Als Joy Denalane die Bühne betritt, ist es für einen kurzen Moment ganz still. Dann beginnt das Publikum zu klatschen und zu kreischen, bevor die Sängerin den Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie mit der Energie ihrer einzigartigen Stimme zum Leben erweckt. Deutschlands wohl beste Soulsängerin trifft auf Deutschlands berühmtestes Konzerthaus. Es ist ein einzigartiges Erlebnis für das Publikum. Aber auch eines für die Sängerin selbst.
Wenige Stunden zuvor steht Joy Denalane zum ersten Mal im Herzen der Elbphilharmonie. Draußen glitzern die Glasfassade und die Elbe in der Mittagssonne. Drinnen beleuchten gedimmte Scheinwerfer die Bühne des Großen Saals. Denalanes Worte hallen klar von den Wänden zurück. In diesem leeren Raum, der aussieht wie ein Weinberg, der aus 10.000 weißen, millimetergenau gefrästen Gipsfaserplatten gebaut wurde, wirkt jedes Wort ganz rein. „Es ist ein unwahrscheinlicher Ort“, sagt sie mit Bewunderung in ihrer Stimme. „Hier wurden Ästhetik, Architektur und Sounddesign vollendet zusammengebracht.
Das Duett „Mit dir" gemeinsam mit Max Herre wird über Nacht zum Hit
Beim Soundcheck geht die Sängerin auf Tuchfühlung mit einem Raum. „Ich spüre die Bühne sofort, wenn ich sie betrete und die ersten Töne singe“, sagt Denalane. Auf unzähligen Bühnen hat sie in ihrer Karriere bereits gestanden, in kleinen Clubs genauso wie in den großen Konzerthallen. „Mein Anspruch war es immer, eine unvergessliche Show abzuliefern. Egal, ob für 50 oder 5.000 Zuschauer.“
Hamburg war dabei immer gut zu ihr. Zum ersten Mal in der Hansestadt aufgetreten ist sie vor 20 Jahren. Damals noch als Teil des Hip-Hop-Kollektivs FK-Allstars. 1999 gelang ihr der Durchbruch quasi über Nacht. Im Duett mit Max Herre hatte sie den Song „Mit dir“ aufgenommen. Ihr erster großer Hit. „Mit dir steht die Zeit still“, sangen sie. In manchen Momenten gilt das für beide heute genau wie damals. Inzwischen sind sie verheiratet, haben zwei gemeinsame Kinder. In der Realität läuft die Zeit jedoch unweigerlich weiter. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die beiden Söhne bereits erwachsen geworden sind.
Auch Joy Denalane ist in der Zwischenzeit als Sängerin gewachsen, von der Newcomerin zur deutschen Queen of Soul. So wird sie von zahlreichen Medien genannt. Sie selbst findet den Begriff befremdlich. „Ich weiß, dass das nett gemeint ist, aber ich sehe mich nicht als Königin“, sagt sie. Zumal es das Genre Deutsche Soulmusik eigentlich nicht gibt. „Ich bin einfach nur Joy aus Berlin, die gerne Musik macht, Mutter, Tochter und eine sehr gute Freundin.“ Und sie ist eine Träumerin.
Dass es nicht schon immer ihr Traum war, Musikerin zu werden, ist kaum vorstellbar. „Rückblickend muss ich oft selbst darüber lachen“, sagt sie. Bereits ihre frühesten Erinnerungen sind fest mit Musik verknüpft. Ihr erster Lieblings-Hit war „Kung Fu Fighting“ von Carl Douglas. „Den fand ich damals so toll, dass mein Vater mir die Single auf Vinyl geschenkt hat“, erzählt sie. Damals war sie vier oder fünf Jahre alt. Das war Teil eines festen Rituals: „Jeden Samstagmorgen ging mein Vater in den Plattenladen, mittags legte er seine neuen Platten auf und hat dazu gekocht.“ Die zeitlosen Songs von Marvin Gaye, Diana Ross oder Aretha Franklin eröffneten ihr einen Zugang in die Welt der Musik. „Das ist alles unterbewusst passiert. Das war einfach Teil meines Lebens.“
„Ich will am liebsten 100 Jahre alt werden – und so lange wie möglich Musik machen und auf der Bühne stehen.“ Joy Denalane
Damals hatte sie noch andere Pläne: Sie wollte Stewardess werden, manchmal auch Tierärztin oder Krankenschwester. „Alles sehr traditionelle Stereotype, denen ich da nachgelaufen bin“, sagt sie, gefolgt von ihrem Lachen, das warm und laut durch den Großen Saal schwingt. Dabei ist sie als Kind einer deutschen Mutter und eines südafrikanischen Vaters alles andere als stereotypisch aufgewachsen. „Ich bin mit der Außenseiterrolle groß geworden“, erzählt sie. Sie lernte zwangsläufig, gegen Vorurteile anzukämpfen und sich durchzubeißen. „Für mich gab es deshalb schon ganz früh nur den Weg nach vorne“, betont sie. Diese Einstellung brachte ihr während des Studiums den ersten Plattenvertrag ein. Erst da habe sie ernsthaft an eine Karriere als Musikerin geglaubt. Die Krönung folgte, als sie 2020 ein Album beim legendären Motown-Label aufnehmen durfte. Als erste deutschsprachige Künstlerin überhaupt. Auf „Let Yourself Be Loved“ singt sie Lieder im Soulsound ihrer Kindheit. So wie ihn Vater George Samstag für Samstag auf Platte mit nach Hause gebracht und ihr vorgespielt hat.
Der Traum von Joy Denalane lebt auf der Bühne – und soll noch lange weitergehen
Diesen Traum präsentiert sie nun in der Elbphilharmonie. „Es ist etwas sehr Besonderes, hier spielen zu dürfen. Das werde ich mit Sicherheit niemals vergessen.“ Vielleicht kommt sie ja mal wieder. Denn Joy Denalane wäre keine Träumerin, wenn sie nicht längst den nächsten Traum verfolgen würde: „Ich will am liebsten 100 Jahre alt werden – und davon so lange wie möglich Musik machen und auf der Bühne stehen.“
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 405.
Autor: Kevin Schuon
Fotos: erdmann & erdmann medien GmbH
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