Walter legt die Spur. Ohne Fehltritt. Kein Wackler, wie eine Maschine. Der Mann ist 70 Jahre alt. Ruhige Schrittfrequenz. Nur das rhythmische Schaben unserer Ski im hohen Schnee. Ich versuche in seinem Windschatten Schritt zu halten, das Herz klopft mir bis zum Hals. Ich wundere mich, wo man auf Skiern überall hochkommt, außer uns ist hier keine Menschenseele. Der Berg lässt sich das hier und heute gern gefallen, es droht keine Lawinen-Gefahr. Vielleicht bemerkt er ja die Demut und die Mühe, die wir aufbringen, um ihn zu besteigen. Das Gehen mit fellbespannten Skiern ist ein schöner, ein eleganter Bewegungsmodus. Allerdings ist es auch für passionierte Lift-Benutzer etwas ungewohnt. Ich bin völlig außer Atem.
Röhrl fragt, ob ich wisse, warum die Menschen in den Bergen so geerdet sind und gibt die Antwort gleich selbst: „Weil sie jeden Tag diese Berge sehen und merken, was sie im Vergleich dazu doch für kleine Würstchen sind. Schau Dich in der Sportwelt um: Unter den Bergsportlern findest Du keinen einzigen eingebildeten Affen, ob Olympiasieger oder Abfahrtsweltmeister. Die sind alle völlig normal geblieben.“ Spieleckkogel, Schusterkogel, Tristkogel, Staffkogel und Penhap. Um uns herum ragen Walters Hausberge in den Himmel. Alle um die 2.100 Meter hoch. Die Luft so frisch wie Pfefferminz. Absolute Stille und ein Blick zum Niederknien.
Das Gefühl dafür, wo die Grenzen sind, hat er auf Ski gelernt
Die Berge und das Skifahren sind für Walter Röhrl so etwas wie der Ursprung allen Glücks, sämtliche Geschicke leiten sich für ihn daraus ab. So haben die intensiven Bergab-Erlebnisse auf Ski bei ihm auch das Empfinden für Grenzbereiche extrem geschärft. Mit Fünf fing er auf den Brettern an, die Mechanismen unter dem Stichwort Hangabtriebskraft zu studieren. Als ausgebildeter Skilehrer wusste er von Kindesbeinen an: „Wenn ich bergab Fehler begehe, bin ich erledigt.“ Das Gefühl dafür, wo die Grenzen sind, hat er auf Ski gelernt.
Außer mit dem Mountainbike und auf Ski lassen ihn Bergauf-Prüfungen ansonsten aber eher kalt. „Im Auto passiert dir ja wenig, wenn du Fehler machst. Die Energie vernichtet sich einfach von selbst.“ Bei der Monte stand ihm die Strecke hoch zum Col de Turini trotzdem immer bevor. Nicht etwa, weil er Angst vor der Bergprüfung gehabt hätte, sondern weil „die gottverdammten Armleuchter“ vor ihm immer haufenweise Schnee auf die Bahn schaufelten. „Das hat mich mit den Hecktrieblern, ob es der Opel war oder der Fiat, immer Zeit gekostet. In meiner Wut habe ich dem Christian (Geistdörfer, Anm. d. R.) gesagt, stopp erst oben auf der Höhe an und nimm die Zeit nur für die Bergab-Passage. Dann wissen die Deppen, mit wem sie’s zu tun haben.“
200 Höhenmeter später, 1.365 Meter über dem Meeresspiegel, frage ich mich, wen oder was den Mann antreibt. Ich kann es nicht sein. Röhrl schaut auf seine Uhr, während ich meinen Flüssigkeitsverlust erneut mit einer Handvoll Schnee ausgleiche. Walter trinkt nicht. Er schwitzt auch nicht. Walter Röhrl glaubt, dass sein Ehrgeiz aus seiner Kindheit stammt. „Ich habe unheimlich unter meinen roten Haaren gelitten. Wenn ich gehänselt worden bin, habe ich die Jungs anfangs verdroschen. Als ich größer wurde, sagte ich mir: Denen werde ich’s zeigen.“ Der „Lange“ hat es allen gezeigt – und tut es immer noch. „Dabei bin ich seit jeher einer, der immer ein Auge auf die Schwachen hat.“ Röhrls Tierliebe ist legendär, dem Charme von seinem Kater Maxi ist er mit Haut und Haaren erlegen. Wenn Maxi die Krallen zeigt und Walter daraufhin eine Blutvergiftung kriegt – macht nichts. „Da kann doch der Maxi nichts dafür.“
Walter Röhrl: „Nur die Uhr sagt mir die Wahrheit.“
Neben seinem Faible für Tiere hat Walter Röhrl auch einen sehr ausgeprägten Hang zu Uhren. „Ich kann nichts ohne eine Uhr am Arm tun.“ Walter Röhrl sammelt sie. Uhren bestimmen sein Leben, seinen Rhythmus, einfach alles. „Ich habe festgestellt, dass du dich furchtbar täuschen kannst, wenn du keine Uhr hast. Oft meinst du, dass du schnell warst, und dann war es am Ende nur Einbildung. Nur die Uhr sagt mir die Wahrheit.“
Das kann auch zum Tick ausarten. Röhrl erzählt, dass er seine Zeiten von vor 30 Jahren mit den heutigen vergleicht und zähneknirschend feststellt, dass er 1:30 Minuten langsamer ist. „Dann sagte ich mir: Du bist ein alter Depp, das ist doch Wahnsinn.“ Aber er freut sich noch immer wie ein Schneekönig, wenn er sich selbst am Berg wieder einmal um eine halbe Minute geschlagen hat. „Dann bin ich für kurze Zeit der glücklichste Mensch auf der Welt.“
Wir sprechen über Bewegungs- und Gedankenabläufe. Er sagt, dass er das, was er gerade tut, gedanklich meist gar nicht weiter reflektiert. Der Ablauf ist automatisiert, in dem Bewusstsein, es einfach gut machen zu müssen. „Der Bewegungsablauf muss stimmen, bei allem was man tut.“ Beim Autofahren ist es laut Röhrl die Vorgabe, immer so wenig wie möglich zu lenken. „Das verfolge ich ganz eisern.“ Und er denke beim Fahren auch wirklich nur ans Fahren, an nichts anderes: „Ich schaue voraus und weiß auch immer genau, wo ich bin.“ In anderen Fällen gehe er meist schon mal das Sport-Programm für die nächsten Tage durch. Mountainbike fahren im Sommer – „rund 12.000 Kilometer“ – Skitouren im Winter – „drei- bis viermal die Woche, am liebsten bei Neuschnee. Dann wirkt alles so sauber und unberührt. Fast wie eine intakte Welt.“
An diesem Tag arbeitet Walter Röhrl tatsächlich daran, zu entschleunigen. Um etwas relaxter zu werden, wie er sagt. „Der Tag mit Dir heute am Berg war gut für mich“, sagt er und nennt mir auch den Grund dafür: „Weißt Du, so wie wir zum Schluss gegangen sind, da musste ich mir bei jedem Schritt sagen: langsam, langsam, langsam. Sonst wäre ich wieder in meinen alten Rhythmus verfallen.“
Ah ja.
Info
Text erstmalig erschienen in ramp#41.
Text: Horst von Saurma // Fotos: Matthias Mederer · ramp.pictures, Sonja Grübler
Veröffentlichung der Bilder mit folgendem Credit:
Fotograf: Matthias Mederer · ramp.pictures, aus ramp#41 Übern Berg ist schneller als zu Fuß