1. Der Anfang von allem
Ohne meinen Freund und Skifahrerkollegen Herbert Marecek wäre ich nie Rallyeprofi geworden. Auf dem Weg in die Berge sagte er einmal zu mir: „So wie du Auto fährst, musst du Rallyefahrer oder Rennfahrer werden.“ Ich antwortete nur: „Du Spinner, wer soll denn das bezahlen?“ Er: „Wenn ich ein Auto besorge und das Ganzenichts kostet – würdest du dann fahren?“ Ich: „Ja gut, wenn’s nichts kostet, fahr ich schon mal.“ Also organisierte er die Autos: mal den Wagen eines Freundes, mal das Vorführmodell eines Händlers. Herbert hat mich unablässig motiviert. 1970 verkaufte er die Aktien seines Vaters, um für 15.000 Deutsche Mark einen alten Safari-Porsche mit 120.000 Kilometern auf dem Tacho zu kaufen. Damit traten wir bei der Rallye Bavaria an, einem Lauf zur Europameisterschaft. Es war überhaupt erst meine fünfte Rallye, doch bis zu unserem Ausfall fuhren wir einsam vorneweg. Schon nach den vorherigen Rallyes hatte Herbert jedes Mal an die Fachzeitschriften geschrieben: „Mein Freund Walter ist der beste Autofahrer der Welt, Sie müssen dafür sorgen, dass er einen Werksvertrag bekommt.“ Diesmal funktionierte es: Der Chefredakteur von Rallye Racing vermittelte uns an einen Automobilhersteller, und ich gewann auf Anhieb den nächsten Lauf zur Rallye-Europameisterschaft. Das katapultierte mich umgehend in die Top-20-Rangliste der FIA. Ich kündigte meinen Job beim Bischof von Regensburg und übermittelte meiner Mutter die frohe Botschaft: Ich werde Rallyefahrer!
2. Perfektion auf allen Pisten
Ach, mit dem Franz beim Skifahren … Wir hatten eine Zeit lang ein sehr intensives Verhältnis, da sein Manager Robert Schwan auch mich betreute. Franz Beckenbauer hat mich überredet, Mitglied der „Schneeforscher“ zu werden, einer illustren Runde von 15 Mann, die sich jedes Jahr zum Skifahren in Obertauern traf. Sepp Maier, Willi Holdorf, Max Lorenz, Uwe Seeler und andere waren dabei – manche fuhren besser Ski, manche weniger gut. Es war mir zwar vertraglich verboten, Ski zu laufen, und wenn ich mich verletzt hätte, wäre ich nicht mehr bezahlt worden, aber Geld hat mich nie interessiert. Ich bin immer Ski gefahren, schließlich war ich vor meiner Rallyezeit schon staatlich geprüfter Skilehrer. Ich habe die Prüfung als Viertbester in Deutschland absolviert und bin daraufhin sogar ins Lehrteam des Deutschen Skiverbands berufen worden. Damals hieß es häufig: Der Röhrl ist ein Speed-Junkie – schnell Ski fahren, schnell Auto fahren. Aber Speed macht mir eher Angst. Mir geht es um Perfektion. Ich wollte mich auf Skiern so natürlich bewegen, als hätte ich gar keine Bretter an den Füßen. Und ich wollte so Auto fahren, dass der Wagen schon bei einer Bewegung mit dem kleinen Finger genau das machte, was ich wollte. Nur dann war ich zufrieden.
3. Radfahrleidenschaft
Das Radfahren habe ich früh als ideales Konditionstraining entdeckt, und es ist dann zu einer meiner großen Leidenschaften geworden. Von Mitte der 1980er- bis Mitte der 1990er-Jahre bin ich jedes Jahr etwa 8.000 bis 10.000 Kilometer Rennrad gefahren. Ich habe viele Marathons mit Kuno Meßmann absolviert, dem Trainer der deutschen Ski-Nationalmannschaft, und auch das Bergfahren am Großglockner. Der Rekord am Großglockner, aufgestellt bei einer Österreich-Rundfahrt, lag damals bei 56 Minuten – ich erreichte immerhin 1:06 Stunden. Am schönsten waren aber die Radurlaube mit Eddy Merckx in Italien oder Frankreich. Dort versammelten sich alljährlich zwei Handvoll Radverrückte, außer mir alles ehemalige Tour-de-France-Fahrer. Wir sind Tagesetappen von rund hundert Kilometern gefahren, im Tal immer gemütlich in der Gruppe. Aber wenn ein Pass kam, hieß es: Attacke! Ich habe in drei aufeinanderfolgenden Jahren die Bergwertungen gewonnen, da war ich nicht zu schlagen. Heute sitze ich noch immer viel auf dem Rad – aber mittlerweile lieber auf dem Mountainbike als auf einem Straßenrad.
4. Lebensziel Monte-Sieg
Ich habe nie davon geträumt, Weltmeister zu werden. Aber einmal die Rallye Monte-Carlo zu gewinnen, die legendärste aller Rallyes, nur ein Mal – das war mein großes Lebensziel. Und ich habe damals oft gesagt: Wenn ich die Monte gewonnen habe, höre ich auf. Ich fahre nicht, um Geld zu verdienen. Ich will nur herausfinden, ob ich ein Träumer bin – oder wirklich der Beste. Das war meine Motivation. Auf vielen Siegerfotos schaue ich sehr ernst statt zu jubeln. Das ist mein Charakter: eher schwermütig als himmelhoch jauchzend. Wenn ich im Ziel aus dem Auto steige, bin ich zufrieden, weil ich meine Arbeit perfekt erledigt habe. Und dann hake ich es ab. Doch als ich 1980 Monte Carlo gewann, war das anders. Ich hatte drei Tage Hochgefühle. Nichts in meinem Leben konnte mehr schiefgehen, ich habe alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Danach wollte ich tatsächlich aufhören. Mein Beifahrer Christian Geistdörfer sagte: „Du bist ja nicht ganz dicht! Jetzt läuft es endlich, und du willst aussteigen.“ Auch meine Frau meinte: „Du Spinner, du liebst doch das Autofahren! Wenn du das aufgibst, drehst du doch durch!“ Ja, ich wollte Rallyes fahren, nicht aber den Rummel um meine Person. Ich habe dann eingesehen, dass das nicht ganz zu umgehen ist, und mich durchgerungen, weiterzumachen. Zum Glück.
5. Bitterer Ausfall
Die Rallye San Remo in der Toskana gehörte neben denen in Monte Carlo und Neuseeland zu meinen Lieblingsrallyes. 1981 war ich noch nicht bei Porsche unter Vertrag, sondern bei einem anderen Hersteller, der aber mit finanziellen Problemen kämpfte. So fuhr ich mit einem Porsche 924 Rallyes zur Deutschen Meisterschaft. Dann stellte Porsche mir in Aussicht, San Remo mit dem 911 zu fahren. Diese Rallye wollte ich unbedingt gewinnen, weil ich hoffte, dass ein Sieg Porsche dazu bringen würde, mit Werksautos an Rallyes teilzunehmen. Beim Start in San Remo ging es erst einmal über Asphalt, und ich fuhr vorneweg. Dann folgten zwei Tage in der Toskana auf Schotter. Hier waren Allradfahrzeuge natürlich schneller. Unser Kalkül war: Wenn die Allradler nach den zwei Tagen nicht mehr als vier Minuten Vorsprung haben, dann wird es für uns reichen, denn es folgte noch eine Nacht auf Asphalt. Nach der letzten Prüfung auf Schotter betrug unser Rückstand nur 2:10 Minuten. Es war also alles klar – bis uns eine Halbachse abriss. Das war der bitterste Ausfall in meiner gesamten Karriere. Ich war danach vier Wochen krank, so sehr hat mich das getroffen.
6. Der Meister beim Maestro
Herbert von Karajan war ein Autobegeisterter. Der weltberühmte Dirigent wollte mich unbedingt kennenlernen, und Ferdinand Piëch vermittelte ihm damals den Kontakt zu mir. Also bin ich zu Karajan nach Anif bei Salzburg gefahren. Der Maestro begrüßte mich: „Wissen Sie, warum ich mit Ihnen fahren will?“ „Naja, weil Sie Herrn Piëch kennen und weil wir zwei das gleiche Auto haben.“ „Nein, nein. Wissen Sie, ich habe eine Segeljacht, eine Swan. Das ist das Beste, was man sich kaufen kann. Und mein Flugzeug ist eine zweistrahlige Falcon, das beste Flugzeug in seinem Segment. Ich will immer nur das Beste. Und deshalb möchte ich mit Ihnen fahren.“ Wir fuhren von Anif Richtung Hallein ins Tennengebirge. Nach einiger Zeit sagte Karajan plötzlich: „Ich habe in Videos gesehen, dass Sie mit dem linken Fuß bremsen. Wie machen Sie das, können Sie mir das zeigen?“ Ich: „Dazu muss man aber an der physikalischen Grenze fahren, also richtig schnell.“ Karajan: „Es ist doch kein Verkehr, fahren Sie ruhig schnell. Wenn eine Linkskurve kommt, schaue ich für Sie voraus.“ Und dann lehnte er sich tatsächlich in Linkskurven weit über die Armaturentafel nach vorn zur Windschutzscheibe und rief jedes Mal: „Geht schon, geht schon!“ Zum Abschied sagte er: „Ich übe jetzt ein bisschen, und dann rufe ich Sie wieder an.“ Danach habe ich ihn noch zwei Jahre lang besucht. Das Fahren machte ihn so glücklich. Und er versprach mir: „Für Sie wird keines meiner Konzerte ausverkauft sein. Und um Sie dorthin zu bringen, steht mein Flieger immer bereit.“ Das Angebot freute mich sehr, aber ich konnte es nie einlösen. Mein Terminkalender war damals einfach zu voll.
7. Unglaublicher Sieg
Nachdem ich 1987 mit den Rallyes aufgehört hatte, sprang ich bei Straßenrennen ab und an für Hans-Joachim Stuck ein, wenn er verhindert war. So auch 1988 beim Trans-Am-Rennen in Niagara Falls. Die Strecke wurde auf dem welligen Stadtkurs mit Betonmauern abgegrenzt. Das bedeutet: keinen Zentimeter Auslauf. Für Straßenrennfahrer ist das tödlich, denn wenn die keinen Auslauf haben, trauen sie sich nicht, am Limit zu fahren. Wir Rallyefahrer dagegen waren das gewohnt. Im Training fuhr ich einen Vorsprung von 2,6 Sekunden heraus. Die Amerikaner sagten: „Reines Glück! Habt ihr gesehen – er ist immer nur eine Handbreit am Mauereinschlag vorbeigefahren. Der übersteht morgen keine fünf Runden!“ Beim Rennen am nächsten Tag herrschten 40 Grad Lufttemperatur und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Das Rennen dauerte gut drei Stunden, und ich überrundete das gesamte Feld einschließlich des Zweitplatzierten Scott Pruett. Die haben die Exaktheit des Rallyefahrens allesamt unterschätzt. Das war ein Rennen nach meinem Geschmack.
Walter Röhrl
Der am 7. März 1947 in Regensburg geborene Rallyefahrer ist eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Motorsportgeschichte. In seiner Profikarriere von 1973 bis 1987 gewann er zwei FIA-Fahrerweltmeisterschaften (1980 und 1984), eine Europameisterschaft (1974), 14 WM-Läufe und vier Mal die Rallye Monte-Carlo. Röhrls erstes eigenes Auto, das er sich im Alter von 21 Jahren kaufte, war ein Porsche 356. Seit 1993 ist Walter Röhrl als Testfahrer und Repräsentant für Porsche tätig. Er war federführend bei der Entwicklung des Porsche Carrera GT. Röhrl wuchs als jüngstes von drei Kindern nach der Trennung seiner Eltern bei der Mutter auf. Ab dem 16. Lebensjahr absolvierte der gläubige Katholik eine kaufmännische Ausbildung im Bischöflichen Ordinariat Regensburg. Mit 18 Jahren wurde Röhrl dort Fahrer eines Verwaltungsbeamten und absolvierte pro Jahr 120.000 Kilometer. Seit 1978 ist er mit seiner Frau Monika verheiratet und lebt mit ihr in Sankt Englmar. Röhrl ist trotz seiner Erfolge bescheiden geblieben: „Ich brauche keinen Hubschrauber, keine Jacht, kein Haus in Florida. Mir reichen mein Rennrad, eine Tour in den Bayerischen Wald und zehn Euro für eine Brotzeit zum Glücklichsein.“
„Genie auf Rädern“ – Porsche Museum
Zum 70. Geburtstag von Walter Röhrl zeigt das Porsche Museum in Zuffenhausen im Rahmen einer Sonderpräsentation vom 14. März bis 14. Mai 2017 einige seiner Fahrzeuge sowie eine Rallye-Simulation.
Weitere Informationen: www.porsche.com/museum
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 380
Text: Notiert von Bernd Zerelles // Fotos: Bernhard Huber; Privat