Reise zu neuen Horizonten

Ein Gespräch zwischen Porsche-Chef Matthias Müller und Dr. Ulf Merbold, dem einzigen Deutschen, der dreimal im Weltall war.

Matthias Müller trifft sich mit Dr. Ulf Merbold zum Gedankenaustausch in der Manufaktur Zuffenhausen, in der in Handarbeit der 918 Spyder entsteht. Die beiden Männer eint die Liebe zur Technik und das Streben nach perfekten Lösungen. Beide verfolgen ehrgeizige Ziele: Ulf Merbold, der als einziger Deutscher an drei Weltraum-Missionen teilgenommen hat, lässt die Begeisterung für Spitzentechnologie auch im Ruhestand nicht los. Für die Raumfahrt wünscht er sich nichts weniger als einen bemannten Flug zum Mars. Matthias Müller teilt diese Passion für die Verwirklichung großer Ideen: Derzeit steuert er als Vorstandsvorsitzender den Sportwagenhersteller Porsche in das soeben beginnende Zeitalter der Hybridantriebe. Als einziger Chef eines Automobilunternehmens hat er mit dem 918 Spyder bereits einen Supersportwagen im Angebot, dessen Hochleistungs-Plugin- Hybridantrieb einen Verbrennungs- und Elektromotor an der Hinterachse mit einem zweiten Elektromotor an der Vorderachse kombiniert. Dadurch verbraucht der 918 Spyder im Neuen Europäischen Fahrzyklus auf 100 Kilometern nur rund drei Liter Kraftstoff. Seine Fahrleistungen sind beeindruckend: Von null auf 100 km/h beschleunigt der 918 Spyder in 2,6 Sekunden, von null auf 200 km/h in 7,3 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 345 km/h (Kraftstoffverbrauch/Emissionen* kombiniert 3,1-3,0 l/100 km; CO₂-Emissionen (kombiniert): 72-70 in g/km; Stromverbrauch: 12,7 kWh/100 km).

Merbold: Ein faszinierender Sportwagen – allerdings zum Preis von rund 800.000 Euro.

Müller: Die insgesamt 918 Personen, die diesen Wagen eines Tages in ihrer Garage stehen haben, schätzen das Außergewöhnliche.

Merbold: Zu allen Zeiten war es das Außergewöhnliche, das die Menschheit weitergebracht hat. Denken Sie nur an die Flugpioniere. Solche Wegbereiter wurden in der Geschichte der Technik nicht selten für Spinner gehalten. Ich sage aber: Lasst diese kreativen Geister machen. Meine Leidenschaft ist die Fliegerei. Ich könnte auf manches verzichten, nur nicht auf mein Segelflugzeug. Ich kann die Pioniere der Luftfahrt sehr gut verstehen.

Müller (lacht): Spinner sind wir natürlich keine, wohl aber in höchstem Maße kreativ. Der 918 Spyder birgt etliche technische Lösungen – oder lassen Sie mich sagen: Leckerbissen –, die sich in kommenden Fahrzeuggenerationen wiederfinden werden. Er ist ein Technologieträger, bei dem wir maximale Performance mit minimalem Verbrauch kombinieren. Das zeigt Ihnen, dass wir bei den Entwicklungszielen für das Fahrzeug ganz rational vorgingen. Porsche ist heute der profitabelste Automobilhersteller der Welt. Diese Poleposition können wir in unserem harten Wettbewerb nur beibehalten, indem wir ständig versuchen, die künftigen Ansprüche unserer Kunden vorwegzunehmen und die Grenzen des technisch Machbaren weiter zu verschieben. Wir wollen nicht nur spitze sein, wir wollen es auch bleiben.

Merbold: Ich bin kein Autoexperte, aber ich denke, genau das erwartet man auch von Porsche: Sie müssen einen hohen Einsatz bringen, um aus Ihren Möglichkeiten das Beste herauszuholen. So sind wir zu meiner aktiven Zeit in der Raumfahrt auch vorgegangen.

Müller: Natürlich muss für Porsche als Technologieführer das Beste gerade gut genug sein. Deshalb kommen im 918 Spyder Materialien wie kohlefaserverstärkter Kunststoff, Magnesium oder auch Titan zum Einsatz. Dadurch bleiben wir unserer traditionellen Vorreiterrolle in puncto Leichtbau treu. Und die Zusammenarbeit der beiden Elektromotoren mit dem Verbrennungsmotor erfordert angesichts der Systemleistung von 887 PS (Anm. d. Red.: 918 Spyder: Kraftstoffverbrauch/Emissionen* kombiniert 3,1-3,0 l/100 km; CO₂-Emissionen (kombiniert): 72-70 in g/km; Stromverbrauch: 12,7 kWh/100 km) ein intelligentes Management. Glauben Sie mir, hinter dieser Steuerung steckt lange und harte Arbeit unserer Entwickler in Weissach. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass wir so viele hochkarätige Ingenieure bei Porsche an Bord haben.

Merbold: Ihr Beispiel macht deutlich, dass eine hochdifferenzierte Gesellschaft wie unsere auf die Rohstoffe Fleiß und Gehirnschmalz setzen muss, um im weltweiten Wettbewerb vorn zu bleiben. Deshalb trete ich seit Langem für eine noch bessere Ausstattung unserer Forschungslandschaft ein. Wir brauchen in der Breite viele gute Hochschulen, aber auch Spitzenuniversitäten. Ich stelle fest, dass sich in diesem Bereich in den vergangenen Jahren ein positiver Bewusstseinswandel zur Förderung von Elite-Hochschulen ereignet hat. Hier kann von Seiten unseres Staates aber noch viel mehr getan werden. Und nicht zuletzt brauchen wir mehr Grundlagenforschung an Spitzeninstituten wie der Max-Planck-Gesellschaft. Die meisten Experimente, die ich im Weltall ausführte, drehten sich um Grundlagenforschung – um die Erkenntnistiefe der Astronomie, der Atmosphärenphysik oder der Materialforschung. Übrigens, auch Ihre Fahrzeuge profitieren von unserer Forschung.

Müller: Tatsächlich?

Merbold: Die Keramikbremsen, die Sie in Ihren Modellen anbieten, gehen auf eine Entwicklung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik zurück. Das extrem hitzebeständige Material wurde erstmals für die Außenhaut der Raumkapseln verwendet. Der Keramikschutzmantel verhindert, dass die Kapseln beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen.

Dr. Ulf Merbold, Physiker, Matthias Müller, Vorstandvorsitzener, l.-r., 918 Spyder Manufaktur, Zuffenhausen, 2014, Porsche AG
Reger Gedankenaustausch: Dr. Ulf Merbold und Matthias Müller

Müller: Es freut uns sehr, wenn Forschungseinrichtungen Lösungen erfinden, die unsere Industrie in marktfähige Produkte umsetzen kann. Wir sind uns über die Bedeutung bestmöglicher Schulen, Universitäten und Forschungsstätten für die Zukunft unserer Industrie völlig im Klaren. Wir freuen uns sehr über gute Hochschulen in unserer Umgebung. Viele Absolventen wollen bei uns arbeiten. Das ist ein wichtiger Standortvorteil. Aber es ist keine Frage, dass allein schon die demografische Entwicklung – sprich die sinkende Anzahl junger Menschen, die überhaupt Ingenieur oder Techniker werden können – der deutschen Industrie insgesamt für die Zukunft Sorgen bereitet. Deshalb versuchen wir, das Interesse junger Menschen an Technik zu forcieren. Beispielsweise fördern wir mit dem Ferry-Porsche-Preis jedes Jahr die größten Talente in den Fächern Mathematik und Physik unter den baden-württembergischen Abiturienten.

Merbold: Wir sollten außerdem das Innovationspotenzial älterer Menschen verstärkt nutzen. Hier wird sehr viel Wissen aussortiert und links liegen gelassen.

Müller: Sie haben recht. Bei Porsche fördern wir ältere Beschäftigte allein schon durch eine verstärkte Gesundheitsvorsorge. Wir wollen Kollegen über 55 Jahre heute länger fit an Bord behalten. Außerdem sorgen wir für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So viele Beschäftigte wie noch nie zuvor in unserer Belegschaft können heute mit einer individuellen Arbeitszeitgestaltung ihre jeweilige Lebenssituation besser gestalten. Hierzu gehört auch die Einrichtung von Kindertagesstätten. Darüber hinaus bauen wir ein neues Ausbildungszentrum, das mehr als 500 Berufsanfängern Platz bieten wird. Es ist ein ganzes Paket, das wir schnüren, um unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tolle Perspektiven aufzuzeigen und damit als Arbeitgeber besonders attraktiv zu bleiben.

Merbold: Wichtig ist auch, dass sich hierzulande alle – Politiker, Manager, Lehrer –, einfach alle, die in unserer modernen Gesellschaft Verantwortung tragen, über die Bedeutung von Wissenschaft und Technik für das Wohlergehen zukünftiger Generationen bewusst sind. Mein Credo lautet: Mehr gestalten und weniger verwalten! Wir müssen – und da wiederhole ich mich gern – die kreativen Geister machen lassen. Ich träume von einer Gesellschaft, die einen Teil ihres Sozialprodukts für die Reise zu neuen Horizonten freimacht.

Müller: Als Unternehmen handeln wir genau so. Porsche investierte im Geschäftsjahr 2013 mit 1,6 Milliarden Euro mehrdenn je in Forschung und Entwicklung. Der Volkswagen Konzern, zu dem wir gehören, führt laut EU die Rangliste der privaten Unternehmen mit den weltweit höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung an. Unter den Top Ten rangieren hier übrigens fünf Unternehmen aus den USA, und der Volkswagen Konzern ist das einzige aus der EU.

Merbold: Ich spreche auch von den Rahmenbedingungen. Mir geht es um die Zukunftsindustrien als Ganzes, aber natürlich ganz speziell um die Raumfahrt. Im Bundeshaushalt bewegen sich die für die Raumfahrt bereitgestellten Mittel im Promillebereich. Wenn wir hier nicht mehr staatliche Unterstützung bekommen, sind wir bei zukünftigen Marsmissionen auf die Zuschauerbank verbannt. Und das Ticket ins All müssen wir in Russland oder China lösen. Ich bin sicher, dass Sie für die Autoindustrie auch etliche Beispiele aufzählen können, wo Sie sich eine Förderung wünschten?

Müller: Es gibt gute Beispiele, wo wir uns staatliches Engagement zur Anschubfinanzierung neuer Technologien durchaus vorstellen können. Eines will ich Ihnen für die beginnende Elektromobilität nennen: Die deutsche Regierung verfolgt das Ziel, bis ins Jahr 2020 eine Million elektrisch angetriebene Fahrzeuge auf die Straße zu bekommen. Doch nun frage ich Sie: Wo sollen denn die E-Autos alle Strom tanken? Ohne ein flächendeckendes Netz von Ladesäulen werden wir das Ziel kaum erreichen können. Ein Infrastrukturprogramm könnte hier also hilfreich sein. Ich denke aber, dass wir bei diesem Thema politisch eine Stufe höher ansetzen müssen.

Merbold: Sie meinen bei der EU in Brüssel?

Müller: Einige Politiker in Brüssel haben bisher nicht verstanden, wie sehr unser zukünftiger Lebensstandard am Wohlergehen der europäischen Industrie hängt. Es ist zwar ein Ziel der EU, den Industrieanteil bis 2020 von derzeit 16 auf 20 Prozent zu steigern. Doch abgesehen von Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Polen geht der Industrieanteil an der Wertschöpfung in den EU-Ländern zurück. Hierzu zählen sogar die großen Volkswirtschaften Frankreich und Großbritannien, in denen der Prozess der De-Industrialisierung bis heute nicht gestoppt werden konnte.

Matthias Müller, Vorstandsvorsitzener (l.), Ulf Merbold, Physiker, Zuffenhausen, 2014, Porsche AG
Matthias Müller und Dr. Ulf Merbold besichtigen die 918 Spyder-Manufaktur

Merbold: Was mich da wirklich ärgert, ist die Tatsache, dass die EU bis 2020 über 380 Milliarden Euro für Agrarsubventionen ausgeben will. Wäre es nicht klüger, wir würden das Geld zukunftsgerichtet für die Industrie ausgeben?

Müller: Für unsere Branche nehme ich in Anspruch, dass die Automobilindustrie als eine Schlüsselindustrie ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor in Europa ist. Ich spreche hier nicht nur von Millionen Arbeitsplätzen. In Deutschland ist die Automobilindustrie der Innovationstreiber Nummer eins, kein anderer Industriezweig meldet so viele Patente an. Und die Automobilindustrie ist durch ihre Aufträge, die sie an Zulieferer vergibt, ein ganz entscheidender Impulsgeber für andere Branchen wie die Elektronik oder die Informationstechnologie. Denken Sie nur an die Elektrifizierung der Antriebe und die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander beziehungsweise mit dem Internet: Das sind gewaltige Zukunftsaufgaben, die in ihrer Breite noch gar nicht richtig begonnen haben.

Merbold: So einen Impulsgeber stellte vor Jahren auch das Apollo-Programm in den USA dar. Nach dem Sputnik-Schock – ausgelöst 1961 durch den ersten bemannten Weltraumflug des Russen Juri Gagarin – haben die Amerikaner viele Milliarden Dollar in dieses Programm gesteckt und dadurch erst die gesamte Computerindustrie beflügelt und damit sogar den Grundstein für das Silicon Valley gelegt. Transistoren und Dioden wurden in den 60er-Jahren massiv verkleinert und haben die Mondflüge erst ermöglicht. Die Computergeneration vorher bestand aus riesigen, schweren Schränken, die wahre Energiefresser waren. Das Geld, das die USA damals in das Apollo-Programm gesteckt haben, ist in dem darauffolgenden Jahrzehnt durch die Steuereinnahmen aus dem Verkauf der neuen Industrierechner dreifach wieder hereingespielt worden. Wenn wir sehen, welche Inspiration so ein Programm hervorrufen kann, sollte uns das ermutigen.

Müller: Auf jeden Fall zeigte es aller Welt, was möglich ist, wenn Politik und Industrie an einem Strang ziehen. Die EU muss ja nicht gleich ein Apollo-Programm auflegen. Aber wenn Sie sehen, welche Anstrengungen in China für den Aufbau neuer Industrien unternommen werden, oder dass Korea, Japan, Skandinavien und andere die Forschungsförderung weit wichtiger nehmen als wir, dass Genehmigungen hierzulande viel länger dauern als in den USA, dann ist Ihre Anregung von vorhin berechtigt: Unsere Politik dürfte sehr wohl mehr gestalten und weniger verwalten.

Weitere Artikel