Mir geht schon seit Tagen eine Liedzeile nicht aus dem Kopf: „I want to wake up in a city, that doesn’t sleep“. Kein Wunder. Frank Sinatra meint in seinem Song zwar New York, für mich trifft diese Zeile aber noch viel besser auf Tel Aviv zu.
In der israelischen Hightech-Metropole wird wenig geschlafen – zumindest ich habe in den letzten Tagen kaum ein Auge zugetan. Und dennoch fühle ich mich nach meiner Reise nach Israel voller Kraft und Energie.
Tel Aviv ist einfach eine riesige Baustelle – eine fantastische Mischung aus futuristischen Glasfassaden, verfallenden Bauhaus-Gebäuden, liebevoll restaurierten Villen und baufälligen Lagerschuppen, Hightech und Shabby Chic, Boomtown und Strandbars. Die Stadt erfindet sich ständig selbst neu, alles ist stetig im Fluss und dennoch kommt nirgends das Gefühl von Großstadthektik auf. Jeder hier arbeitet hart – und trotzdem wirken die Menschen unglaublich entspannt. Und viele sind extrem erfolgreich.
Mehr Ingenieure pro Kopf als irgendwo sonst auf der Welt
In Israel mit seinen lediglich knapp 8,5 Millionen Einwohnern gibt es 7.000 Unternehmen im Hightech-Sektor und über 356.000 hochqualifizierte Beschäftigte. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Ingenieure pro Kopf als hier. In den letzten vierzig Jahren hatten 250 Unternehmen, die in den US-Technologieindex NASDAQ aufgenommen wurden, ihren Ursprung in Israel. Damit liegt das kleine Land am Mittelmeer an dritter Stelle, nur übertrumpft von den USA und China. Israel hat bereits jetzt die höchste Dichte an Start-ups pro Einwohner und jedes Jahr kommen etwa 1.000 neue Technologie-Start-ups hinzu, von denen die meisten im Großraum Tel Aviv ansässig sind. 2017 wurden über fünf Milliarden US-Dollar in israelische Start-ups investiert. Gleichzeitig kamen bei Exits im Technologiesektor durch Zusammenschlüsse, Übernahmen und Börsengänge rund 10 Milliarden US-Dollar zusammen. Diese Zahlen sind beeindruckend, keine Frage.
Es sind aber nicht nur die hohen Erträge, die Israel so attraktiv machen. Heutzutage pilgern Manager aus der ganzen Welt lieber ins „Silicon Wadi“ als ins Silicon Valley, wie auch mein Kollege Lutz Meschke. Rund 300 internationale Tech-Unternehmen haben inzwischen eigene Forschungs- und Entwicklungszentren in Israel gegründet. Auch Porsche ist seit Anfang 2017 mit einem „Innovation Office“ in Tel Aviv vertreten, dessen Ziel es ist, sich mit der Hightech-Szene Israels zu vernetzen und sich den Zugang zu den Talenten und Technologien der Start-up-Nation Israel zu sichern. Durch Investitionen in die Venture-Capital-Fonds Magma und Grove profitiert Porsche auch direkt von den neuesten Entwicklungen auf den Gebieten Künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT) und Cloud-basierte Technologie.
Anagog entwickelt KI-Technologie für Mobilitätslösungen der Zukunft
Während meines Aufenthalts in Tel Aviv hatte ich auch die Gelegenheit, das Start-up Anagog zu besuchen, an der die Porsche Digital GmbH seit April 2018 beteiligt ist.
Anagog entwickelt KI-Technologie, die das Mobilitätsverhalten von Menschen analysieren und vorhersagen kann. Wir möchten zusammen innovative Mobilitätsdienste entwickeln, die die Basis für gänzlich neue digitale Geschäftsmodelle werden können. Bei einem Treffen mit den Anagog-Gründern Yaron Aizenbud, Ofer Tziperman und Gil Levy haben wir beispielsweise über Wege nachgedacht, wie wir effizienter dafür sorgen können, dass Pkws einen der verfügbaren Parkplätze finden. Die Drei sprühten nur so vor Ideen – ihre Begeisterung war einfach ansteckend.
Darüber, warum Israel bei Start-ups so erfolgreich ist, wurde schon eine Menge geschrieben. Ein entscheidender Faktor ist ohne Zweifel der dreijährige Militärdienst, den alle jungen Israelis ableisten müssen. Im Unterschied zu anderen Armeen sollen die Rekruten hier Initiative zeigen und frei denken, statt blinden Gehorsam zu zeigen. Und die berühmte Eliteeinheit Unit 8200, die auf Cyber-Sicherheit und Cyber-Kriegsführung spezialisiert ist, dient als Inkubator für die zahllosen Cyber-Sicherheit-Start-ups, die von jungen Israelis nach dem Armeedienst gegründet werden. Aber auch die Zivilgesellschaft fördert Innovationen.
Jährlich werden etwa 150 neue Technologien aus israelischen Universitäten lizenziert. Und auch der Staat selbst investiert, in Gestalt der Israel Innovation Authority, direkt in innovative Unternehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist sicher auch die Geschichte Israels als Einwanderungsland und Schmelztiegel vieler verschiedener Kulturen. Jede neue Generation von Immigranten bringt neue Talente ins Land, und deren Wille zum Erfolg hält den Unternehmergeist der frühen Pioniere am Leben.
„Es sind aber nicht nur die hohen Erträge, die Israel so attraktiv machen. Heutzutage pilgern Manager aus der ganzen Welt lieber ins „Silicon Wadi“ als ins Silicon Valley." Anja Hendel
Keine Idee ist zu abstrus
Vor allem aber – und das ist mir angesichts all der faszinierenden Menschen bewusst geworden, die ich in der letzten Woche getroffen habe – kennen Israelis einfach keine Grenzen, wenn es um kreatives Denken geht. Keine Idee ist zu abstrus, kein Gedanke zu sehr an den Haaren herbeigezogen und keine Vision zu utopisch, um nicht geäußert und diskutiert zu werden.
Dadurch wird praktisch jedes Gespräch in Tel Aviv zu einer anregenden Brainstorming-Sitzung – und das macht jeden Schlafmangel mehr als wett. „If I can make it there, I’m gonna make it anywhere“, singt Sinatra. Das drückt für mich die Mentalität in Tel Aviv perfekt aus.
Ich kann nur hoffen, dass ich dieses Gefühl eine Zeitlang für mich bewahren kann.