Seit jeher hat mich der Gedanke fasziniert, das Leben in Klangwelten widerzuspiegeln. Ein „Klangbegleiter“, der musikalische Strukturen nach meinen Handlungen erstellt. Der Klang wüsste über meine aktuelle Stimmung Bescheid, über die Situation, in der ich mich befinde, über die Aktivität, der ich nachgehe. Etwas dermaßen Individuelles und Maßgeschneidertes, ist fast so wie ein eigener Soundtrack des Lebens. Und nein, wir reden hier nicht über Playlists. Wir sprechen von adaptiver Musik. Derzeit leite ich ein Projekt bei Porsche Digital, das sich der Erforschung dieses Themas und seiner Möglichkeiten widmet.
Adaptive Musik, manchen vielleicht besser bekannt als interaktive Musik, ist ein alter Hut. Zumindest für alldiejenigen, die häufig an ihren Spielekonsolen spielen, wobei sich Klang, Lautstärke, Rhythmus oder Melodien als Reaktion auf bestimmte Ereignisse im Spiel verändern.
Philip Glass, einer der einflussreichsten Komponisten des späten 20. Jahrhunderts, sagt in einem Interview, interaktive Musik sei für ihn, wenn ein Musikstück verschiedene musikalische Richtungen oder Enden biete, wenn der Hörer aktiv auswählen kann, wie sich die Komposition im Laufe der Zeit entwickeln soll.
Stellen Sie sich nun vor, dies ins reale Leben zu bringen. Wäre das nicht erstaunlich?
Adaptiver Sound als Geschäftsmodell
Während ein konventioneller, klassischer "linearer" Musiktitel immer gleich klingt, werden adaptive Kompositionen immer ein wenig anders klingen. Es mag ähnliche Texturen und musikalische Elemente im Mix geben, aber die Art und Weise, wie sie miteinander verwoben sind, wie der Hörer bestimmte Elemente auslöst, sorgen für ein völlig neues Musikempfinden. Und warum? Weil die Datenschnappschüsse, die für das Erstellen der Musik verwendet werden, nie dieselben sein werden. Das finde ich ziemlich faszinierend.
Bei Porsche Digital sehen wir das Potenzial von adaptivem Sound. Die einfache Konfiguration eines Audiosignals durch einen Equalizer, themenbasierte Playlists oder BPM-synchronisierte Workout-Musik war gestern. Mehr denn je wird heutzutage eine personalisierte Musik erwartet. Ich bin mir sicher, dass dies ein integraler Bestandteil unseres zukünftigen In-Car-Entertainment-Erlebnisses und sicherlich auch unseres täglichen Lebens sein wird.
Es ist kein Geheimnis, dass wir bald mehr E-Autos auf den Straßen sehen werden. Es sind die Autos ohne den Sound eines Verbrennungsmotors, die für eine "Erlebnislücke" sorgen, welche ausgefüllt werden muss. Der Fahrer wird so der Schöpfer seines eigenen Klangerlebnisses. Die Art und Weise, wie er fährt, beschleunigt, bremst, kurvenreiche Straßen hinauffährt oder durch den Stadtverkehr fährt, nimmt Einfluss darauf, wie sich ein Musikstück entwickelt.
Stellen Sie sich nun vor, dass lokale Funktionen hinzukommen und Sie spezielle adaptive Soundtracks hören, die nur in bestimmten Regionen der Welt verfügbar sind. Und das Beste daran: Dieses Erlebnis können Sie sogar mitnehmen, wenn Sie beispielsweise spazieren gehen und währenddessen Musik hören.
Prädiktiver Sound: Musik wie Wasser
Was ist prädiktiver Sound? Stellen Sie sich vor, Sie steigen in Ihr Auto und das System weiß, dass Sie einen harten Tag hinter sich haben. Es kennt die meisten Ihrer Routinen und Hörvorlieben und kann folgerichtig einen passenden Musikmix erstellen, der Sie auf Ihrem Heimweg begleitet. Gewisse Aspekte sind noch Zukunftsmusik – andere wiederum nicht. So gibt es schon heutzutage Möglichkeiten, ein paar dieser Funktionen in den Alltag zu integrieren.
Das erste Mal, dass ich die Chance hatte, ein paar interaktive Musikprojekte in die Hände zu bekommen, war vor mehr als 15 Jahren, als das Thema noch etwas anders verstanden wurde. Ich habe viele Sessions mit Musikern rund um den Globus gemacht, um etwas über ihren kreativen Prozess und ihre Ideen zu erfahren. Letztendlich auch, um einen Einblick in verschiedene Musikprojekte zu erhalten, die noch nie zuvor außerhalb von Forschungseinrichtung waren und somit leider nie das Licht der Welt erblickten.
Der häufigste Grund, warum diese Projekte nie nach außen gedrungen sind, lag am Geschäftsmodell, oder besser gesagt, an einem fehlenden Geschäftsmodell. Ist es den Menschen wert, Geld für ein solches Klangerlebnis ausgeben? Möchten sie überhaupt adaptive Musik in ihrem Alltag integrieren? Der Markt wurde immer als zu nischenhaft, zu klein, zu speziell angesehen. Kein Geld zu verdienen. Die Wertschätzung von Musik begann nicht mit unserer Zahlungsbereitschaft zu korrelieren, parallel zum Aufkommen von Streaming. Das Buch "Music Like Water“ half mir, den schmalen Grat zwischen "alles ist umsonst" und der Wertschätzung kreativer Arbeit zu verstehen.
Dazu kommt, dass ich bereits 2009 eine fast dreijährige Reise begonnen habe, um eine interaktive Musik-App zu erstellen. Die Idee dahinter war dieselbe: Daten in sinnvolle musikalische Strukturen zu „übersetzen“. Nichtsdestotrotz gab es viele Herausforderungen: Die Technologie war noch nicht so weit fortgeschritten, um beispielsweise ein feinkörniges, hochauflösendes GPS in Mobiltelefonen zu integrieren. Das ursprüngliche Konzept müsste angepasst und verschlankt werden.
Es mag ironisch klingen, aber die größten Hindernisse bei der Erstellung adaptiver Soundtracks sind bis heute die technologischen Grenzen. Und jetzt verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Wir sind fortschrittlicher als je zuvor, aber die wirkliche Lösung, von der ich spreche, ist Echtzeit-Sequenzierung und Sound-Synthese in der Cloud. Wenn wir dieses technologische Stadium erreichen, wird es umso spannender. Dann muss man nicht mehr mit vorkomponierten Musikstücken leben, die nach bestimmten Dateneingaben verändert werden. Die gleichen Daten können sofort gewonnen und gestreamt werden, anstatt feste musikalische Elemente auszulösen. Klar ist: Die Bandbreite und die Leistung der Cloud-DAW werden es richten.
Trotz dieser vielversprechenden Entwicklung hat KI-generierte Musik noch einen weiten Weg vor sich, da sie eine menschliche Komposition ersetzen werden kann. Die künstlerische Arbeit, diese eine erste Idee, dieser eine Funke wird immer der Hauptantrieb in jedem kreativen Prozess sein. Dafür gibt es nun mal keinen Ersatz. Wenn man mich heute nach der Zukunft fragen würde, wäre meine Antwort: Die Zukunft kann hybrid sein, halb Mensch - halb Maschine, vielleicht.
Wann wird es intelligente Musik geben?
Bereits jetzt ist künstliche Intelligenz zu einem festen Bestandteil in vielen Bereichen unseres Lebens geworden. Gleichermaßen gilt es für Musik vorausschauend zu agieren. Doch das ist nicht der Fall. Noch nicht. Wir brauchen Systeme, die kontinuierlich über die Hörvorlieben dazulernen. Das einfache Drücken des "Skip-Buttons" sagt sehr viel aus. Doch wissen wir auch, was genau? Mögen wir diesen speziellen Track nicht? Mögen wir den Titel gerade nicht, wollen ihn aber morgen hören? Mögen wir diesen Künstler?
Während ich darüber nachdenke, wie man sich diesem Thema nähern kann, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich meine Zeit mit Playlists und Künstlerempfehlungen verschwende, die eigentlichen nicht meinen Erwartungen entsprechen. Solange die "80/20-Pareto-Regel" gilt (20 Prozent des Katalogs sorgen für 80 Prozent des Umsatzes), mögen manche den Drang nach einer Verbesserung nicht verspüren.
Technologie und Interaktivität sind nur zwei Randbedingungen einer größeren Gleichung. Mein Interesse ist es, neue Formen und Formate für Musik zu erforschen, die auf eine völlig neue Art und Weise genossen werden können, denn schließlich wird es immer der Inhalt sein, der am wichtigsten ist.
Wie Philip Glass einmal sagte: „Interaktive Musik wird es in vielen verschiedenen Formen geben.“ Ich könnte nicht mehr zustimmen!