Nach der Explosion herrscht für wenige Sekunden Stille, dann bewegt sich der Fels. Tonnenschwere Gesteinsbrocken brechen mit ohrenbetäubendem Lärm los und öffnen eine Bresche in einer mehr als hundert Meter hohen Felswand. Hier, am letzten Streckenabschnitt der neuen Schnellstraße PE-18, wenige Kilometer vor dem Bergdorf Churín in den peruanischen Anden, klettern seit Wochen an Seilen gesicherte, qualifizierte Arbeiter an den fast senkrechten Felsen empor und füllen Bohrlöcher mit Sprengstoff. All dies geschieht bei anhaltendem Betrieb der Schnellstraße, die dafür zwei Mal täglich abgesperrt wird. Straßenbau in Peru ist Knochenarbeit.

Zubringer zur Panamericana

Die Arbeiten im Hochgebirge kommen gut voran. Bauleiter Elmir Dias ist zufrieden: „Wir werden den zweiten Bauabschnitt pünktlich fertigstellen.“ Dann wird es möglich sein, von Churín auf über 2000 Metern über dem Meeresspiegel auf der knapp hundert Kilometer langen Strecke direkt bis in die Hafenstadt Huacho an der peruanischen Küste zu fahren. Dort begegnet man Verkehr aus Ecuador im Norden und Bolivien im Süden, denn an der Küste trifft die PE-18 auf die legendäre Panamericana, die Hauptschlagader der amerikanischen Kontinente.

Dieses rund 45 000 Kilometer lange System aus Schnellstraßen reicht vom äußersten Rand Nordamerikas in Alaska bis zum südlichsten Zipfel Lateinamerikas im argentinischen Feuerland und durchquert dabei 14 Länder. Die PE-18 ist einer der vielen Seitenarme der weitverzweigten Panamericana. Und sie ist ein zentrales Verkehrsprojekt der peruanischen Regierung. Mit dem Ausbau der bisherigen Land- zu einer Schnellstraße schafft sie eine Alternative zur stark überlasteten West-Ost-Verbindung des Landes, der Carretera Central. „Die war bislang die einzige Möglichkeit, auf einer asphaltierten Straße vom Regenwald im Landesinneren bis zur Hauptstadt Lima zu gelangen“, so Dias. „Zuletzt lag das Verkehrsaufkommen dort mehr als zehn Mal höher als die eigentlich geplante Kapazität der Straße.“

Peru, 2017, Porsche Consulting GmbH
Rund 13 Meter tief versenken Arbeiter den Sprengstoff in der Felswand

Die PE-18 ist außerdem ein Schlüssel für den wirtschaftlichen Aufschwung der Region. „Die Straße ist enorm wichtig für den Zugang zu den vielen Mineralminen in dieser Gegend“, erklärt Eric Villena, der den Bauvertrag über die PE-18 für das peruanische Verkehrsministerium überwacht. „Auch die Bauern dieser Gegend profitieren, weil sie jetzt besser an den Großhandel angebunden sind.“ Exotische Früchte wie Guave, Avocado, Sternfrucht, Mango oder Charichuelo – eine Mangostanfrucht – werden hier angebaut. Nicht zuletzt wird Churín jetzt viel leichter für Touristen erreichbar. Die kommen wegen der heißen, schwefelhaltigen Heilquellen in das Bergdorf.

2013 begann das Consorcio Vial Huaura (CVH), das aus den Bauunternehmen JJC aus Peru und Andrade Gutierrez aus Brasilien besteht, mit den Arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt verlief auf Teilen der geplanten Trasse bereits eine Landstraße. Allerdings: Nur die ersten 44 Kilometer von der Küste ins Landesinnere waren asphaltiert. Und über weite Strecken gab es nur eine Fahrspur für beide Richtungen. „Das war extrem gefährlich“, so Azán Checa, Fachmann im Bereich Lean Construction, „besonders wenn große Lastwagen für den Transport von Mineralien auf Gegenverkehr trafen. An einigen Stellen war die Fahrbahn sehr schmal, daneben gab es steile Abhänge.“ Häufige Bergrutsche und Überflutungen richteten schwere Schäden an und machten den Weg oft unpassierbar.

Hochwasser, Wind und Höhensonne

Die neue Straße erhielt deshalb einen bautechnisch aufwendigen Hochwasserschutz durch ein System von Entwässerungsrinnen entlang der Fahrbahn. Die Strecke verläuft entlang des Flusses Río Huaura. Dort, wo sich die Fahrbahn auf einer schmalen Fläche zwischen Gebirge und Flussbett befindet, war ihre Verbreiterung nur durch das Abtragen von großen Teilen der Berghänge möglich. In tieferen Lagen musste das Wasser an vielen Stellen durch Kanäle unter der Straße hindurchgeleitet werden, damit anliegende Bauern nicht von der Wasserversorgung abgeschnitten wurden. Und während der gesamten Bauzeit mussten täglich Fahrzeuge, vom Eselskarren bis zum Lkw, die Strecke passieren – extreme Bedingungen für den Bau.

Heftiger Wind von bis zu 50 Kilometer pro Stunde, starke Sonneneinstrahlung sowie wechselnde Temperaturen von zehn bis über dreißig Grad kamen hinzu. Zu Beginn gingen die Arbeiten schleppend voran, schon nach wenigen Monaten geriet das Vorhaben in zeitlichen Verzug und die geplanten Kosten wurden überschritten. Eine Analyse von Porsche Consulting deckte die Schwachstellen auf: „Die Logistik hat uns riesige Probleme bereitet. Es dauerte bis zu vier Tage, um das Baumaterial aus der Region Lima dorthin zu bringen, wo es benötigt wurde”, so Bauleiter Dias. Teilweise schleppten Esel Tanks mit Diesel für die Maschinen an schwer zugängliche Stellen. Oft stand der Bau still, weil es an der Materialversorgung haperte.

Bauern als Bauarbeiter

Zudem pochte die Regierung darauf, die lokale Bevölkerung für die Bauarbeiten einzusetzen. Die Bewohner der ländlichen Gegend für die schwere und gefährliche Arbeit zu qualifizieren, stellte den Bauleiter vor ein enormes Problem. „Zuerst haben wir jedem Arbeiter ein intensives Sicherheitstraining gegeben, damit sie sich vor Steinschlägen und anderen Gefahren schützen konnten”, so Dias. Dann lernten die Arbeiter den richtigen Umgang mit dem schweren Gerät – und im Takt zu arbeiten. „Für viele Arbeiter war es anfangs schwer zu verstehen, dass die Trainings ihre Arbeit nicht komplizierter machen, sondern vereinfachen“, sagt Dias.

Peru, 2017, Porsche Consulting GmbH
Die Wassermassen werden von Kanälen gezielt ins Tal geleitet

Doch einer der wohl größten Skeptiker zu Beginn des Projekts Lean Construction war der Bauleiter selbst: „Ehrlich gesagt hatte ich wenig Hoffnung, dass die Berater unsere Probleme lösen könnten“, so Dias. Dennoch: Gemeinsam mit Porsche Consulting wurde ein System für den effizienten Einsatz von Maschinen, Material und Menschen erarbeitet und umgesetzt. „Ich war fest davon ausgegangen, dass wir die Zahl der Arbeiter verdoppeln müssen. Dann habe ich erkannt, dass unser Problem nicht zu wenig Arbeitskräfte waren, sondern eine falsche Verteilung.“

Auf dem Bau überzeugen Resultate

Die Lösung bestand darin, sich wiederholende Abschnitte zu finden, die leicht und mit einer vereinfachten Planung bearbeitet werden konnten. Gemeinsam mit den Beratern wurde die Strecke in kleinere Abschnitte unterteilt. Dafür erfolgte eine detaillierte Personalplanung: Wie viele Arbeiter werden für jede Funktion benötigt? Die Kapazitäten der Arbeitstruppen wurden auf den genauen Bedarf abgestimmt. Beim Bau der Rohre zur Wasserableitung und –versorgung auf beiden Seiten der Straße wurde die Anzahl der Arbeiter um zehn Prozent auf 45 Personen erhöht – gleichzeitig stieg die Produktionsrate um 63 Prozent.

Und anstatt gleichartige Bauarbeiten über weite Strecken zu verteilen, wurden die Truppen für bestimmte Tätigkeiten spezialisiert. So konnten unterschiedliche Arbeitsinhalte an der gleichen Stelle parallel ausgeführt werden. Das sparte Transportzeiten, weil sich die Arbeiten auf weniger Stellen konzentrierten. Nach drei Monaten wurde bereits eine Produktivitätssteigerung von mehr als zehn Prozent festgestellt. Das überzeugte auch Dias: „Auf dem Bau gibt es eine ‚Sofort-Kultur‘. Veränderungen setzen sich nur durch, wenn das Resultat unmittelbar sichtbar ist“, sagt der Bauleiter. Und so wurden weitere scheinbare Gewissheiten in Frage gestellt. Beispielsweise bei der Auslastung von Kipplastern: Sie transportierten Baumaterial aus Steinbrüchen an die Arbeitsstellen. „Auf der Baustelle herrschte lange Zeit eine Philosophie von ‚Mehr ist mehr‘. Wenn die Lastwagen Schlange standen, wurde das als ein gutes Zeichen interpretiert, denn dann geht das Material nicht aus“, erzählt Dias.

Seit die Kapazitäten von Baggern und Kippern einander angepasst wurden, ist dieses Bild abgeschafft. „Heute steht kein Lkw mehr still und alle Baumaschinen werden optimal genutzt.“ Das bringe die Kosten wieder ins Lot, berichtet der Bauleiter. Und er zieht sein ganz persönliches Resümee zu diesem Mammutprojekt: „Nach mehr als 37 Jahren auf dem Bau hätte ich nicht gedacht, dass ich noch so viel Neues hinzulernen könnte.“

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