Der Le-Mans-Prototyp mit rund 900 PS (662 kW) Systemleistung wurde umfassend überarbeitet. Porsche peilt mit ihm den Hattrick an: Ziel ist es, zum dritten Mal in Folge nach 2015 und 2016 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans (17./18. Juni) sowie die Titel für Hersteller und Fahrer in der FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC zu gewinnen.
Fritz Enzinger, Leiter LMP1, sieht der Saison mit Respekt entgegen: „Jedes einzelne der neun Langstreckenrennen ist eine Herausforderung. Standfestigkeit ist die Basis. Sechs Stunden im dichten Verkehr der verschiedenen Rennwagen-Kategorien mit ihren Geschwindigkeitsunterschieden machen jeden Lauf unberechenbar und am Ende entscheiden oft nur Sekunden über den Sieg. Dabei bildet Le Mans mit der vierfachen Dauer der normalen Rennen die Spitze. Dieses 24-Stunden-Rennen ist eine absolute Grenzerfahrung für Mensch und Material. Toyota wird 2017 ein sehr starker Wettbewerber in der Topkategorie LMP1. Wir werden ihm mit einem akribisch weiterentwickelten Porsche 919 Hybrid und einem souveränen Fahrer-Sextett begegnen.“
Die Technik des Le-Mans-Prototyps
Vor allem in den Bereichen Aerodynamik, Fahrwerk und Verbrennungsmotor kommen am 2017er Porsche 919 Hybrid Neuerungen zum Einsatz. Teamchef Andreas Seidl, der weiterhin kommissarisch das Amt des Technischen Direktors schultert, erklärt: „Insgesamt lässt sich der Anteil der Neuentwicklungen für die Saison 2017 auf 60 bis 70 Prozent des Gesamtfahrzeugs beziffern. Das Basiskonzept des 919 Hybrid bietet weiterhin Spielraum zur Detailoptimierung und Effizienzsteigerung. Das Monocoque blieb gegenüber 2016 identisch, alle anderen Bauteile wurden auf ihr Optimierungspotenzial überprüft und mehrheitlich verändert.“ Das Monocoque besteht, genau wie in der Formel 1, aus Carbonfaser in Sandwichbauweise.
Aerodynamik
Das technische Reglement für die FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC schränkt für 2017 die Dimensionen einiger aerodynamisch relevanter Karosseriekomponenten weiter ein. Mit diesen neuen Maßen reduziert das Regelwerk den Abtrieb der Klasse-1-Prototypen und damit die Kurvengeschwindigkeiten. Dies dient der Sicherheit. Auf Basis der neuen Vorgaben und zusammen mit gewonnenen Erkenntnissen zur Weiterentwicklung schufen die Porsche-Ingenieure zwei komplett neue Aerodynamik-Pakete für den 919 Hybrid. Dahinter stand der Wunsch, den reglementbedingten Anstieg der Rundenzeiten möglichst wieder auszugleichen.
2016 hatte Porsche noch drei Aeropakete für die Saison aufgeboten, aber auch hier setzt das Reglement neue Grenzen. Andreas Seidl: „Die Beschränkung auf zwei aerodynamische Auslegungen pro Saison ist eine vernünftige Maßnahme im Sinne der Kostenkontrolle.“
2017 müssen mehr Kompromisse eingegangen werden
Eines der neuen Aerodynamik-Pakete ist schwerpunktmäßig für den Hochgeschwindigkeitskurs von Le Mans ausgelegt. Für hohen Topspeed auf den extrem langen Geraden liegt dort der Fokus auf möglichst geringem Luftwiderstand. Beim zweiten Aeropaket nimmt man einen höheren Luftwiderstand in Kauf, gewinnt dadurch aber Abtrieb für kurvigere Rennstrecken. Streckenspezifische Detailanpassungen sind weiterhin erlaubt. Grundsätzlich müssen 2017 aber mehr Kompromisse eingegangen werden als mit den drei Aero-Paketen im Vorjahr.
Besonderes Augenmerk legten die Ingenieure darauf, den Vorderwagen aerodynamisch unempfindlicher zu gestalten. „2016“, so Seidl weiter, „saugte die Frontpartie zu leicht Gummiabrieb von der Strecke auf. Dieser setzte sich fest und störte die Fahrzeugbalance. Das Phänomen wurde analysiert. In der Folge konnten wir die entsprechenden Karosserie-Teile optimieren.“
Höhere, breitere und längere Radhäuser
Beim Vorher-Nachher-Vergleich mit dem Vorjahres-919 fallen in der Frontansicht die höheren, breiteren und längeren Radhäuser ins Auge. Seitlich sind sowohl die angepassten hinteren Lufteinlässe für die Kühler als auch der neue Durchlass vom Monocoque zum Radhaus auszumachen.
„Durch die reglementbedingten aerodynamischen Einbußen rechnen wir in Le Mans mit einem Anstieg der Rundenzeiten von drei bis vier Sekunden“, kalkuliert Seidl. „Inwieweit sich das durch die verschiedenen Weiterentwicklungsmaßnahmen kompensieren lassen wird, ist noch nicht abzusehen.“
Antrieb
Zu diesen Weiterentwicklungsmaßnahmen gehört auch die neuerliche Effizienz- und Leistungssteigerung des Antriebsstrangs. Die Optimierungen betreffen die Getriebe an Vorder- und Hinterachse, den Verbrennungsmotor, die E-Maschine und die Rückgewinnungssysteme. Das Prinzip des Antriebs bleibt unverändert: Die Hinterachse des 919 wird von einem extrem kompakten Zweiliter-V4-Verbrennungsmotor angetrieben. Er verbindet Downsizing-Turbotechnologie mit effizienter Benzindirekteinspritzung, leistet knapp 500 PS (368 kW) und ist der effizienteste Verbrennungsmotor, den Porsche bislang gebaut hat. Darüber hinaus speisen zwei unterschiedliche Energierückgewinnungssysteme – Bremsenergie von der Vorderachse und Abgasenergie – über eine Lithium-Ionen-Batterie den Elektromotor, der auf Abruf die Vorderachse mit zusätzlich über 400 PS (294 kW) antreibt. Der in Weissach entwickelte 919 Hybrid ist der einzige Prototyp, der nicht nur beim Bremsen, sondern auch beim Beschleunigen Energie zurückgewinnt. Er erreicht eine Systemleistung von mehr als 900 PS (662 kW) und profitiert von der enormen Traktion, wenn beim Herausbeschleunigen aus den Kurven mehr als 400 PS an der Vorderachse zupacken und den 919 in einen Allradler verwandeln.
Etwa 60 Prozent der zurückgewonnenen Energie trägt das KERS (Kynetic Energy Recovery System) der Vorderachsbremsen bei. 40 Prozent liefert die Abgasenergierückgewinnung (AER). Von der an der Vorderachse gewonnenen Bremsenergie wiederum werden durchschnittlich 80 Prozent direkt in Antriebsenergie umgewandelt. Müsste der Verbrennungsmotor diese elektrische Leistung darstellen, bräuchte er über 100 PS (74 kW) mehr Leistung, wodurch der 919 gut 20 Prozent mehr Kraftstoff verbrauchen würde. In Le Mans wäre das rund ein Liter pro Runde. Ein weiterer Vorteil der hocheffizienten Rekuperation ist, dass der 919 dadurch mit kleineren und leichteren Bremsen auskommt. Das spart nicht nur Gewicht, sondern auch Luftwiderstand, denn die kleineren Bremsen brauchen weniger Kühlluft.
Der 919 startet auch 2017 in der höchsten Energie-Effizienzklasse
Zur Abgasenergierückgewinnung sitzt im Abgastrakt eine kleine Turbine. Sie dreht mehr als 120.000 Mal pro Minute und treibt einen Generator an. Der so erzeugte Strom wird – genau wie jener, den die vorderen Bremsen zurückgewinnen – in der Lithium-Ionen-Batterie zwischengespeichert. Von dort kann der Fahrer die Energie per Knopfdruck abrufen. Er „boostet“ am Kurvenausgang und sammelt beim Beschleunigen auch bereits wieder neue Energie aus dem Abgas ein. Damit die Turbine auch bei niedrigen Drehzahlen, also mit entsprechend geringem Abgasdruck, effizient funktioniert, verfügt sie über eine variable Turbinen-Geometrie. Trotz der raffinierten Technik ist es gelungen, bei der Abgasanlage Gewicht einzusparen.
Seidl: „Unser Ziel war es, trotz vieler Neuerungen – von Fahrwerkselementen über die Karosserie bis hin zu den Updates im Antriebsstrang – nicht über das Fahrzeuggewicht vom Vorjahr zu kommen.“
Der 919 startet auch 2017 in der höchsten Energie-Effizienzklasse, die das Reglement vorsieht. Das bedeutet: Auf einer 13,629 Kilometer langen Runde in Le Mans darf er 8 Megajoule aus der Energierückgewinnung einsetzen, dafür aber maximal 4,31 Liter Benzin verbrauchen. Beide Verbrauchswerte werden von der FIA per Telemetrie streng überwacht, abgerechnet wird nach jeder Runde.
Fahrbarkeit und Reifen
Neben mechanischen Weiterentwicklungen des Fahrwerks tragen Software-Neuerungen zur verbesserten Fahrbarkeit des 919 bei. Diese betreffen insbesondere die Traktionskontrolle und das Hybridmanagement. Beides hat großen Einfluss auf die Haltbarkeit der Reifen. Diesem Punkt kommt 2017 eine noch größere Bedeutung zu. Pro Rennwochenende und Auto stehen den LMP1-Teams jetzt drei Reifensätze weniger zur Verfügung. Deshalb müssen die Reifensätze im Rennen häufiger Doppelstints aushalten – also die Reichweite von zwei Tankfüllungen. Das ergibt eine Fahrzeit von rund anderthalb Stunden. Seidl: „Zusammen mit unserem Partner Michelin haben wir uns intensiv vorbereitet, damit wir das Tempo auch bei Doppelstints bis zum Schluss hoch halten können. Denn die Rennen, ob sechs oder 24 Stunden, werden auch 2017 Sprintcharakter haben.“ In der Nacht von Le Mans, also bei kühleren Temperaturen, werden sogar Vierfachstints mit einem Reifensatz gefahren.
WEC: Plattform für Technologiepioniere
Das einzigartige Effizienzreglement für Klasse-1-Le-Mans-Prototypen macht die WEC zur idealen Plattform für Porsche und bewegte das Unternehmen, 2014 in den Spitzenmotorsport zurückzukehren. Das Regelwerk lässt den Ingenieuren ungewöhnlich viel Freiraum für unterschiedliche Antriebskonzepte und verlangt zukunftsträchtige Technologien wie Hybridisierung, höchst effiziente Downsizing-Motoren oder konsequenten Leichtbau. Die WEC ist damit das richtige Umfeld, um Innovationen für Straßensportwagen zu entwickeln und zu erproben.
Aufeinandertreffen mit dem Wettbewerb
Ab morgen steht das erste Aufeinandertreffen des WEC-Feldes auf dem Programm. Beim sogenannten Prolog der WEC wird am Samstag und Sonntag insgesamt 14 Stunden lang getestet. Am Samstag auch zwei Stunden nach Sonnenuntergang.
Das Porsche LMP Team wird an beiden Tagen mit beiden Einsatzfahrzeugen testen. Den Hybrid-Rennwagen mit der Startnummer 1 teilen sich Neel Jani (33, CH), André Lotterer (35, DE) und Nick Tandy (32, GB). Jani ist amtierender Weltmeister und Le-Mans-Sieger von 2016. Lotterer wurde 2012 mit Audi Weltmeister und bringt die Erfahrung von drei Le-Mans-Gesamtsiegen mit. Tandy gehörte 2015 zur siegreichen Porsche-Mannschaft in Le Mans. Am Steuer des Schwesterautos mit der Startnummer 2 wechselt sich Timo Bernhard (36, DE), Weltmeister 2015, mit den beiden Neuseeländern Earl Bamber (26) und Brendon Hartley (27) ab. Bamber siegte 2015 zusammen mit Tandy in Le Mans, Hartley wurde im selben Jahr gemeinsam mit Bernhard Langstrecken-Weltmeister.