Er ist der Star in Le Mans. Doch für ihn ist Le Mans der Star. „Patrick, Patrick…!!!“, kreischen die Fans, vor allem weibliche, generationenübergreifend. Bei der Fahrerparade für das 24-Stunden-Rennen bereiten sie ihm einen grandiosen Empfang in der Innenstadt. Es sind noch 20 Stunden bis zum Start. Patrick Dempseys blaue Augen strahlen in die Menge, und die Menge strahlt zurück.

Man sieht es gleich: Er braucht weder Filmschminke noch schmeichelnde Ausleuchtung am Set. Der Mann tritt einem haargenau so gegenüber, wie man ihn zu kennen glaubt. Ein Mensch in HD. Authentisch. Selbst die souveräne Ernsthaftigkeit, die er in der Krankenhausserie „Grey’s Anatomy“ mimt, ist präsent. Er will sich aufs Rennen konzentrieren. Das ist das Wichtigste. Die Erfüllung seines Traumes ist jetzt zum Greifen nah – mit Porsche in Le Mans antreten. Dempsey ist Rennfahrer aus Leidenschaft. Dennoch gibt er bei der Parade am Freitag den Filmstar – winkt, grüßt, schreibt Autogramme, lässt sich immer wieder mit Fans fotografieren. Professionell. Und dankbar. Für die Fans der Serie mag es ein wenig enttäuschend sein, aber Dempsey sagt: „Ich finde momentan in der Schauspielerei nicht die Befriedigung wie im Rennwagen. Ich genieße es, eine regelmäßige Arbeit zu haben in einer tollen Serie, die seit zehn Jahren läuft und mir ermöglicht, Rennen zu fahren. Aber ich habe viele andere Rollen abgelehnt, weil mir der Sport wichtiger ist.“

Am Anfang war die Schnellstraße Nummer 4

Autos, Wettbewerb und Auftritt – alle seine Leidenschaften waren früh angelegt. Am Anfang war die Schnellstraße Nummer 4 in Lewiston im US-Bundesstaat Maine. Das nie abreißende Geräusch der nahe am Elternhaus vorbeifahrenden Autos faszinierte den kleinen Patrick. Freitage waren Feiertage. Dann brachte ihm sein Vater, ein Versicherungsvertreter, ein Matchbox-Auto mit. „Ich wartete immer an der Tür, gespannt, welches Modell es diesmal sein würde.“ Noch immer schaut er Autos gerne an: „Es sind Skulpturen für mich.“

In seiner Jugend fuhr er sehr erfolgreich Ski, siegte, träumte davon, bei den Olympischen Spielen zu starten. Daraus wurde zwar nichts, aber Schwung und Ideallinie hat er verinnerlicht. Heute behandelt er Kurven auf der Rennstrecke wie Tore beim Abfahrtslauf. „Für mich schließt sich ein Kreis. Im Rennwagen lebe ich meine Kindheitsträume aus“, sagt er. Patrick war geschickt, schnell, lernte jonglieren, trat als Zauberkünstler auf, wollte Clown werden.

Sein erster großer Film „Can’t Buy Me Love”, eine Teenagerkomödie von 1987, brachte ihm die erste ordentliche Gage ein. Ein Autoverkäufer freute sich über den Scheck. „Ich erstand ein 1963er Porsche 356 Cabriolet – das beste Auto, das ich je hatte. Ich werde es nie hergeben“, verspricht Dempsey. 15 Jahre lang war der Wagen sein Alltagsauto. Er nennt es „absolutely bulletproof“, kugelsicher. Hatte er sich früher jedes Autorennen mit seinem Dad angeschaut, erlebte jetzt seine Ehefrau Jillian Fink, wie er die Übertragungen verschlang. „Irgendwann sagte sie: Jetzt aber runter von der Couch, mach es selbst!“ Sie schenkte ihm einen Lehrgang in der amerikanischen Skip Barber Racing School. Anschließend absolvierte er noch die Panoz-Rennfahrerschule. Chefinstruktor war ein gewisser Joe Foster – heute sein Teamkollege.

Porsche und Le Mans – beides hat für ihn Magie

Von seinem ersten Rennen sind Patrick Dempsey starke Eindrücke in Erinnerung geblieben. Mid-Ohio, 35 Grad im Schatten. „Ich dachte, ich gehe ein auf der Startaufstellung. Aber dann war es einfach nur großartig, da draußen im Rennwagen zu sein, real in dieser Situation. Es gibt nichts Vergleichbares. Ein Rennen ist wie ein Ballett, es ist poetisch und wahnsinnig emotional.“ Er rechnet nach: „Ich bin schon 17 Jahre im Rennsport. Und jetzt wird mein Traum wahr.“

Porsche und Le Mans. Beides hat für ihn Magie. „Der 911 ist eine Ikone, er steht für Speed, Performance, Langlebigkeit, Erfolg und Fahrspaß – Porsche verkörpert einfach alles.“ Er erinnert sich, wie in den späten 1970er-Jahren alle verrückt waren nach dem 930, dem sein gigantischer Heckflügel den Spitznamen „Whale Tail“ einbrachte. Und er blickt in der Box versonnen auf seinen 911 GT3 RSR, mit dem er in der Klasse GTE-Am startet („Am“ als Kürzel für Amateur unterscheidet die privaten von den Werksteams). Sein Rennwagen hat ebenfalls einen riesigen Heckflügel über seinem 338 kW (460 PS) starken Sechszylinder-Boxer-Motor. Dempsey hat trainiert, endlose Meilen auf dem Fahrrad, unzählige Stunden im Gym, seine Renneinsätze in der American Le Mans Series (ALMS) haben ihn obendrein gestählt. Er hat ein neues Team aufgebaut. Dempsey Del Piero Racing, gemeinsam mit Alessan dro Del Piero, dem italienischen Fußballstar, seinerseits eine Ikone. Im Mai beim ALMS-Rennen in Laguna Seca gelang dem Team ein zweiter Platz. „Wir hätten gewinnen können“, sagt Dempsey, „und das hat alles verändert. Seitdem wollen wir es alle, das ganze Team.“ Er womöglich am meisten.

Vor dem Le-Mans-Einsatz 2013 war er mit dem Team Dempsey/Del Piero Proton zum Test in Monza. Kein Rummel, ganz basisnah einfach nur Auto fahren. Er schmunzelt und sagt: „Vielleicht wurde erwartet, dass da dieser Schauspieler kommt, ein paar Show-Runden dreht und wieder abhaut.“ Es kam aber nicht der Filmstar in den Königlichen Park zu Monza, sondern Patrick Dempsey, der Rennfahrer. Er verschliss einen Reifensatz nach dem anderen, bis Nachschub organisiert werden musste und jemand eilig loszog, um auch noch Treibstoff zu holen. „Wir sind gefahren und gefahren – das war einer der schönsten Tage in meinem Leben.“

Bei seinem ersten Besuch verliebte er sich in Le Mans

2005, bei seinem ersten Besuch als Zuschauer, verliebte er sich in Le Mans. Zufällig war damals ein gewisser Patrick Long an Bord desselben Flugzeugs. 2013 ist der 32-jährige Porsche-Werksfahrer Dempseys schnellster Teamkollege. 2009 hatte Dempsey seinen ersten Le-Mans-Start auf die Beine gestellt. „Ich werde die Nacht nie vergessen. Es war eine körperliche und eine transzendentale Erfahrung in vielerlei Hinsicht. Man wünscht es sich so lange, und dann ist man mittendrin. Allein da draußen, erlebt sich körperlich und schaut sich gleichzeitig zu. Ein Teamkollege wurde krank, Joe und ich sind dann allein gefahren. Immer weiter. Wir wollten es einfach schaffen, ankommen. Ich fuhr wohl zehn Stunden. Darum geht es: sich selbst herausfordern und in Situationen bringen, die man sich nicht vorstellen konnte.“

Er beschreibt diese Situationen so, dass man sie sich vorstellen möchte: „Wenn es dunkel wird über der Rennstrecke, ist die Einsamkeit im Auto überwältigend. Der Motor hämmert, die ganze Verantwortung liegt bei dir allein. Irgendwann geht dann die Sonne auf und du willst weinen. Das ist so ergreifend. Und es ist die schwierigste Phase, weil es dann noch so weit ist bis zum Ziel am Nachmittag.“

Le Mans ist für Patrick Dempsey noch mehr als die Krone aller Langstreckenrennen. „Es ist wie nach Hause zu kommen. Ich fühle eine Verbindung zu den Menschen und der Gegend, alles ist magisch, alles spricht zu mir, es ist eine ganz starke Anziehungskraft.“ Er spielt mit dem Gedanken, sich hier ein Haus zu kaufen. Le Mans bewegt ihn. Es klingt nicht übertrieben, wenn er sagt: „Ich habe 2012 in jedem Moment an die Rückkehr gedacht und darauf hingearbeitet.“

Die Flagge fällt. Platz vier, am Podium vorbei

Die 90. Auflage des Rennens hält alle Arten von Dramen bereit. Auch Wetterkapriolen mit Starkregen. Long führt in der ersten Stunde die Klasse an. Später liegt Dempsey mit dem Auto in Führung – zum ersten Mal in Le Mans. Das rein amerikanische Trio Dempsey-Foster-Long beginnt, an einen Sieg zu glauben. Kurz nach Mitternacht rammt ein LMP-Rennwagen Dempsey von der Bahn. Er kann weiterfahren. Die Flagge fällt. Platz vier, am Podium vorbei. Wo ging die Zeit verloren? Vielleicht schon in den ersten Stunden bei einem außerplanmäßigen Stopp wegen eines aufgeschlitzten Reifens. Jetzt ist auch Dempsey die Erschöpfung anzusehen. Er ist enttäuscht.

Es dauert, bis er das Geleistete realisiert. Er hat keinen Fehler gemacht, sich Respekt verdient. Aber das reicht ihm nicht. Ein Siegerpokal ist der neue Oscar. Lässt sich da keine Verbindung schaffen? „Es wäre schön, einen Film zu machen, der Menschen für den Rennsport begeistert, die sich bisher noch gar nicht dafür interessieren. Aber er müsste auch so sein, dass die Racer sich wiederfinden und dahinterstehen. Das ist sehr schwierig, aber es wäre toll.“ Noch so eine Gemeinsamkeit von Patrick Dempsey und Porsche – immer das Beste aus zwei Welten im Visier.

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