einheitlich hohe Qualitätsstandards und gleiche Maschinenkonzepte für die Kunden sowie eine unternehmensweite Orientierung an Best-Practice-Prozessen. Ressourceneffizienz ist in der Geschäftsstrategie ein fest verankerter Baustein. So steht beispielsweise das Thema CO₂-Einsparung bei Verbrennungsmotoren ganz oben auf der Agenda. „Das ist auch die Leitlinie für unsere Technologie- und Maschinenentwicklung“, unterstreicht Schöning. Zudem verpflichtet sich Gehring zu Kundenorientierung und konsequentem Handeln, basierend auf dem Know-how des Unternehmens und seinen Mitarbeitern.

„One Gehring“-Gedanke

Diese Eckpfeiler stehen als Zielbild für das, was erreicht werden soll. Das Wie beschreibt ein ambitionierter Umsetzungsplan. Für alle Funktionen wurden Vierjahresziele vorgegeben und eine Organisation geschaffen, die dem „One Gehring“-Gedanken Rechnung trägt. So wurden beispielsweise alle Vertriebsmitarbeiter in einem Team und alle Werke unter einer Führung zusammengefasst, und auch der Service erhielt eine einheitliche globale Gesamtstruktur. Damit entstand eine nahezu komplett neue Führungsstruktur bei Gehring. Schöning legte von Anfang an Wert darauf, auch untere Führungsebenen und die Belegschaft in die Planungen mit einzubeziehen, sie zu trainieren und zu informieren. Der Plan ging auf: Die Motivation der Mannschaft, dem Traditionsunternehmen durch Innovationen zu neuer Stärke zu verhelfen, ist groß.

Das auf vier Jahre angelegte Wertsteigerungsprogramm ist auf die drei Kernziele Wachstum, Kostensenkung und Liquiditätssteigerung ausgelegt. Für die zentrale Koordination wurde ein Project Management Office (PMO) etabliert. Dessen Team dient als Ansprechpartner für Führungskräfte und Projektleiter und schafft durch einheitliche Messungen eine durchgehende Transparenz über den Fortschritt des Programms. Das Besondere bei der Umsetzung: Quartalsweise getaktet, werden Jahr für Jahr gleich mehrere große Baustellen in Angriff genommen. So stand im ersten Jahr unter anderem die Optimierung des Angebotsmanagements auf der Agenda, um das Wachstum zu steigern und die Profitabilität von Einzelaufträgen abzusichern.

Parallel dazu stand das Produktionsmanagement auf dem Prüfstand, um durch optimierte Montage und Fertigungssteuerung Kosten einzusparen. „Der beste Motivator am Ende des Tages ist der Erfolg“, weiß Sebastian Schöning, denn die positiven Ergebnisse dieser Maßnahmen gaben den Projekten im zweiten Jahr den richtigen Schub. Ein stringentes Innovationsmanagement sorgt seitdem dafür, dass Produkte und Services ständig an die Marktbedürfnisse angepasst werden. „Am Anfang hatten wir 22 Serviceprodukte“, berichtet Schöning über eine der großen Umsatzsteigerungen, „jetzt liegen wir bei 32, und erreichen wollen wir 42.“

Lohnkostenvorteile und Liefergeschwindigkeit gesteigert

Im zweiten Jahr wurden auch das Standortmanagement im Produktionsnetzwerk sowie die Kapazitätsplanung optimiert. Dadurch konnten wichtige Lohnkostenvorteile erreicht und die Liefergeschwindigkeit gesteigert werden. Ebenso wurde der globale Rollout eines neuen, einheitlichen SAP-Systems gestartet. Im dritten Jahr hat sich Gehring nun die weitere Vereinfachung der Maschinenbaureihen durch Modularisierung vorgenommen, was sich bereits heute in Kostensenkungen im zweistelligen Prozentbereich auszahlt.

Das in der Automobilindustrie bewährte sogenannte Baukastenprinzip überträgt Gehring jetzt auf seine Werkzeugmaschinen. Die reduzierte Produktkomplexität sorgt für geringere Material- und Gemeinkosten. Zudem will Gehring mit geringeren Durchlaufzeiten und engeren Zusammenarbeit mit Lieferanten unnötige Bestände vermeiden. Der Schlüssel dazu ist ein eng verzahntes Bedarfs- und Kapazitätsmanagement – vom Auftragseingang bis zur Endabnahme der Maschine beim Kunden.

Konstante Umsetzung des Programms bis ins Detail

Sebastian Schöning kennt jedes einzelne Teilprojekt des Wertsteigerungsprogramms. Jeden Monat analysiert der 40-Jährige mit seinen Managerkollegen zwei Tage lang die Projekte, um die konstante Umsetzung des Programms bis ins Detail zu gewährleisten. Die Zwischenbilanz nach zwei Jahren lässt sich sehen. „Ich glaube nicht, dass viel mehr erreichbar wäre“, so Schöning. „Wir sind auf dem besten Wege, unseren Gewinn deutlich zu steigern.“

Allein der Umsatz im Servicebereich stieg beispielsweise durch die neuen Produkte um rund 45 Prozent. Die Einsparungen bei den Materialkosten liegen deutlich über dem Soll von fünf Prozent pro Jahr. Ein Indiz dafür, wie engagiert sich die Mitarbeiter für das Unternehmen ins Zeug legen, ist die Produktivitätsrate, sie stieg über zehn Prozent. Durch die engere Zusammenarbeit mit Lieferanten stieg deren Liefertreue auf über 90 Prozent bei einer Toleranz von fünf Tagen.

Investitionen in Innovationen

„Unser Ziel ist das langfristige und nachhaltige Wachstum von Gehring“, fasst Sebastian Schöning zusammen. Das bedeutet für ein Maschinenbauunternehmen Investitionen in Innovationen: Jedes Jahr will der Honspezialist neue Technologien und weiterentwickelte Maschinen sowie Dienstleistungen auf den Markt bringen. Auch das hat Tradition bei Gehring.

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