Könnte man einen Blick in Daniel Harpers Kleiderschrank werfen, so dürfte neben den Porsche-Overalls voller Sponsorenlogos, strahlend weißen Rennfahrerstiefeln und dem maßgefertigten Helm auch ein etwas anderes Kleidungsstück auffallen: eine Schuluniform samt Krawatte. Als Harper Ende letzten Jahres das prestigeträchtige Juniorprogramm des Porsche Carrera Cup GB gewann, war er gerade mal 16 – und damit noch nicht einmal berechtigt, am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Inzwischen ist er 17 und schickt sich an, im Carrera Cup 2018 einen 911 GT3 Cup mit 491 PS zu fahren. Nach den Rennen geht es natürlich zurück auf die Schulbank.
Wir treffen das unglaublich beschäftigte Wunderkind während der Vorbereitung auf ein paar Demo-Runden im Rahmen des 76. Goodwood Members’ Meeting. Dan ist zum ersten Mal in Goodwood dabei, das in diesem Jahr bei außergewöhnlich frostigen Temperaturen, eisigem Wind und gelegentlichem Schneefall stattfindet.
Der 3,7 km lange Rundkurs, lange vor Einführung heutiger Sicherheitsstandards erbaut und alles andere als anspruchslos, ist vielleicht nicht die übliche Probestrecke für 17-Jährige, die ihren Führerschein seit gerade mal drei Monaten haben – schon gar nicht vor Zehntausenden Zuschauern in einem widerstandsreduzierten Le Mans-Rennwagen aus den 1970ern mit mehr als 800 PS auf den Hinterrädern und einem Versicherungswert von über 200 Mio. Euro.
Als die Techniker vom Porsche Museum die Drehzahl langsam hochfahren, meldet sich der mächtige, turbogeladene Sechszylinder der nicht ohne Grund „Moby Dick“ genannten Legende mit Röhren und Rattern, der Klang seines Auspuffs hallt durch den Raum. Dan Harper wartet unterdessen ungeduldig und mit freudig geröteten Wangen auf seinen Einsatz, offenbar ohne eine Spur von Nervosität.
Vielleicht liegt das daran, dass ihm diese Welt schon seit frühester Kindheit vertraut ist. „Mein Vater war Rallyemechaniker und fuhr in der Irish Tarmac Rally Championship WRC-Autos“, erklärt Harper. „Seine Werkstatt war bei uns zu Hause, ich habe also praktisch schon seit der Geburt mit dem Motorsport zu tun. Es liegt im Blut meiner Familie. Mit sechs Jahren bekam ich mein erstes Quad und bin seitdem nicht mehr hinter dem Steuer hervorgekommen. Es hat alles sehr früh begonnen, aber es ist auch ein langer Weg.“
Lang ist der Weg zwar, doch Harper meistert ihn erstaunlich schnell, wie in den vergangenen Monaten zu sehen war: „Die Fahrprüfung habe ich im Dezember 2017 bestanden. Ich bin ja erst am 8. Dezember 17 geworden. Die Leute haben sich ein bisschen lustig gemacht, weil ich während des Porsche-Juniorprogramms noch nicht einmal die Fahrerlaubnis hatte, aber es ist schon cool, mit 16 einen 911 GT3 zu fahren. Die Gelegenheit hatten noch nicht viele.“
Der Moby Dick wird verehrt wie der 917K oder der 919 Hybrid
Noch weniger haben schon einmal auf dem Fahrersitz eines Moby Dick gesessen, einer der bekanntesten Rennwagen von Porsche, der von vielen so verehrt und geschätzt wird wie der Salzburger 917K oder der 919 Hybrid.
Um Dans Glück perfekt zu machen, wird er heute von keinem Geringeren als Jochen Mass unterstützt, dem Mann, der den „Wal“ 1978 in Le Mans fuhr. Mass wird die Reifen auf die richtige Temperatur bringen und den Wagen dann standesgemäß in der Boxengasse an Harper übergeben.
Jochen Mass hat bereits Platz genommen und freut sich sichtlich, wieder auf der Piste zu sein. Der 71-Jährige Rennveteran nahm an einigen verhängnisvollen Rennen der Formel-1-Geschichte teil und prägte die besten Momente des Motorsports entscheidend mit. Für Porsche fuhr er die 24 Stunden im 956, 962 und 936, neben einem DNF 1978 im Moby Dick.
Heute ist Mass umgeben von einstigen Rivalen, wie dem Ferrari 512, Lancia Beta Montecarlo und zwei BMW 320 Turbos. Wohin man auch sieht, überall riesige Spoilerlippen, kultige Radläufe und monumentale Heckflügel. Auspuffe knallen, Motoren heulen auf und in der Luft hängt der unverwechselbare Duft echter Old-School-Emissionen.
Als Mass dieses einzigartige Museumsstück in Fahrt und dann in die erste Kurve bringt, wird klar, dass er nichts von seinem Kampfgeist verloren hat. Nach vollen zwei Tagen Rennbetrieb mit historischen Fahrzeugen der Vor- und Nachkriegszeit ist die Strecke mit einem Ölfilm überzogen, die kurze Auslaufzone aus Gras noch immer schneebedeckt und die Reifenstapel, tja, die sucht man in Goodwood vergebens.
Als Daniel Harper an der Reihe ist, hat ein Fahrzeug noch mehr Öl auf der Piste hinterlassen. Mass fährt in die Box und steigt aus. Er wechselt ein paar Worte mit Dan und entlässt ihn dann mit einem zuversichtlichen Schulterklopfen. Ein bisschen rutschig mag es wohl sein, aber nicht allzu schlimm. Am besten, Harper lässt es die ersten Runden ruhig angehen.
Dieser klettert nun in sein Fahrzeug, unter Nomex-Sturmhaube und Helm ist sein Gesichtsausdruck nicht mehr erkennbar, und die Techniker des Museums geben ihm ein paar letzte Ratschläge. Dann werden die leichtgewichtigen Türen zugeschlagen.
Nun befindet sich Dan Harper in einer Welt, in der man Throttle-by-Wire und sequentielle Getriebe mit Wippenschaltung vergeblich sucht. Vor ihm liegt das analoge Erbe des Motorsports mit schwerer Kupplung, manuellem Vierganggetriebe und ohne unterstützte Lenkung. Hinter ihm warten 800 PS auf ihren Einsatz, natürlich nicht ohne das Turboloch, das die meisten von uns nur vom Hörensagen kennen.
Harper fährt zwischen einem halben Dutzend privaten 935ern an den Start und als die Motoren anlaufen, wächst auch die Spannung unter seinen Freunden und Familienmitgliedern spürbar. Die Flagge wird geschwenkt, Harper betätigt die Kupplung und das Monument der glorreichen Zeiten der Gruppe 5 beginnt seine Fahrt schlitternd auf der Suche nach Grip. Für die Zuschauer sind es atemberaubende Momente, die nur ahnen lassen, wie es sich für Harper im Cockpit anfühlt.
Am Ende zeigt sich, dass dieser durchaus über einen klaren Kopf und Anpassungsvermögen verfügt. „Zu Beginn bin ich es langsam angegangen“, erklärt Daniel. „Ich wollte zuerst ein Gefühl dafür entwickeln und sicherer werden. Dann habe ich etwas zugelegt und war im Flow. Zum Ende war es einfach unvergleichlich, ich hätte den ganzen Abend weiterfahren können.“
Der junge Rennfahrer ist in seinem Element – und steht am Beginn einer verheißungsvollen Karriere. Er spricht offen über seine ehrgeizigen Ziele: „Jeder würde gerne in Le Mans starten, ich habe es also stets vor Augen. Kein leichtes Ziel, aber auf jeden Fall erreichbar, denke ich. Es kommt darauf an, den richtigen Moment zu erwischen. Dass Porsche mein Talent gerade erkennt, ist ein tolles Gefühl, und hoffentlich etwas, das sich weiterentwickeln wird.“
Interesse zeigt Harper auch an der Formel E, die ihm vertrauter ist als die Gruppe 5 und ähnliche Serien der Vergangenheit. „Ich denke, die Formel E wird mit jedem Jahr besser. Den meisten fehlen die Motorengeräusche, aber ich finde sie auf jeden Fall zukunftsträchtig, und solange ich im Cockpit sitze, kann ich ruhig ehrlich sein. Porsche steigt 2019 in die Formel E ein und ich bin mir sicher, dass sie so schnell sein werden wie damals in Le Mans. Damit erscheint mir ein Start bei diesem Rennen möglich und machbar. Ich muss einfach nur weiter ehrgeizig bleiben.“
Daran bestehen keine Zweifel. Zuerst heißt es für Harper allerdings: mit dem ersten Flieger zurück zur Schule, gerade rechtzeitig für die letzten Stunden vor der Mittagspause. Nicht nur seine Mitschüler dürften ihn gespannt erwarten.