Rund 300 von 800 Mitarbeitern der AIXTRON SE arbeiten in der Forschung und Entwicklung. Diese Relation ist sogar für einen Maschinen- und Anlagenbauer ungewöhnlich hoch. Sie zeigt, dass sich Aixtron in einem Hightech-Segment bewegt: Das Unternehmen entwickelt und fertigt Anlagen für die Produktion von Mikrochips und LEDs und gehört in diesem anspruchsvollen Gebiet zu den Weltmarktführern.
„Time-to-market“ als entscheidender Faktor
Aixtron-Anlagen sind außerordentlich komplex und können mehrere Millionen LED-Clips am Tag produzieren. Und der Entwicklungsdruck ist hoch, weil sich die Märkte und Produkte rasch verändern. Andreas Tönnis, Chief Technology Officer (CTO), betont: „Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, ist sehr volatil und wettbewerbsintensiv, und die Bedeutung des Faktors ,Time-to-Market‘ kann man kaum überschätzen.“
Deshalb gehörte es zu den erklärten Zielen von Andreas Tönnis, die Entwicklungszeiten zu verkürzen, als er vor zweieinhalb Jahren aus dem kalifornischen Silicon Valley nach Deutschland zurückkehrte. Konnte er dabei die Erfahrungen nutzen, die er in der amerikanischen Hightech-Industrie gewonnen hatte? „In den USA ist den Unternehmen eher bewusst, dass die Schnelligkeit bei der Lösungsfindung ein entscheidender Faktor ist. Dort probieren die Entwickler einfach mal etwas aus und haben nicht die erklärte Absicht, schon mit dem ersten Prototypen eine perfekte Anlage zu produzieren.“
Porsche Consulting unterstützt als erfahrener Partner
Gesucht war also ein neuer, schnellerer Entwicklungsprozess, dessen Eigenschaften Tönnis klar vor Augen standen: „Er sollte auf alle unsere Projekte übertragbar sein und im Sinne eines, Stage-Gate-Prozesses‘ Stufen wie Konzeption, Ausführung und Prototypenfertigung festlegen, die jeweils die Möglichkeit bieten, das Projekt zu stoppen, anzupassen oder fortzuführen.“
Basierend auf Erfahrungen mit ähnlichen Prozessen in der Halbleiterequipment-Industrie bestand die Motivation darin, einen Entwicklungsprozess aufzusetzen, der schneller als bestehende „Stage-Gate-Prozesse“ zu ersten Prototypen gelangt. Die Idee war in der Softwareindustrie bereits mit der sogenannten Scrum-Methodik umgesetzt, allerdings noch nie in der Hardwareentwicklung ausprobiert worden. Für diese Aufgabe suchte Aixtron einen Partner. So kamen Berater von Porsche Consulting ins Spiel. Mit SAP hatten sie kurz zuvor ein global führendes Softwareunternehmen bei der Optimierung der Entwicklungsprozesse unterstützt. Aus dieser Erfahrung heraus konnten sie Werkzeuge vorschlagen, die sich in der Softwarewelt bereits bewähren. Im Branchenwettbewerb „Best of Consulting“ kürte eine Fachjury des Magazins WirtschaftsWoche das SAP-Projekt 2013 sogar mit dem ersten Platz.
Die Software-Industrie als Vorbild
In der Softwareentwicklung ist „agiles Management“ zur Produktivitätssteigerung schon weit verbreitet und vielfach umgesetzt. Aixtron und die Porsche-Berater haben sie nun auf die „Hardware“, sprich auf den Maschinen- und Anlagenbau, übertragen. Wolfgang Freibichler, Partner bei Porsche Consulting, unterstreicht: „Das war auch für uns eine neue Kombination, deren Potenzial sich aber rasch gezeigt hat. In der Hightech-Industrie müssen innovative Produkte sehr schnell zur Marktreife gebracht werden. Häufig kommen während der Produktentwicklung jedoch neue Kundenanforderungen hinzu. Die ,agile Entwicklung‘ bietet dafür die perfekte Lösung.“
Der Entwicklungsprozess an den Aixtron-Standorten in Herzogenrath bei Aachen, im englischen Cambridge und Sunnyvale im Silicon Valley hat sich seitdem radikal verändert, wie Tönnis erklärt: „Wir fertigen jetzt sehr schnell einen Prototypen oder eine Alphaanlage, die wir den Kunden in unseren Labors als Testanlage zur Produktion ihrer Halbleiter oder LEDs zur Verfügung stellen. Der Kunde bringt seine Ideen ein, die oft auch erst im Gespräch oder beim Testen entstehen. So bekommt er eine Anlage, die exakt auf seine Anforderungen zugeschnitten ist, und das in kürzerer Zeit.“
„Werkzeugkasten“ für schnelle Entwicklung
Soweit das Ergebnis. Erreicht wird es mithilfe eines Werkzeugkastens“, der sich an den Grundsätzen der „agilen Entwicklung“ orientiert. Andreas Tönnis: „Wir zerlegen die Projekte nach dem ,Scrum‘-Prinzip, das in der Softwareentwicklung bekannt ist, in klar definierte Entwicklungsaufgaben mit kurzen Iterationszyklen von zwei bis vier Wochen. Jeder dieser Zyklen ist ein ,Sprint‘, den die Entwickler oder die Abteilungen selbsttätig abarbeiten – nach dem Grundsatz: Wer in kürzeren Etappen läuft, vermeidet Irrwege.“
Dass man auf diese Weise bei komplexen Entwicklungsaufgaben sehr viel schneller zu Zwischenergebnissen kommt, ist in der Softwareindustrie bewiesen. Aixtron und Porsche Consulting standen nun vor der Herausforderung, diesen Prozess erstmals an die Besonderheiten der Entwicklung von komplexen Anlagen anzupassen. Das geht, so stellten die Beteiligten schnell fest, am besten in den ersten Phasen, also bereits in der Konzeptentwicklung.
Charakteristisch für die agile Vorgehensweise: Sie schafft den Entwicklern zusätzliche Freiräume. Andreas Tönnis: „Die Ingenieure sollen und können das tun, was sie am besten können, und innerhalb der ,Sprints‘ können die Teams weitgehend selbstständig Entscheidungen treffen. Der Prozess selbst steht dabei nicht zur Diskussion. Aber welche Werkzeuge die Teams einsetzen und wie sie sie an ihre Anforderungen anpassen, bleibt ihnen überlassen.“
Einige Tools haben sich schnell zu Selbstläufern entwickelt –zum Beispiel die „Daily stand-up“-Meetings, in denen jedes Teammitglied ganz kurz über den Projektstatus berichtet, und das Kanban-Board, das festhält, wer gerade welche Aufgabe erledigt.
Erfolge sind sichtbar und messbar
Wie sehr sich die Entwicklung durch den neuen Prozess und die agilen Werkzeuge beschleunigt, wurde bereits nach kurzer Zeit deutlich: „Wir haben die Effizienz des Entwicklungsprozesses erhöht, weil die produktive Entwicklungszeit um 20 Prozent gesteigert wurde“, erläutert Tönnis. „Die Entwickler sind von dem Prozess überzeugt, teilweise sogar enthusiastisch, weil sie spüren, dass sie mehr Zeit in kreative Arbeit stecken können.“
Die Erfolge bei Aixtron sind kein Einzelfall, so Porsche-Berater Freibichler: „In den vergangenen zwanzig Jahren haben Industrieunternehmen vor allem auf japanische Managementmethoden gesetzt, um die Produktivität in ihren Fabriken zu erhöhen. Heute richten sich die Blicke auf das Silicon Valley. Durch agile Managementansätze können in den kommenden Jahren enorme Produktivitätssteigerungen bei Ingenieuren erzielt werden.“
Als Erfolg lässt sich auch werten, dass typische Einwände und Vorbehalte schnell ausgeräumt werden konnten. Andreas Tönnis: „Zu Beginn hieß es: Unsere Kunden werden uns niemals ihre Pläne und Anforderungen mitteilen. Dann haben wir sie eingeladen, um einen Prototypen zu testen, und sie waren überraschend offen und brachten ihre Ideen ein. Das hat das gesamte Projekt vorangebracht.“ Auch zur Frage der Messbarkeit und – nicht ganz unwichtig – der Kosten gibt es valide Antworten: „Der Entwicklungsprozess ist viel transparenter, weil wir in kleineren Schritten arbeiten und regelmäßig Kennzahlen liefern.“ Dadurch werden Abweichungen schnell erkannt und es kann entsprechend reagiert werden. Die gesteigerte Kennzahlenqualität macht somit auch die Unternehmenssteuerung zielgenauer und transparenter – und das freut die Kollegen vom Controlling.
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting - Das Magazin", Ausgabe 16
Autor: Gerald Scheffels // Fotos: Frank Dicks