Zu stark, um wahr zu sein

Die Konstruktionsnummer 367 darf als mystische Maschine innerhalb der Markengeschichte gesehen werden. Beinahe hätten schon die Gmünd-356 einen „echten“ Porsche-Motor erhalten. Die Nr. 367 war das Ergebnis einer längeren Evolution.

Die Geburt des ersten Porsche wurde von zwei Faktoren maßgeblich bestimmt: unbedingter Wille und Mangelwirtschaft. Die ersten Nachkriegsjahre waren für das von Stuttgart nach Gmünd übergesiedelte Konstruktionsbüro schlimm, man hielt sich mit der Entwicklung und Produktion von landwirtschaftlichen Bedarfsgütern wie Seilwinden und Mähfingern über Wasser. Zeitgenössische Archivbilder lassen noch heute ahnen, wie gewagt es in den ersten Nachkriegsjahren gewesen sein muss, an den Bau eines eigenen Sportwagens auch nur zu denken.

Motorenfrage. Die Form des Porsche 356 war relativ schnell gefunden, doch wie er motorisiert sein sollte, blieb lange innerhalb des Porsche-Teams in Diskussion.

Und doch hatte der junge Ferry Porsche die hochfliegenden Pläne aus den Vorkriegstagen noch lange nicht ad acta gelegt. Der Berlin-Rom-Wagen Typ 64 auf Basis des KdF-Wagens darf als erste Skizze eines Porsche-Sportwagens verstanden werden, viele Elemente von Erwin Komendas Typ-64-Design finden sich im 356 wieder. Weniger klar war die Frage der Motorisierung. An Anfang aller Überlegungen stand, dass ein Porsche in seiner Leistung natürlich den Käfer übertreffen musste. Beim Typ 64 holte man 35 PS statt der ursprünglichen 22 PS aus dem Einliter-Boxermotor. Aber schon 1938 entstand auf dem Reißbrett der Typ 114, der einen wassergekühlten 1,5-l-V10-Zylinder mit je zwei obenliegenden Nockenwellen in Mittelmotorstellung vorsah. Die 72-PS-Maschine in Verbindung mit einer dem Berlin-Rom-Wagen ähnlichen, extrem aerodynamischen Karosserie hätte aus dem Typ 114 einen Supersportwagen seiner Tage gemacht, ideal für die Tempobolzerei auf den ersten Abschnitten der deutschen Autobahn. Der Kriegsbeginn bereitete den hochfliegenden Plänen ein jähes Ende, und der Typ 114 verließ nie das Reißbrett des Stuttgarter Konstruktionsbüros – was für ein Jammer!

Volkswagen-Motor mit aufgesetztem Roots-Kompressor, Typ 170, 2020, Porsche AG
Deutlich zu erkennen: Unter der Haube des Typs 170 steckt ein Volkswagen-Motor mit aufgesetztem Roots-Kompressor

Aber auch in der Kriegswirtschaft bestand durchaus Bedarf an einem stärkeren KdF-Motor. Der luftgekühlte Vierzylinder-Boxer erwies sich als außerordentlich robust und zuverlässig und sollte unter anderem für den Einsatz in Sturmbooten aufgepeppt werden. Unter den Konstruktionsnummern 115, 170, 171 und 174 wurden praktisch alle Möglichkeiten der Leistungssteigerung erörtert: mehr Hubraum, größere Ventile, zwei Vergaser, Aufladung, hemisphärische Zylinderköpfe, obenliegende Nockenwellen und sogar eine schiebergesteuerte (= ventillose) Variante.

Als es um den Antrieb für den ersten Porsche ging, konnte die Gmünder Mannschaft also auf eine Menge Ideen und Konstruktionszeichnungen zurückgreifen. So verfügte der Typ-115-Boxer über zwei obenliegende Nockenwellen und wurde über einen Roots-Kompressor zwangsbeatmet. In der Mangelwirtschaft der Nachkriegsjahre schien eine Serienproduktion des komplexen Triebwerks jedoch geradezu utopisch. Also begab man sich auf die Suche nach einfacheren Wegen, ohne dabei das selbst gesteckte Ziel einer Leistungssteigerung von mehr als 100 Prozent gegenüber dem ersten Nachkriegs-Käfer mit 24,5 PS aus den Augen zu verlieren. Beim Typ 366 ging man den einfachsten Weg: Auf der Basis eines Serienmotors mit 1.131 cm³ wurde je ein Solex-Vergaser 26 VFI pro Zylinderbank vorgesehen. Zusammen mit einer Erhöhung der Kompression von 5,8:1 auf 7:1 brachte das Triebwerk 34 PS bei 3.500/min Dauerleistung und einen Spitzenwert von 40 PS bei 4.000/min. Die relativ einfache Lösung verfehlte allerdings das gewünschte Leistungsziel.

Kompressor hinter dem Motor, Typ 170, 2020, Porsche AG
Vom Boot zurück an Land: Bei der Version des Typs 170 ist der Kompressor hinter dem Motor angebracht

Also wagte man mit dem Typ 367 einen weiteren, technisch deutlich radikaleren Anlauf. Als Basis diente ein Serienblock von 1944, der mit deutlich überarbeiteten Zylinderköpfen versehen wurde. Die V-Stellung der übereinander angeordneten Ventile ermöglichte größere Durchmesser für besseren Gasdurchsatz und eine günstigere Brennraumform. Dazu kamen eine schärfere Nockenwelle, ein verstärkter, dreiteiliger Ventiltrieb und eine polierte Kurbelwelle. Handgedrehte Zylinder mit trockenen Büchsen und kleinere Kolben sorgten dafür, dass der Motor unter dem im Motorsport geltenden Klassenlimit von 1.100 cm³ blieb. Über die exakte Leistung finden sich keine Hinweise in den Unterlagen, es darf aber davon ausgegangen werden, dass durch den hohen konstruktiven Aufwand das Leistungsziel von 50 PS deutlich überboten wurde. Die Konstruktionsnummer und die Datierung erhaltener Konstruktionszeichnungen („Haubenkühlung für Motor Typ 367“ am 22.6.49) deuten darauf hin, dass die Entwicklung des Motors parallel zum 356 erfolgte, aber schließlich doch wieder verworfen wurde. Wahrscheinlich, weil der deutlich höhere Produktionsaufwand unter den Gmünder Bedingungen einfach nicht darstellbar war.

Darüber hinaus wäre auch der Serviceaufwand enorm gewesen, was wiederum dem Grundsatz widersprach, dass der erste Porsche absolut alltagstauglich und genügsam im Unterhalt sein sollte. In die frühen Alu 356er aus Kärntner Produktion wurden überwiegend revitalisierte Motoren aus Käfer und Kübelwagen montiert, die zwei Vergasern versehen wurden. Mit der Übersiedlung nach Stuttgart kam der Typ 369 zum Einsatz, der einen kostengünstigen Kompromiss aus 366 und 367 darstellte, indem er V-förmig angeordnete Ventile mit einem Zylinderkopf pro Seite kombinierte. Mit 1.086 cm³ blieb auch dieser Motor unter der 1.100-cm³-Grenze, aber auch „nur“ 40 PS bei 4.000/min sollten von der ersten Stunde an für zahllose Klassensiege von 356er-Piloten reichen.

Vogelsangmotor, Typ 367, 2020, Porsche AG
Aufnahme des Vogelsangmotors Typ 367 in der Ausstellung des Museums Prototyp in Hamburg

In Gmünd sollen acht Stück dieser Hochleistungs-Zylinderköpfe existiert haben. Gesichert ist, dass in den ersten Nachkriegsjahren mindestens zwei Motoren mit der Spitzentechnik entstanden. Ein Exemplar ging in Gmünd in den Probebetrieb, geriet aber nach der Entscheidung gegen den Typ 367 schnell in Vergessenheit. Ein zweites Triebwerk baute der VW-Konstrukteur Gustav Vogelsang für jenen Rekordwagen von Petermax Müller auf, der heute im Hamburger Automuseum Prototyp zu besichtigen ist. Ein dritter, aus Reserveteilen aufgebauter Motor soll in einer deutschen Privatsammlung existieren. Zur Mangelwirtschaft der Nachkriegsjahre gehörte auch, dass man sich nicht lange mit Ballast aufhielt. Im Sommer 1950 lief in Stuttgart bereits die Serienproduktion des 356, als Ferry Porsches Cousin Herbert Kaes in Salzburg Post von Otto Mathé bekam. Der Tiroler Rennfahrer hatte im Jahr zuvor bereits den Berlin-Rom-Wagen gekauft und setzte ihn erfolgreich bei Rennen ein. Nun fragte er an, ob er nicht den „Vogelsang“-Motor auch erwerben könne. Wenige Tage später kam die positive Antwort: Der Motor sollte 9.000 Schilling kosten, was etwa 1.500 DM entsprach. Zum Vergleich: Die ersten Stuttgarter 356 standen damals mit 9.950 DM zu Buche.

Ohne Zweifel: Der Typ 367 wäre ein würdiger erster Porsche-Motor gewesen, doch Ferry Porsches Entscheidung für eine einfachere Konstruktion war mit Blick auf die Nachkriegszeit richtig.

In den ersten Nachkriegsjahren war Otto Mathé zumindest im österreichisch-bayrischen Raum jener Rennfahrer, den es zu schlagen galt – und der „Supersport“- Motor trug sicher seinen Teil zu diesen Erfolgen bei. Mit einiger Gewissheit lässt sich auch sagen, dass der Typ 367 zumindest zeitweise im Berlin-Rom-Wagen zum Einsatz kam. Nachträgliche Ausschnitte in der Karosserie deuten jedenfalls darauf hin. Mit dem Ende der Rennsportkarriere von Otto Mathé geriet die mystische Maschine wieder in Vergessenheit. Mehr als 30 Jahre lagerte das unansehnliche Stück völlig unbeachtet in einer Scheune. Es war wohl einiges Glück dabei, dass der Typ 367 nicht auf dem Schrottplatz landete, können doch nur absolute Kenner den sophistischen „Supersport“ von einem gewöhnlichen Käfer-Triebwerk unterscheiden.

So geschah es, dass sich nach dem Tod von Otto Mathé im Jahr 1995 die Wege von Berlin-Rom-Wagen und Typ 367 wieder trennten. Der Motor ging an einen österreichischen Sammler, der das Einzelstück in liebevoller Detailarbeit restaurieren ließ. Heute hat das Unikum unter den Porsche-Motoren seinen festen Platz in einer maßgeblichen Sammlung gefunden. Das Triebwerk erfreut sich bester Gesundheit und kann im Internet (Youtube-Suche: Projekt 367) Probe gehört werden.

Info

Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik, Ausgabe 16.
Autor: Christian Kornherr
Fotografie: Historisches Archiv, Porsche AG

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