Die Entwicklungsgeschichte des neuen Porsche 911 RSR

Beim 10-Stunden-Rennen Petit Le Mans auf der Traditionsrennstrecke Road Atlanta konnte Porsche Motorsport am vergangenen Samstag die ersten beiden Titel des neuen 911 RSR feiern.

Dort sicherten sich Patrick Pilet (Frankreich) und Dirk Werner (Würzburg) mit dem 510 PS starken GT-Renner aus Weissach den Gewinn des prestigeträchtigen North American Endurance Cup. Für diese härteste Performance- und Zuverlässigkeitswertung im weltweiten GT-Rennsport werden neben dem Petit Le Mans auch die Langstreckenklassiker Daytona, Sebring und Watkins Glen gewertet. Das Porsche GT Team erkämpfte sich in diesem einzigartigen Wettbewerb, bei dessen vier hochkarätigen Rennen Teams und Fahrer insgesamt 52 Stunden lang ihre Konstanz und Zuverlässigkeit unter Beweis stellen müssen, darüber hinaus den Sieg im Teamklassement. Für das erste Glanzlicht seiner Premierensaison hatte der neue 911 RSR bereits am 22. Juli gesorgt, als er in Lime Rock beim Rennen der IMSA SportsCar Championship seinen ersten Sieg holte.

„Der Gewinn des North American Endurance Cup hat gezeigt, dass wir bei den großen Langstreckenrennen immer zum richtigen Zeitpunkt weit vorne lagen und damit über die Saison vor allem auch die Zuverlässigkeit unseres neuen 911 RSR unterstrichen haben. Für eine Einsteigersaison mit einem komplett neuem Auto war das eine gute Leistung“, sagte Dr. Frank-Steffen Walliser, Leiter Motorsport und GT-Fahrzeuge. Für Marco Ujhasi, Gesamtprojektleiter GT Werksmotorsport, war vor allem der erste Rennsieg des neuen 911 RSR „ein besonders emotionaler Moment. Auf diesen Tag haben wir alle mit Herzblut und bedingungsloser Leidenschaft hingearbeitet.“

Komplette Neuentwicklung

Der 911 RSR, der vom Porsche GT Team in dieser Saison auch in der Sportwagen-Weltmeisterschaft WEC eingesetzt wird, ist eine komplette Neuentwicklung. Die wichtigste Neuerung ist der vor der Hinterachse eingebaute Motor. Dadurch erreichte man eine bessere Gewichtsverteilung und schaffte gleichzeitig Platz im Heck für einen größeren Diffusor, der deutlich mehr Abtrieb generiert.

Mit der Entwicklung des neuen 911 RSR wurde Anfang 2015 begonnen. Ein kleines Team mit Vertretern der einzelnen Fachbereiche war zunächst damit beschäftigt, „Lesson Learnt“-Potenziale des Vorgängermodells zu analysieren sowie das sportliche und technische Reglement zu studieren. Mit Hilfe dieser Erkenntnissen wurde dann das neue Fahrzeugkonzept auf die Anforderungen des modernen Langstreckensports zugeschnitten. Auch die Fahrer waren so früh wie noch nie in die Entwicklung mit einbezogen. „Die Fahrer müssen sich wohlführen im Auto“, so Marco Ujhasi. „Nur dann sind sie am Ende eines anstrengenden Stints noch in der Lage, die Topleistungen zu erbringen, die es braucht, um in dem schwierigen Wettbewerbsumfeld erfolgreich zu sein.“

50-Stunden-Dauertest auf Buckelpiste

Die ersten Kilometer mit dem neuen 911 RSR legten alle GT-Werksfahrer beim Roll-out im März 2016 auf der Porsche-Teststrecke im Forschungs- und Entwicklungszentrum Weissach zurück. Danach standen ausgiebige Tests auf Rennstrecken an, von denen jede mit Blick auf eine bestimmte Entwicklungsaufgabe ausgewählt wurde: Fahrwerkabstimmung, Reifenentwicklung, Bremsenentwicklung sowie Aerodynamikvalidierung. Der Höhepunkt der Testphase war ein 50-Stunden-Dauerlauf in Sebring. „Das hat sich meines Wissens noch kein anderer Hersteller zugetraut“, sagt Marco Ujhasi. Doch der Test auf dem Flugplatzkurs in Florida, auf dem wegen seiner vielen Bodenwellen Mensch und Material mit am stärksten beansprucht werden, verlief ohne größere Probleme: „Gerade wegen der enormen Belastung war es der richtige Weg. Das hat sich zum Saisonauftakt bei den Langstreckenklassikern in Daytona und Sebring gezeigt, bei denen unser neues Auto auf Anhieb mit einer starken Performance überzeugte.“

911 RSR, 2017, Porsche AG
Test auf dem Flugplatzkurs in Florida

Angetrieben wird der neue 911 RSR von einem hochmodernen frei saugenden Sechszylinder-Boxermotor. Der Hubraum beträgt 4.000 ccm, die Leistung je nach Restriktor ca. 375 kW (510 PS). Das Aggregat verfügt über Benzin-Direkteinspritzung sowie einen starren Ventiltrieb und zeichnet sich durch hervorragende Effizienz aus. Es ist die konsequente Weiterentwicklung innerhalb der Porsche-Saugmotorfamilie, die sowohl die Anforderungen eines Rennmotors für den 911 RSR erfüllt, aber auch die eines 911 GT3 für die Straße. Die Entwickler haben sich nicht allein wegen des Gewichtsvorteils von bis zu 40 Kilogramm für einen Saugmotor entschieden. Marco Ujhasi: „Ein Sauger ist ein sehr emotionales Aggregat für die Käufer unserer Straßenfahrzeuge, verfügt gleichzeitig aber auch über das Leistungspotenzial, um die hohen Anforderungen des Rennsports zu erfüllen.“

Motorentests auf Prüfstand und Rennstrecke

Dank der hervorragenden Grundmotorenentwicklung für den 911 GT3 R lief der RSR-Motor nach etwa sieben Monaten zum ersten Mal auf dem Prüfstand. Mit den eigentlichen Dauerläufen wurde nach einem knappen Jahr begonnen. Das Erprobungsprogramm für den Motor des 911 RSR bestand unter anderem aus zwei 70-Stunden-Dauerläufen unter unterschiedlichen Witterungsbedingungen. Insgesamt absolvierte das Triebwerk über 300 Stunden im reinen Dauerlauf. Doch trotz der hochentwickelten Motorenprüfstände ist der Test auf der Rennstrecke weiterhin sehr wichtig.

„Auf den Prüfständen simulieren wir maximale Stresssituationen, etwa eine besonders schnelle Qualifikationsrunde auf Strecken mit maximalem Vollgasanteil wie Daytona oder Le Mans“, sagt Marco Ujhasi. „Besondere Rennsituationen wie Gelbphasen oder das Wegfahren aus der Boxengasse kann man auf dem Prüfstand nicht simulieren. Diese Erkenntnisse sowie die Einflüsse aus dem Gesamtfahrzeug muss man sich auf der Rennstrecke holen.“

Umfangreiche Windkanalversuche

Am Anfang der Aerodynamikentwicklung für den neuen 911 RSR stand die Computersimulation CFD (Computional Fluid Dynamics). Sie bietet die Möglichkeit, verschiedene Konzepte und Bauteile zu bewerten, ohne gleich ein Modell bauen zu müssen. Danach ging es mit ausgewählten Konzepten in den Modellwindkanal mit echter Strömung. Nach diesen Versuchen stand das Auto bereits zu 80 Prozent. Der nächste Schritt für die letzten 20 Prozent war die Erprobung im großen Windkanal in Weissach mit seinem Laufband. Dort kann man eine Rennstrecke fast identisch simulieren, kann ganze Kurven nachstellen und weiß danach, wie sich das Auto auf der echten Rennstrecke verhalten wird. Diese Erkenntnisse fließen dann zurück in die Computersimulation, mit deren Hilfe man zum Beispiel auch sehr genau voraussagen kann, welche Rundenzeiten das Auto im Normalfall auf der Rennstrecke fahren wird.

911 RSR, 2017, Porsche AG
Der 911 RSR im Windkanal

Signifikant verbessert wurde beim neuen 911 RSR die Servicefreundlichkeit. Veränderungen an der Fahrwerkeinstellung können deutlich schneller und einfacher durchgeführt werden, komplette Elemente der Kohlefaserhaut lassen sich nach einem Kontakt im Rennen dank ausgeklügelter Schnelllverschlüsse in kürzester Zeit komplett tauschen. So kann etwa eine Tür innerhalb von nur 15 Sekunden ersetzt werden, eine vordere Stoßstange mit Unterboden ist in weniger als einer Minute ausgewechselt. „Wer derartige Probleme mit seinem privaten Straßenauto hat“, so Marco Ujhasi, „ist einen Tag mit Taxi oder Straßenbahn unterwegs.“

Beim neuen 911 RSR halten erstmals hochmoderne Assistenzsysteme Einzug in einen GT-Rennwagen von Porsche. Durch das radargestützte Kollisionswarnsystem „Collision Avoidance System“ hat der Fahrer, der auf der Rennstrecke zwangsläufig immer wieder von leistungsstärkeren und dadurch schnelleren Prototypen überholt wird, einen verbesserten Blick nach hinten. Auf einem Monitor im Cockpit zeigen ihm Pfeile an, wenn sich Fahrzeuge direkt hinter ihm befinden. An der Farbe der Pfeile kann er erkennen, ob ein Auto hinter ihm aufschließt oder zurückfällt. Dieses System funktioniert nicht nur bei schönem Wetter, sondern auch bei Regen, Nebel und in der Nacht. Ein neuer Sicherheitskäfig sowie ein neuer, fest verschraubter Rennsitz erhöhen die Sicherheit für die Fahrer zusätzlich.

Werksfahrer und Einsatzteams in Entwicklung involviert

Die Porsche-GT-Werksfahrer waren sehr früh in die Entwicklung des neuen 911 RSR involviert. Dabei ging es zunächst um die beste Sitzposition und die Sicht nach vorne, aber auch um die Ergonomie. Sie muss so sein, dass die Fahrer bei Langstreckenrennen nicht durch eine für sie schlechte Sitzposition beeinträchtigt werden. Wichtig war auch die bestmögliche Platzierung der zahlreichen Lämpchen und Schalter am Lenkrad und im Cockpit. Jeder Knopf und Schalter muss gut erreichbar und sicher zu bedienen sein. So wurde eine Basis geschaffen. Als der neue 911 RSR dann auf den Rädern stand, ging es ans Feintuning. Die Fahrer und Einsatzteams waren vom ersten Test an daran beteiligt, auftretende Schwächen auszumachen und das Auto zusammen mit den Ingenieuren weiterzuentwickeln.

Mit dem Ergebnis dieser offenen Zusammenarbeit sind die Beteiligten sehr zufrieden. Richard Lietz, 2015 als bester GT-Pilot Gewinner des FIA Endurance World Cup, fasst das Resultat des neuen Entwicklungsprozesses für seine Kollegen so zusammen: „Der neue 911 RSR ist das beste GT-Auto, das Porsche jemals gebaut hat.“ Nach der Premierensaison 2017, in der der 911 RSR exklusiv von den Werksteams in der FIA WEC und der IMSA-Meisterschaft eingesetzt wurde, bietet Porsche Motorsport das Fahrzeug 2018 auch ausgewählten Kundenteams an.

Weitere Zahlen und Fakten

Der neue 911 RSR besteht aus insgesamt 5.342 Bauteilen. Davon entfallen 3.646 Teile auf das Fahrzeug, 1.282 auf den Motor und 414 auf das Getriebe. Das größte Einzelteil ist die Rohkarosse, das kleinste ein Sicherungsring am Türgriff.

Insgesamt sieben 911 RSR wurden bei Porsche Motorsport in Weissach für die Saison 2017 gebaut: Je zwei für den Einsatz in der Sportwagen-Weltmeisterschaft WEC und der IMSA SportsCar Championship sowie drei Testfahrzeuge. Mit dem Aufbau eines 911 RSR sind vier Mitarbeiter zehn Arbeitstage beschäftigt.

Vom Roll-out im März 2016 bis zu seiner Rennpremiere im Januar 2017 bei den 24 Stunden von Daytona wurden mit dem neuen 911 RSR über 35.000 Testkilometer abgespult – mehr als bei der Entwicklung jedes anderen Porsche-GT-Rennautos zuvor.

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