Der einstige Rennfahrer hat eine wunderbare Autosammlung zusammengetragen, die er – anders als viele andere – nicht vor der Öffentlichkeit versteckt, sondern mit anderen teilt. In einem gar nicht mal so kleinen, aber ziemlich feinen Museum namens autobau, das in Deutschland praktisch noch unbekannt ist.
Fast scheint es, als hätten sich die Backsteinhallen verirrt. Als wäre das historische, aus dem 19. Jahrhundert stammende Gebäude-Ensemble Teil einer Modelleisenbahnanlage, idyllisches Spiegelbild der Industrieromantik, makellos und blitzsauber und eigentlich viel zu perfekt erhalten für die Gegenwart. Doch dies ist kein Miniatur-Wunderland im Maßstab 1:87, sondern ein Automobil-Wunderland im östlichsten Zipfel der Schweiz. Ein Juwel, das noch kaum jemand kennt – zumindest nicht auf der nördlichen Seite des Bodensees. autobau, so hat der Industriekapitän und ehemalige Rennfahrer Fredy A. Lienhard die wunderbare Heimstätte seiner vielseitigen Sammlung getauft, ist vor allem aus deutscher Sicht so etwas wie der unerwartete Scheunenfund unter den Museen.
Erfolgreichster Motorsportler seiner Heimat
Viele Jahrzehnte zählte der Eidgenosse, heute 69, aber viel jünger wirkend, zu den erfolgreichsten Motorsportlern seiner Heimat. Schon als kleiner Bub wusste er, dass sein Platz nur der hinter einem Lenkrad sein konnte – so wie er dies bei seinem Vater Alfred miterlebte, der ebenfalls mit großer Begeisterung Rennen bestritt: erst auf dem Motorrad, dann im Porsche, später sogar auf der Bobbahn. Schon mit zehn Jahren stand auch Fredy erstmals am Start, mit einer Seifenkiste. Klar, dass die irgendwann auch einen Motor erhielt, bevor der erste Rennkart kam und danach der Sprung in den Automobilsport die nächste Stufe darstellte.
„Wir haben ganz bescheiden angefangen“, erinnert sich Lienhard an die vielen Abendstunden und Wochenendtage, die er mit Freunden in der kleinen Werkstatt im Keller des väterlichen Metallbetriebs an Formel-V-Rennern schraubte, die in erster Linie auf Käfer-Teilen basierten. „Jeder hat seinen Beitrag geleistet. Teile vom Schrott zu besorgen, zu reinigen und zu lackieren, darin war ich der Meister. Zugleich habe ich mich als Student um die Buchhaltung gekümmert.“ Und lacht: „Rennwagen sind wie Frauen – man sollte sie nicht teilen. Dass wussten wir schon damals, und darum hatte jeder von uns vieren sein eigenes Auto mit eigener Farbe. Meines war das blaue.“
Der Rennsport hatte Pause. Vorerst.
Kündigte sich damals eine Profikarriere an? Lienhard kann diese Frage nicht beantworten, denn 1970 verlangte ein Schicksalsschlag dem damals 22-Jährigen eine schwere Entscheidung ab: Nach dem unerwarteten Tod seines Vaters übernahm er die Verantwortung für den heimischen Betrieb mit seinen damals gut 400 Angestellten. Der Rennsport hatte Pause. Vorerst. Aber nicht für lange. Im Rückblick bereut Lienhard nichts: „Es war gut, dass ich Unternehmer geworden bin – so konnte ich diesen nicht billigen Sport länger betreiben.“
1971 kletterte Fredy für einige wenige Starts wieder ins Cockpit eines Formel Super V. „Das Fahren war für mich wichtig“, erklärt er heute, auch wenn das Comeback fast zu einer Katastrophe geführt hätte: Beim Hembergrennen flog er vehement von der Strecke. „Ich kannte die Strecke nicht gut genug und habe eine Spitzkehre mit einer Dritte-Gang-Kurve verwechselt“, erinnert sich Lienhard. Drei Bäume mähte er mit dem Monoposto nieder, hinzu kamen Überschläge. „Auf der weichen Wiese ist der Sturzbügel tief eingesunken, dadurch habe ich drei Wirbelfrakturen davongetragen – heute würde ich das nicht mehr überleben.“ Sein Glück: Der Sicherheitshelm hatte sich in der Überrollvorrichtung eingeklemmt und sorgte so für zusätzlichen Halt. „Das war der schwerste Unfall meiner Karriere. Zum Glück hat sich alles auch ohne Operation gut verwachsen. Zwei Wochen später saß ich in Hockenheim bereits wieder im Auto. Ich wollte mir beweisen, dass es noch geht …“
Ein Porsche 911 S/R und ein orangefarbener 911 S Targa
Es ging noch. Damit war aber eine andere Entscheidung gefallen: Von offenen Boliden nahm Lienhard für die nächste Zeit Abstand und stieg für 1972 in einen Porsche 911 S/R um – privat gehörte ihm ohnehin bereits ein orangefarbener 911 S Targa. „Ich wollte unbedingt einen Rennwagen mit Dach.“ Zwei Jahre später tauschte er den S/R gegen einen RSR ein: „Ein super Auto, fertig einsatzbereit. Das kam mir damals sehr entgegen, denn primär war ich ja Unternehmer und kein Techniker. In der schweizerischen Meisterschaft konnte ich damit fast alle Rennen gewinnen, in Hockenheim sogar gegen internationale Konkurrenz. Auch sein hoher Wiederverkaufswert war von Vorteil.“
Den guten Deal bereut der Autosammler heute. Den gelben 911 S/R fand er Jahre später durch Zufall wieder – liebevoll restauriert, gehört er heute zu den Schmuckstücken von autobau. Der rote RSR jedoch blieb verschollen. Lienhard ließ ihn detailgetreu nachbauen.
Größter Erfolg: 2002 gewann er die 24 Stunden von Daytona
1975 kehrte der Eidgenosse doch wieder in offene Rennautos zurück, fuhr bis 1984 in der Formel 2 und dann in der Formel 3000 genannten Nachfolgeserie, bevor er auf Le-Mans-Prototypen umstieg. Und er ging immer häufiger in den USA an den Start. 2002 gewann er die 24 Stunden von Daytona, „sicherlich mein größter Erfolg im Motorsport“, wie er heute weiß. Sechs Jahre später schloss sich der Kreis, als Lienhard einen Porsche RS Spyder erwarb: „Der perfekte Rennwagen schlechthin“, schwört er wie so viele Profis, die je mit dem 478 PS starken LMP2-Zweisitzer gefahren sind. Mit ihm wurde der inzwischen 61-Jährige Dritter in der European-Le- Mans-Serie und gewann obendrein die Michelin Energy Challenge, „weil der Porsche so enorm effizient war. Damit wäre ich für die 24 Stunden von Le Mans qualifiziert gewesen. Aber als meine Tochter mir eröffnet hat, dass ich Großvater werde, wollte ich das nicht mehr.“ Und fügt mit leichtem Bedauern hinzu: „In Le Mans und auf der Nordschleife des Nürburgrings kann ich leider nichts vorweisen.“
Dabei hat Lienhard die Rennerei nie allein als Selbstzweck betrieben, sondern konsequent für sein Unternehmen genutzt, das in erster Linie Werkzeugschränke und Werkstattausstattungen in Premiumqualität herstellt. „Die Autoindustrie zählte schon immer zu unseren wichtigsten Kunden“, erläutert der vielseitig engagierte Manager. Als er die Firma als junger Mann übernahm, machte sie im Jahr 36 Millionen Franken Umsatz. Zehn Jahre darauf waren es 100, später sogar über 400 Millionen, erwirtschaftet von fast 2.000 Mitarbeitern. „Wir haben immer Werbung für Lista gemacht, die Teams beliefert und so den Kontakt zu den Fahrzeugherstellern gefunden. Auf diese Weise sind wir in den USA zum Marktführer aufgestiegen. Selbst schwer beladen halten unsere Schränke 50 Jahre und mehr.“
Grundschullehrerin lieferte den Stein des Anstoßes
Viele seiner Rennwagen hat Lienhard von vornherein behalten, manche später wiedergefunden und zurückgekauft. Hinzu kamen über 100 Serienautos, Prototypen und sonstige Preziosen, darunter natürlich auch viele Porsche – vom 75 PS starken 356/C von 1964 über die bereits erwähnten Renn-911er bis hin zum RS Spyder und einem eindrucksvollen Porsche 962 aus der Gruppe-C-Ära. Die Brücke in die Gegenwart schlägt ein 918 Spyder, der Hybrid-Supersportler aus Zuffenhausen. Das Spektrum umfasst aber auch amerikanische Bigblocks, feuerrote Italiener, echte Formel-1-Renner, handgefertigte Einzelstücke und exklusive Kleinserienmodelle – Stichwort: Vector W8, für jene, die sich noch an den angeblich fast 390 km/h schnellen Lamborghini- Herausforderer erinnern können …
Doch wie es bei vielen Sammlern so ist: obwohl prinzipiell fahrbereit, verstaubten all die Kostbarkeiten hinter verschlossenen Toren, unzugänglich für die Allgemeinheit. Dass sich dies ändert, dafür lieferte 2003 eine Grundschullehrerin den Stein des Anstoßes: „Sie fragte mich, ob ihre Viertklässler einmal die Fahrzeuge anschauen dürfen.“ Ein Ansinnen, dem Lienhard gern nachkam. „Als ich die Freude in den Augen der Kinder und die grenzenlose Begeisterung erleben durfte, machte es klick und es begann bei mir zu arbeiten.“
Lienhard hat den Traum wahr gemacht.
In Romanshorn am Bodensee, Egnacherweg Nummer 7, hat Lienhard („vielleicht bin ich etwas autoverrückt …“) den Traum wahr gemacht. Die Kulisse bietet ein ehemaliges Alkohollager, 1892 gebaut, 1996 stillgelegt, 2007 von Lienhard entdeckt, bereits im April 2009 unter dem Namen autobau wiedereröffnet. Heute erstrahlen die ehrwürdigen Gebäude schöner denn je, die Verwaltungsresidenz am Eingang ebenso wie gleich dahinter die lang gestreckten, von innen hell erleuchteten Hallen mit der fein über zwei Stockwerke drapierten Sammlung, dem Café und den Eventbereichen. Es gibt sogar einen kleinen Rundkurs. Der führt zwar immer nur rechtsherum, es sei denn, der Fahrer ändert die Richtung, aber immerhin. Ganz neu ist das sogenannte Polygon. Der zwölfeckige Backsteinbau umschließt einen massiv vernieteten Stahltank, in dem einst 2,8 Millionen Liter Industriealkohol lagerten. Schon bald zieht hier ein weiterer Teil der Kollektion ein. „Unser Museum ist eben wie ein Rennwagen: nie fertig, lacht Lienhard. „Wir entwickeln autobau ständig weiter, Pläne gibt es bereits.“
„Die Freude am Auto ist für mich ein zentraler Punkt“, gesteht der Sammler und Jäger, der es vielen seiner Gäste gern gestattet, in den Ausstellungsstücken auch einmal Platz zu nehmen. „Ich bin glücklich, dies ausleben zu dürfen. Mit autobau kann ich meine Leidenschaft mit den Leuten teilen.“
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 11.
Text: Achim Peitzmeier // Fotos: Markus Bolsinger
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