Die Sonne strahlt an diesem Wintertag über Mladá Boleslav, rund 60 Kilometer nordöstlich von Tschechiens Hauptstadt Prag entfernt. Hier, in dem beschaulichen 44 000-Einwohner-Städtchen mit einem eigenen schiefen Turm namens Putna, ist die Zentrale von ŠKODA Auto angesiedelt. Das Unternehmen zählt mit seiner 120-jährigen Geschichte zu den ältesten Automobilherstellern der Welt und hat sich zum absoluten Vorzeigeunternehmen in Europa entwickelt. Mit messbaren Resultaten: 2015 etwa lieferte das Unternehmen in rund 100 Märkten mehr als eine Million Fahrzeuge aus – doppelt so viele wie noch zehn Jahre zuvor. „Wir sind stolz, ein Leuchtturm für Tschechien zu sein. Und wir wollen dies auch bleiben“, sagt Bohdan Wojnar, der Personalvorstand des Automobilherstellers. „Auch im Wachstum müssen wir eine sinnvolle Geschwindigkeit beibehalten. Aus ŠKODA darf niemals ein langsam fahrender Tanker werden.“ Der Tscheche verleiht seinen Worten Nachdruck und zitiert frei den ehemaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy: „Das Dach muss man reparieren, wenn die Sonne scheint.“
Schließlich bringt die Zukunft für die Autoindustrie anspruchsvolle Aufgaben mit: Die Umsetzung strenger Regularien, Digitalisierung, Connected Car, E-Mobility, autonomes Fahren – die Liste der komplexen Großprojekte ist lang. Und sie verlangt den Unternehmen alles ab, nicht nur innerhalb, sondern vor allem auch außerhalb der Produktion. ŠKODA hat deshalb seine komplette indirekte Organisation durchleuchtet. Das Ziel: eine Hochleistungsorganisation zu entwickeln und Ressourcen für zukunftsorientierte Themen freizustellen. Mit Unterstützung von Porsche Consulting setzte das Unternehmen das Projekt High Performance Organization (HPO) mit fünf verschiedenen Modulen um: Agile Organization, HR Evolution, Organizational Effectiveness, Smart Administration sowie Change Management and Communication. Das Porsche Consulting Magazin stellt Auszüge aus den Modulen, die ŠKODA zukunftssicher machen, vor:
Agile Organization: Entscheidungswege verkürzen, Schlagkraft erhöhen
„Dieses Modul hatte zum Ziel, die Organisation so anzupassen, dass sie mit ihren Prozessen auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet ist“, sagt Chief Information Officer Andre Wehner, der das Projekt HPO gemeinsam mit Bohdan Wojnar leitet. Die ŠKODA-Organisation war von einer relativ hohen Anzahl an Führungsebenen geprägt – in einzelnen Unternehmensbereichen sind es bis zu sieben gewesen. Die Führungsspannen waren rechtniedrig – der Durchschnitt lag bei 1: 4,8 Mitarbeitern. „Innerhalb von nur sechs Monaten wurde eine Führungsebene komplett abgebaut und eine weitere auf ein Drittel reduziert“, berichtet Marc Zacherl, Partner bei Porsche Consulting. In allen Bereichen besteht nun eine minimale Führungsspanne von 1: 8 Mitarbeitern. „Die Mitarbeiter mussten vorher oft lange auf Informationen und Entscheidungen warten. An dieser Stelle sind wir inzwischen deutlich schneller geworden“, hat Bohdan Wojnar beobachtet. „Das spiegeln uns auch die Kollegen, sie sind sehr zufrieden.“
Natürlich waren einige von ihnen anfangs verunsichert. Das Management nahm sich viel Zeit, um diese Ängste abzubauen: „Sie brauchen eine klare Zielsetzung, die an alle Führungskräfte und Mitarbeiter kommuniziert wird“, beschreibt Andre Wehner das Vorgehen. „Zudem gewinnt man die Leute über konkrete Lösungen. Die Führungskräfte mussten das Unternehmen ja nicht verlassen, vielmehr gab es einige Abteilungsleiter, die sich in ihrer Rolle selbst nicht wohlgefühlt haben. Sie waren aber sehr wertvolle Fachkräfte, die wir an anderer Stelle in der Organisation dringend benötigt haben und die wir durch die Gestaltung neuer Karrierewege heute individuell fördern können.“
HR Evolution: Mitarbeiter individuell fördern, Zukunft sichern
Bislang war bei ŠKODA, wie bei vielen anderen Automobilunternehmen auch, lediglich eine Führungskarriere vorgesehen. Im Rahmen des HPO-Projektes wurden zwei weitere, gleichwertige Karrierepfade ausgestaltet: Neben einer Fachkarriere können die Mitarbeiter nun sogar eine Projektkarriere einschlagen. Mit diesem Modell hat ŠKODA einen Leuchtturm in der Branche gesetzt – zumal das Projektmanagement immer wichtiger wird. „Nehmen Sie das Beispiel Connected Car, das kann nicht isoliert vorangetrieben werden. Alle Bereiche müssen vertreten sein, die technische Entwicklung, die IT, Produktion, Vertrieb, Finanzen, das Controlling usw. Ein solches Thema braucht Mitarbeiter mit ausgeprägten Projektmanagementkompetenzen und Kundenverständnis“, erklärt Wehner.
Für frische Impulse im Unternehmen sorgt zusätzlich das neue Prinzip der Job-Rotation. Die Idee: Mitarbeiter sollen nach spätestens sieben Jahren ihre Position wechseln, um sich weiterzuentwickeln, Wissenssilos abzubauen und den Blick für das Unternehmen als Ganzes zu weiten. „Natürlich sollte man dabei mit Augenmaß arbeiten und darf die Rotation nicht mathematisch-dogmatisch angehen“, sagt Personalchef Wojnar, der ein großer Verfechter dieses Prinzips ist. „Ich habe einen technischen Studiengang abgeschlossen und war später Leiter für Controlling. Anschließend wechselte ich als Quereinsteiger ins Personal. Diese Perspektivänderungen waren sehr wertvoll.“ Die Job-Rotation ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Denn wer zu lange auf einer Position verweilt, geht ein Risiko ein – was den Mitarbeitern selbst aber oftmals gar nicht bewusst ist.
ŠKODA profitiert in der Personalarbeit außerdem von einem neuen Performance-Management. Es verbessert die Transparenz und das konstruktive Feedback bei der Mitarbeiterbeurteilung. „Besonders bei kleinen Führungsspannen tendiert man dazu, die Mitarbeiter zu positiv zu bewerten“, so Wojnar. Deshalb werden in allen Unternehmensbereichen die Leistungsbewertungen innerhalb der Teams vergleichend betrachtet, um beispielsweise „Top-Leister“ zu identifizieren. Die nachvollziehbare Vergleichsbasis erhöht die Leistungsorientierung und ermöglicht insbesondere eine starke Feedbackkultur und eine individuelle Förderung der Mitarbeiter.
Organizational Effectiveness: Wachsen ohne zu wachsen, in zukunftsorientierte Themen investieren
„Unsere Wertschöpfungskette verändert sich. Was vor 30 Jahren richtig war, muss es heute nicht mehr sein“, sagt Bohdan Wojnar und wirft einen Blick zurück in die 1950er-Jahre. Damals stellte ŠKODA seine Fertigung von Holz- auf Blechkarosserien um. Mit einem Schlag verloren wertvolle Erfahrungen aus dem Kutschenbau oder hoch angesehene Kompetenzen wie das Schreinern ihren Wert. „Man musste die Leute damals überzeugen, sich anzupassen. In unserer schnelllebigen Zeit ist das wichtiger denn je.“ Deshalb überprüft ŠKODA fortlaufend, welche Tätigkeiten welche Bedeutung für das strategische Kerngeschäft besitzen. „Am Markt gewinnt derjenige, der die besten Produkte und Lösungen am schnellsten zur Verfügung stellen kann. Wir hinterfragen uns kontinuierlich selbst: Wo sind unsere Kernkompetenzen? Wo sind wir am schnellsten im Realisieren? Wo sind unsere Partner schneller?“, ergänzt Andre Wehner.
„Im Rahmen des Projektes haben wir die kompletten indirekten Bereiche mit rund 10 000 Stellen in Bezug auf Kern- und Nicht-Kernkompetenzen analysiert. Das Vorgehen wurde zunächst sehr stark ‚top down‘ vorangetrieben“, berichtet Oliver Bibo, Projektverantwortlicher seitens Porsche Consulting. „Bei der Umsetzung der definierten Maßnahmen wurden die Mitarbeiter ‚bottom up‘ eingebunden.“ Seitdem hat ŠKODA weitere Themen an Dienstleister vergeben. Alle frei werdenden Kapazitäten setzt ŠKODA für strategische Zukunftsthemen wie etwa Connected Car und Connectivity ein. „Wir kümmern uns um individuelle Lösungen für die Mitarbeiter. Dafür nehmen wir uns auch gerne länger Zeit“, sagt Wojnar. Das Überprüfen der Kernkompetenzen bleibe ohnehin ein dauerhaftes Thema. „Wir leben nicht nur von der Tradition. Die Technologien entwickeln sich permanent weiter. Diese Diskussion ist deshalb jeden Tag erforderlich.“
Smart Administration: Komplexität reduzieren, auf das Wesentliche konzentrieren
Es ist vollkommen natürlich, dass sich über die Zeit Prozesse einschleifen, die vor Jahren noch richtig waren, aber heute nicht mehr effizient genug sind. ŠKODA hat sich intensiv mit dem Abbau von Bürokratie beschäftigt. Zahlreiche Genehmigungsprozesse wurden vereinfacht, bei internen Dienstreisen etwa sind die Anträge entfallen. Für IT-Requests wurde die Zahl der Standardprozesse von elf auf zwei reduziert. Eine Analyse ergab zudem, dass ŠKODA-Mitarbeiter sehr viel Zeit für Gremien, Meetings sowie das Erstellen von Berichten aufwendeten.
Als Konsequenz wurden die Zahl und Zeit für Meetings reduziert, überflüssige Reports abgeschafft und wichtige Berichte vereinfacht. „Zusammengefasst konnten dadurch bereits zwölf Vollzeitstellen freigespielt werden“, sagt Dr. Matthias Tewes, Partner bei Porsche Consulting. Smarte IT-Lösungen sorgen für zusätzliche Entlastung. Dazu zählen etwa die Einführung eines elektronischen Fahrtenbuchs sowie der Aufbau eines Online-Portals, das Papieranträge für Zugangsberechtigungen ablöst. Die Digitalisierung der Reisekostenabrechnung bringt ŠKODA zudem eine Zeitersparnis von 3600 Stunden pro Jahr. „Wir haben die Impulse anfangs von oben gesetzt, die Mitarbeiter aber auch motiviert, eigene Ideen einzubringen. Das hat zur Stärkung einer gesunden Verbesserungskultur beigetragen“, sagt Andre Wehner.
Zudem implementiert ŠKODA innovative Zusammenarbeitsmodelle in sogenannten Projekthäusern. „Wir möchten eine moderne Atmosphäre mit offener Kultur, direkter Kommunikation sowie schnellen Entscheidungen erzeugen“, so der ŠKODA-CIO. Bislang gibt es zwei Häuser zu verschiedenen Produktinnovationen, weitere sind in Vorbereitung.
Change Management and Communication: Führungskräfte und Mitarbeiter für Veränderungen begeistern
Mit Mitarbeiterbefragungen („Puls-Checks“) hat ŠKODA die Akzeptanz und den Fortschritt des Veränderungsprojektes regelmäßig beobachtet und gemessen. Der Grad der Zustimmung hat sich im Laufe der Zeit kontinuierlich erhöht. Doch wie genau ist es gelungen, rund 10 000 Angestellte für den Wandel zu gewinnen? „Entscheidend war unsere intensive und breit angelegte interne Kommunikation“, resümiert Andre Wehner. Diese war nicht nur zentral in der Unternehmenskommunikation angesiedelt, sondern wurde auch dezentral über die enge Begleitung der Führungskräfte gesteuert.
Ein Veränderungsprojekt ist in der Regel von verschiedenen Phasen gekennzeichnet, an deren Anfang oft vieles kritisch hinterfragt wird. Je mehr Menschen früh für die Veränderungen gewonnen werden, desto schneller wächst deren Akzeptanz. „Wir haben unsere Mitarbeiter in den internen Medien ihre eigene Geschichte erzählen lassen und wie die Veränderungen ihr Arbeitsleben verbesserten. Das hat eine Lawine – im positiven Sinne – erzeugt“, fasst Bohdan Wojnar zusammen. Ein Erfolgsfaktor sei zudem die Vielfalt der Kanäle gewesen: Das Projekt war und bleibt auf der Agenda in Print- und Onlinemedien, in persönlichen Gesprächen, bei Managementkonferenzen und Mitarbeiterveranstaltungen.
„Die High Performance Organization hat für uns kein Ende, wir arbeiten mit voller Kraft kontinuierlich weiter. Ein Diamant kann immer weiter geschliffen werden, um noch besser zu strahlen“, sagt Bohdan Wojnar. „Projekte wie dieses mit Porsche Consulting helfen uns, die Marke ŠKODA weiter zu stärken. Damit sie nicht nur eine reiche Tradition hat, sondern auch eine glanzvolle Zukunftsperspektive.“
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting – Das Magazin 17“
Text: Sarah Kaiser // Illustrationen: Marco Prosch; Grafiken im Text: Porsche Consulting