Langsam rollt der Porsche 356 die Startrampe herab. Es ist kurz nach acht Uhr morgens. Trotz der frühen Stunde säumen zahlreiche Zuschauer die Strecke aus Gröbming im steirischen Ennstal heraus in Richtung Stoderzinken. Andreas Kainer horcht in das gleichmäßige Geräusch des kernigen Vierzylinder-Boxermotors, wirft noch einmal einen prüfenden Blick auf die Instrumente des Sportwagens – alles in Ordnung.

Er ist voller Vorfreude auf das Kommende und ein wenig aufgeregt zugleich: Auf dieser Ennstal-Classic soll sein 356 Coupé nach einer aufwendigen Restaurierung die Feuertaufe bestehen. Kainer spielt ein wenig mit dem Gas, prüft die Exaktheit der Lenkung, spürt den Kontakt zur Straße. Sein Beifahrer streckt ihm vom Nebensitz den hochgestreckten Daumen herüber und schickt ein breites Lächeln hinterher. Das eingespielte Team nähert sich dem Start zur ersten Sonderprüfung dieser Ennstal-Classic – und der 356 durchbricht die Lichtschranke am Fuß des Bergs. Insgesamt 8.258 Meter über die abgesperrte, kurvige Straße auf den Stoderzinken hinauf gilt es zu nehmen.

„Das Starterfeld wird jedes Jahr interessanter.“

Nicht so schnell wie möglich, sondern so genau, wie es geht in der vorgegebenen Durchschnittsgeschwindigkeit von 48,2 km/h, kontrolliert von unerbittlichen Zeitnahmen. Kainer hält das Auto im Griff und auf Geschwindigkeit, sein Kollege unterstützt ihn als Herr der mechanischen Stoppuhren. Zügig geht es auf den Zweitausender, und nach rund 10 Minuten rollen sie durch die Ziel-Lichtschranke und auf den Rossfeldparkplatz. Ihr Gefühl sagt umgehend: Die Fahrt war flüssig, aber leicht unter der Idealvorgabe. Egal, der Auftakt zu dieser großartigen Klassiker- Veranstaltung ist genommen.

„Als wir die Veranstaltung 1993 erstmals durchführten, haben wir im Reglement bei Baujahr 1972 den Strich gezogen, weil bis dahin aus unserer Sicht so viele interessante Autos gebaut worden sind“, erklärt Organisator Michael Glöckner. „Dabei ist es dann geblieben. Ein Nebeneffekt: Das Starterfeld wird jedes Jahr älter und damit interessanter.“ Der frühere Motorsportfotograf und Tourismuschef in Gröbming hob die Ennstal-Classic zusammen mit dem Formel-1-Journalisten Helmut Zwickl aus der Taufe. „Die Mischung aus sportlichem Fahren, grandioser Landschaft, österreichischer Gastfreundschaft und entspannten Benzingesprächen zeichnet die Ennstal-Classic aus“, sagt Zwickl. „Wo findet man diese Kombination sonst?“

Genau über dieses Rezept hat sich die Ennstal-Classic, deren Hauptsponsor Porsche seit 2014 ist, in der internationalen Klassikerszene etabliert. Sie zieht Fans an. Die einen hegen den Wunsch, den eigenen Oldtimer über die sorgsam ausgesuchten, verkehrsarmen Straßen durch vier österreichische Bundesländer zu steuern – die Zahl der alljährlichen Bewerbungen übersteigt die Kapazität bei weitem. Die anderen erfreuen sich an einem der Start-, Ziel oder Durchfahrtspunkte am rollenden Museum.

Auf der Jagd nach besonderen Momenten

Andreas Kainer ist 2014 zum vierten Mal dabei. Inzwischen ist er vom Stoderzinken wieder herabgefahren und über eine kundig ausgesuchte Strecke unter anderem über die Nockalm und die Turracher Höhe unterwegs in Richtung Red Bull Ring in Spielberg, eins der weiteren Highlights am heutigen Tag. Sein 1955 in Zuffenhausen gebauter Sportwagen ist der älteste 356 im Feld und der zweitälteste Porsche: Nur ein paar Minuten vor ihm ist ein 550 Spyder aus dem Werksmuseum gestartet.

Irgendwo hinter der nächsten Kuppe und vor weiteren Klassikern vermutet Kainer den silbernen Renner, und gern würde er sich im Laufe des Tages ein wenig an dessen Fersen heften. Mal sehen, ob das klappt. Spaß hat er schon jetzt: Er ist mit seiner Fahrmaschine verschmolzen und schwingt sie im Idealrhythmus durch die Kurven und Kehren. „Wenn ich diesen Zustand erreicht habe, bin ich ein Jäger nach besonderen Momenten“, erzählt er mit leuchtenden Augen. „Hier erhalte ich sie auf nahezu jedem Meter Asphalt.“

Der 356 in der sehr seltenen Ausführung Pre A Continental Knickscheibe nähert sich einer Biegung. Kainer schaltet mit Zwischengas erst in den dritten, dann in den zweiten Gang zurück. Die Nadel des Drehzahlmessers steht bei rund 3.000 Touren. Exakt auf der Ideallinie geht es erst nach rechts, dann gleich nach links auf die nächste Gerade. Kainer drückt aufs Gas, und der Boxermotor schiebt an. „Das Auto freut sich, wenn es zwischen 3.000 und 5.000 drehen kann. Es läuft dann ganz frei. Allerdings muss man es zügig laufen lassen und darf den Speed nicht wegbremsen, weil man sonst am Berg die Kraft nicht hat, erneut zu beschleunigen.“

Prominente Fahrer am Start

Außergewöhnliche Momente liefert die Ennstal-Classic wahrlich genug – in der Landschaft, in den Autos, in Gesprächen. Dazu trägt auch die vergleichsweise große Zahl an prominenten Rallye- und Rennfahrern bei, die gleichfalls angelockt sind von den multiplen Reizen der Veranstaltung und ihrerseits einen automobilen Klassiker über die Strecke pilotieren. Ein kleines „Who’s Who“ des Spitzenmotorsports ist so über die Jahre zusammengekommen, alles von Rang und Namen fand bereits den Weg ins „letzte Paradies“: Die lange Liste würde locker 20 Zeilen füllen. 2014 unter anderem am Start: Jacky Ickx, Marc Lieb, Walter Röhrl und Hans-Joachim „Striezel“ Stuck, alle auf Porsche.

Das Unternehmen hat dazu wertvolle und seltene Fahrzeuge aus dem Stuttgarter Museum nach Österreich gebracht. Ickx ist im 550 Spyder von 1955 unterwegs, Röhrl pilotiert einen 718/8 W-RS aus dem Jahr 1962 und Stuck einen 356 Carrera GT von 1960. Bestens von der Museumswerkstatt präpariert dienen sie als feine Werkzeuge für perfekte Fahrer. Marc Lieb sorgt bei Demofahrten außerhalb der Konkurrenz mit einem 911 GT1 aus dem Jahr 1998 für strahlende Zuschauergesichter.

Walter Röhrl, für viele der weltbeste Rallyefahrer schlechthin, ist in Gröbming ein alter Bekannter. Bereits bei der Premiere der Ennstal-Classic im Jahr 1993 war er zusammen mit seiner Frau am Start – und holte auch prompt den Gesamtsieg. Ein weiteres Mal 1997 zusammen mit dem früheren Porsche Ingenieur und Rennleiter Peter Falk. Für 2014 entschied Röhrl sich für die Teilnahme an der Chopard Racecar-Trophy, ein eigenständiger Wettbewerb, der begleitend zur Ennstal-Classic ausgetragen wird.

„Der 718 geht einfach wunderbar“, schwärmt er. „Die Lenkung, das Fünfganggetriebe, der Motor – alles funktioniert unglaublich präzise. Du glaubst nicht, dass du in einem mehr als 50 Jahre alten Auto sitzt.“ Solchermaßen beflügelt zirkelte er über abgesperrte Bergstraßen beispielsweise zur Tauplitzalm hinauf oder umrundete den Red Bull Ring. „Ein ganz großer Genuss. Tolle Straßen und tolle alte Autos – beide Zutaten haben die Organisatoren ideal zusammengeführt.“

Während die von Porsche gesponserte Ennstal-Classic mit normal zugelassenen Klassikern in moderatem Tempo auf öffentlichen Straßen durchgeführt wird, versammelt seit 2013 die Chopard Racecar-Trophy Rennfahrzeuge bis Baujahr 1983. Sie fahren einen flotteren Reifen – aber ausschließlich auf abgesperrten Strecken.

Anspruchsvolle Aufgaben unterwegs

Beiden gemeinsam ist der Wettbewerbscharakter: Geschwindigkeit und Geschick entscheiden über den Sieg. Wobei bei der Ennstal-Classic keine Maximaltempi erreicht, sondern beispielsweise genaue Zeitvorgaben für den Streckenabschnitt möglichst exakt erfüllt werden müssen. Und zwar ausschließlich mithilfe mechanischer Zeitmesser – elektronische Hilfsmittel jeglicher Art sind untersagt. „Das Qualifikationsniveau der Teilnehmer ist immens hoch“, sagt Michael Glöckner, „sie ringen über Hundertstelsekunden um den Sieg. Da wird richtig gekämpft.“

Auch deshalb hat ein Pokalgewinn bei der Ennstal- Classic in der internationalen Klassikerszene längst ein starkes Renommee. Glöckner: „Das sportliche Autofahren ist der Kern unserer Veranstaltungen. Die schöne Landschaft und alles Ambiente drumherum sind prächtige Beigaben.“ Mehr als 800 Kilometer innerhalb von vier Tagen absolviert das Feld – kein Zuckerschlecken für Menschen und Maschinen. Zumal das Wetter gern mit seinen Kapriolen überrascht. Und manchem im offenen Klassiker mitunter der Regen ins Gesicht treibt. Doch gerade an solchen Tagen, so scheint es, strahlt das Lächeln umso mehr.

Das Porsche Engagement kommt bei den Teilnehmern gut an. „Es passt auch deshalb so gut, weil die Marke ihre Wurzeln in Österreich hat“, meint Andreas Kainer. Der Unternehmensgründer Ferdinand Porsche ist in Österreich-Ungarn geboren, der erste 356 in der frühen Nachkriegszeit dort entstanden, und bis zum heutigen Tag leben viele Familienmitglieder hauptsächlich in diesem Alpenland. Dr. Wolfgang Porsche ist selbst schon mehrfach die Ennstal-Classic mitgefahren.

Schmankerl-Fahrzeuge aus dem Porsche Museum

Echte Schmankerl seien auch die mitgebrachten Museumsfahrzeuge. „Super, diese Autos hier zu erleben“, sagt Kainer. Und natürlich die prominenten Fahrer. „Mit ihnen macht Porsche allen Teilnehmern und Zuschauern ein Geschenk. Die Renn- und Rallyefahrer waren die Idole meiner Kindheit. Nun fahren wir bei ein und derselben Veranstaltung – damit wird für mich ein Traum wahr.“ Wobei es nicht allein die Anwesenheit der illustren Gäste sei, sondern vor allem ihre Nahbarkeit. „Auf der Ennstal-Classic herrscht eine sehr familiäre Atmosphäre. Jeder spricht mit jedem, und man tauscht sich auf Augenhöhe über die Erlebnisse unterwegs aus.“ Doch die Autos sind die eigentlichen VIPs, die „Very Important Persons“.

Beim Mittagsstopp prüft Kainer kurz den Ölstand bei seinem 356er – die bernsteinfarbene Flüssigkeit steht innerhalb der Markierungen am Messstab. Es ist nicht sein einziger Porsche Klassiker. „Ich fahre viel mit meinen alten Sportwagen, im Sommer jeden Tag, und ich bin noch nie liegen geblieben“, erzählt er. „Die Autos sind trotz ihres Alters eigentlich unverwüstlich. Klar, man darf sie nicht überfordern und sie müssen immer fachgerecht gewartet werden. Doch dann danken sie es mit immensem Fahrspaß.“

Er und sein Beifahrer werden sich in wenigen Minuten wieder aufmachen, um das nächste Teilstück zu absolvieren. Mit Nachdruck und Gefühl zugleich drückt Kainer die Motorhaube in die Verriegelung. Seine Hände spüren die Restwärme im Blech, die gleich wieder eine leicht höhere Temperatur erreichen wird. Er wird den Zündschlüssel herumdrehen, dem Boxerbellen lauschen, beim Startsignal losrollen und den Sportwagen auf Touren bringen.

Die eindrucksvolle Umgebung, Roll- und Windgeräusche, die Verbindung des Fahrers mit Sitz und Fahrgestell zum Asphalt, der den Motor regulierende Gasfuß, der Sound – in der Summe das gesamte große Kino auf dieser Ennstal-Classic: Dann ist er wieder unterwegs, der Jäger nach den besonderen Momenten.

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