Orange. Das ist die Farbe, die der Kräuterlikör-Hersteller aus Wolfenbüttel in Niedersachsen seit den 70er Jahren für seine Rennwagen verwendete. Dabei war der erste Wagen dunkelgrün wie die Flaschen. „Nicht auffällig genug“, urteilte Firmenchef Günter Mast nach zwei Rennen. Deshalb sollte ein Orange wie im Logo der Marke schnellstens aufs Blech. Und deshalb ist der 914/6 damals quasi über Nacht neu lackiert worden. Ohne den Targa-Bügel, weil das schneller ging. Und ohne großartiges Abkleben. So gelangte Sprühnebel durch die Türschlitze an A- und B-Säule. Von innen blieb der Wagen dunkelgrün. Hauptsache, man kam pünktlich an den Start. Schon verrückt, wie manche Entscheidungen fallen und wie große Geschichten beginnen.
Jägermeister und Rennsport? Wer seine Kindheit im Westen Deutschlands in den 70er Jahren zugebracht hat, der kennt Jägermeister nur als Altherren-Getränk. Ein wenig miefig vom Image her. Und doch: Das Familienunternehmen verdiente nicht schlecht. An einem weltweiten Geschäft hatte man zunächst wenig Interesse. Die USA waren weit weg. Doch die GIs, die aus Deutschland zurückkehrten, brachten diesen seltsamen deutschen Schnaps mit. Und der schmeckte den Amerikanern eben. Warum also nicht neue Märkte erschließen? Jägermeister-Chef Günter Mast plante eine Expansion. Und genau da schlug die Stunde von Eckhard Schimpf, seines Zeichens ambitionierter Hobby-Rennfahrer, angesehener Journalist und rein zufällig auch verwandtschaftlich mit der Familie Mast verbunden. Günter Mast ist sein Cousin, doch die Rennsport-Ambitionen hatte Schimpf bislang immer selbst finanziert. Das würde sich nun mit ebenjenem 914/6 ändern.
Man bezeichnete diesen Wagen damals als den „schnellsten 914/6“
Dem Porsche 914 mit der Fahrgestellnummer 914 143 0178 sollte ein aufregendes Leben beschieden sein. 1971 entschloss sich der Volkswagen- und Porsche-Händler Max Moritz dazu, diesen Wagen zu einem Rennwagen umzubauen. Der 914/6 mit seinem Zweilitermotor wurde auf 220 PS gebracht. Mit Überrollkäfig ausgestattet und allen Ballasts beraubt, ging der Wagen schon bald auf die Piste. Das Fahrerteam Gerd Quist und Dietrich Krumm fuhr damit unglaubliche Zeiten. In Le Mans fielen sie zwar aus, aber bei den 1.000 Kilometern von Spa und bei den 1.000 Kilometern vom Nürburgring reichte es jeweils zum Sieg in der Zweiliter-GT-Klasse. Weitere Achtungserfolge waren der zweite Rang beim 500-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring und ein dritter Rang beim Preis der Nationen auf dem Hockenheimring. Man bezeichnete diesen Wagen damals als den „schnellsten 914/6“. Und genau den wollte Eckhard Schimpf für die Saison 1972 haben.
Vorausgegangen war eine andere Geschichte. Schimpf plante die Teilnahme an der Rallye Monte Carlo. Ein teures Vergnügen – auch damals schon. Bei irgendeinem Anlass traf Eckhard Schimpf seinen Cousin Günter Mast und sagte mehr aus einer Laune heraus: „Wenn du mir einen Reisekostenzuschuss gibst, klebe ich auch gern einen Jägermeister-Schriftzug aufs Auto. Reklame ist jetzt erlaubt.“ Die einzigen Zuschüsse des Cousins an ihn hatten sich bis dato eigentlich nur auf ausgelesene Comic-Hefte in der Kindheit bezogen.
Von 1972 an fuhr das gesamte „Who’s who“ des Rennsports für Jägermeister
Zur Verwunderung des Rennfahrers sagte der Kräuterlikör-Chef „Ja“. Schimpf wollte 500 Mark. Mast aber sagte: „Nimm lieber 1.000. Und nach der Rallye kommst du mal vorbei.“ Günter Mast wollte nach der Rallye weitere Rennsport-Aktivitäten ausloten. Hing es damit zusammen, dass Martini Racing bereits aktiv war und gute Werbung für seinen Lifestyle-Likör damit machte? Eckhard Schimpf ahnte ja nichts von den Plänen, die Günter Mast mit der Marke hatte. Er wollte das kleine Traditionsunternehmen aus Niedersachsen Schritt für Schritt zum Global Player machen. Es passte alles zusammen: die richtigen Leute, die richtige Idee, die richtige Zeit.
Nur bei der Monte klappte es nicht wie geplant. Eckhard Schimpf und sein Beifahrer Ernst-Johann Zauner scheiterten in der Eishölle von Burzet. Und so ging Schimpf mit gemischten Gefühlen in das Gespräch mit Günter Mast. Doch der winkte ab. Seine Vision war „ein ganzes Rudel Rennwagen in Jägermeister-Farben“, die, pilotiert von Spitzenfahrern, schnell um den Sieg mitfahren konnten – und das in allen möglichen Klassen! Eckhard Schimpf sollte als Teamchef fungieren – ehrenamtlich. Und auch selbst fahren, wenn er es wollte. Was darauf folgte, ist heute Rennsportgeschichte: Von 1972 an fuhr praktisch das gesamte „Who’s who“ der Rennsportszene für Jägermeister. Graham Hill war der Erste, es folgten Legenden wie „Strietzel“ Stuck, Stefan Bellof, Jochi Kleint, Jacky Ickx, Niki Lauda, James Hunt, Thierry Boutsen, Klaus Ludwig und Derek Bell, um wirklich nur einige zu nennen. Zeitgleich mit dem Beginn der Rennsport-Aktivitäten revolutionierte Jägermeister auch mal gleich die Fußball-Bundesliga und begann mit der seinerzeit heftig umstrittenen Trikotwerbung bei Eintracht Braunschweig – Verpflichtung von Wuschelkopf Paul Breitner inklusive. Doch zurück zum 914/6.
Der 914/6 musste zugunsten eines Porsche 911 Carrera RSR weichen
Der blieb in der Hand Eckhard Schimpfs und bestritt in der Saison 1972 zwölf Rennen und in der Saison 1973 14 Rennen. Schimpf holte sich insgesamt acht Siege, darunter beim KAC-Rennen auf der Südschleife des Nürburgringes. Zweite Plätze gab es auf der AVUS in Berlin und beim Flugplatzrennen in Diepholz. Seine schnellste Runde auf der Nordschleife des Nürburgringes betrug 9:32,7 Minuten. Doch dann musste der 914/6 zugunsten eines Porsche 911 Carrera RSR weichen, mit dem Eckhard Schimpf in der folgenden Zeit etwa 80 Mal an den Start gehen sollte und zu einer siegträchtigen Einheit verwuchs.
Und der 914/6? Der wanderte durch mehrere Hände. Bei Max Moritz in Zahlung gegeben, kaufte ihn zunächst Manfred Laub aus Ravensburg, der 1974 und 1975 in Deutschland an Rennen teilnahm. 1976 folgte ein Intermezzo in Italien, ab 1977 fuhr der Wagen dann in den USA in der IMSA-Serie. Am Steuer von 1977 bis 1979: Rod Harrison, Startnummer meist die 82. Dann verliert sich die Spur. Bis zum Jahr 2005. Inzwischen war das Jägermeister-Rennteam Geschichte. Das Aus war im Jahre 2000 gekommen. Zuletzt fuhr Eric Hélary auf Opel in der DTM für Jägermeister. Eckhard Schimpf hatte seine Rennfahrer-Karriere schon 1982 beendet, doch das Team war ihm alles!
Der Sportwagenhändler aus Florida erwies sich als Besitzer des echten 914/6
Und so begann er im Verborgenen mit seinem Sohn Oliver nach den alten Rennwagen zu forschen. Zug um Zug sollten die alten Boliden wieder vereint werden. Im Verborgenen deshalb, weil die Preise ins Astronomische gestiegen wären, wenn bekannt geworden wäre, dass „einer von Jägermeister“ nach den Autos forscht. Dabei unterstützt die Familie Mast diese Aktivitäten nur privat. Mit der Firma und dem Firmenvermögen hat das nichts zu tun, doch wer unter den Sammlern von Rennwagen irgendwo in der Welt hätte da schon einen Unterschied gemacht?
Der Sportwagenhändler Claus Müller aus Palm Beach in Florida erwies sich als Besitzer des echten 914/6, des ersten Jägermeisters. Dorthin reisten Oliver und Eckhard Schimpf. Eigentlich waren nur noch Reste von dem Wagen übrig, doch einem Bewahrer der Tradition ist so was egal. Unglaubliche sieben Jahre zog sich der Kauf hin, doch dann endlich erfolgte der erlösende Handschlag. Der 914/6 kehrte heim ins „Fatherland“, um restauriert und in rennfertigen Zustand zurückversetzt zu werden.
Eine Restaurierung soll möglichst viel originale Substanz erhalten
Der Restaurierungsexperte Stimming aus Bad Segeberg nahm das Projekt in die Hand. Wichtig hier: eine authentische Restaurierung. Es ging darum, möglichst viel originale Substanz zu erhalten und fehlende Teile nicht so ans Fahrzeug zu bringen, wie das ein Concours-Restaurator tun würde, sondern immer mit Blick auf den damaligen Einsatzzweck des Fahrzeuges und auf die damaligen Gepflogenheiten hin zu agieren. So kam zum Beispiel wieder ein Überrollbügel aus Aluminium ins Fahrzeug, dessen Abstützung zur Karosserie eigentlich nicht optimal ist. Das liegt an den Bögen und Befestigungspunkten, die Max Moritz beim Bau des Wagens ausgewählt hatte.
Auch blieben möglichst die alten Schrauben erhalten. Deshalb sind immer noch Schlitzschrauben in den Halteblechen für die Windschutzscheibe, heute würde man vielleicht Schrauben mit Sechskantkopf wählen. Und auch den Kunststoffteilen wie etwa Hauben oder Stoßstangen sieht man den rohen Rennzustand an. Die Lackierung ist exakt so nachempfunden, wie sie 1972 aufgebracht wurde. Sprühnebel inklusive, ja selbst die Startnummern sind leicht versetzt aufgeklebt, denn auch damals hat man sich nicht so viele Gedanken um den exakten Sitz eines Aufklebers gemacht. Der Boden im Innenraum ist gänzlich unangetastet. Er trägt die Spuren des langen Rennsportlebens stolz mit sich.
Ein Rudel Rennwagen aus einer glorreichen Zeit
Doch nun, nach so viel Historie, schönen Anekdoten und Restaurierungsaufwand, wird es Zeit für eine Rennrunde. Eckhard Schimpf steigt in den Wagen, den er 1973 zum letzten Mal bewegt hat. Sein Rennanzug ist noch original, sein Gefühl für den Wagen auch. Weder die umgedrehte Schaltung mit ihren langen Wegen macht ihm Probleme noch der heiße Motor, der nach einer guten Portion Feeling verlangt. Willig springt der 914/6 an und brüllt recht laut, doch bei Weitem nicht zu laut.
Die ersten Runden nach so langer Zeit sind verhalten. Doch die Renn-Gene kommen schnell zurück. Schon recht nahe an der Ideallinie des Rennkurses von Oschersleben spurtet, driftet, bremst der 914/6 mit seinem alten Meister am Steuer. Bestes Wetter, ein leichter Wind, nur der Asphalt ist eigentlich zu kühl. Macht aber nichts. Alles ist sofort wieder da. Der erste Jägermeister ist zurück. So wie über zehn weitere Rennwagen in Orange. Ein Rudel Rennwagen aus einer glorreichen Zeit.
Der Porsche 914/6
Technische Daten:
Motor: Sechszylinder-Boxermotor, Luftkühlung
Zylinder: Aluzylinder mit Hartchrom-Laufbahnen
Ventile: 2 je Zylinder, EV 45 mm, AV 39 mm
Hubraum: 1.991 cm3
Bohrung x Hub: 80 x 66 mm
Verdichtung: 10,4:1
Max. Leistung: 212 PS bei 8.100/min
Max. Drehmoment: 210 Nm bei 6.400/min
Kraftübertragung: Hinterradantrieb
Getriebe: Fünfgang, Spezial-Sportumbau mit wechselbarem 2. Gang und Ölpumpe, Schaltung auf Seitensteuerung umgebaut
Chassis: Gruppe-4-Umbau mit Porsche-Originalteilen
Karosserie: selbsttragende Karosserie mit GFK-Anbauteilen und Aluminium-Überrollbügel nach original Max-Moritz-Vorgaben
Fahrwerk: Sportfedern, Bilstein-Dämpfer, Fünfloch-Fuchs-Felgen in 8 und 9 Zoll Breite
Bremsen: vorn 911 S, hinten Serie 914/6
Leergewicht: ca. 840 kg
Länge/Breite/Höhe: 3.985/1.690/1.240 mm
Radstand: 2.450 mm
Vmax: keine Angabe
Verbrauch: keine Angabe
Tankinhalt: 100 Liter (Renntank, Gruppe 4)
Baujahr: 1970
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 10.
Text: Thorsten Elbrigmann // Fotos: Thorsten Doerk
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