Gibt es Träume, die sich nicht lohnen? Sind sie vergebens, wenn ihre Erfüllung zu weit entfernt scheint? Für Krithin Paul Pereira spielt Entfernung keine Rolle. Für seinen Traum ist der 22-Jährige mit seinen Eltern knapp 10.000 Kilometer gereist, von seinem Zuhause in Kuala Lumpur zu Porsche nach Weissach. Er wird dort Designer kennenlernen und eintauchen in eine Welt, die ihn seit Jahren fasziniert und antreibt: Sportwagen von Porsche.
Für Pereira ist dieser Tag der Höhepunkt einer Reise, die sich nicht in Kilometern bemessen lässt. Einer Reise, die von Leidenschaft erzählt, von Hingabe, Freude, Inspiration und dem unbändigen Willen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es ist die Geschichte eines Traumes, der zu Anfang unerreichbar scheint. Doch der sich lohnt – wie Pereira an diesem Tag beweisen wird. Er wird seine Bilder zeigen, Zeichnungen von Porsche-Modellen, spektakulär und besonders – oder wie es der Designer Stéphane Lenglin später formulieren wird: „herausragend und beeindruckend – das hat viel Potenzial.“
„Unglaublich, das zu sehen.“
Der Flug aus Malaysia war kräftezehrend, die Nacht kurz, zu groß die Aufregung, zu nah das Ziel. Doch Pereira sprüht vor Begeisterung, als er in Weissach ankommt. Seine Freude überträgt sich auf seine Eltern Ashita und Jackson Pereira sowie seinen Pfleger Jules Bonifacio, die mit ihm gekommen sind. Jackson Pereira schiebt seinen Sohn im Rollstuhl in den riesigen Präsentationsbereich des Design-Studios. In der Mitte thront das 1:1-Modell eines 911 GT3. Krithin Paul Pereira lacht, dann ein kurzer Freudenschrei. Sein Vater legt ihm die Hand auf die Schulter. Er weiß, was seinem Sohn dieser Tag bedeutet: „Er hat so lange darauf gewartet“, sagt er. „Unglaublich, das zu sehen.“
Krithin leidet unter einer Zerebralparese, einer Gehirnstörung, hervorgerufen durch eine Verletzung bei der Geburt. Motorische Fähigkeiten, flüssiges Sprechen – all das ist für ihn eine körperliche Herausforderung. „Wir haben monatelang um sein Leben gekämpft“, erzählt seine Mutter. Krithin kämpft bis heute. Er ist keiner, der sein Schicksal einfach hinnimmt. „Er ist überzeugt, dass jeder Mensch Probleme hat. Und auch wenn seines etwas größer ist, so soll ihn das nicht zurückhalten, seine Träume zu verwirklichen“, sagt Ashita Pereira. „Seine positive Art bringt ihn ans Ziel.“ Mit seinen 22 Jahren ist Pereira auf dem schulischen Ausbildungsniveau seiner Altersgenossen angekommen. Er hat seine letzten Prüfungen vorgezogen, um in Ruhe nach Deutschland reisen zu können. Danach beginnen die Vorbereitungen für ein Studium. Fachgebiet: Fahrzeugtechnik.
„Ich möchte einen Sportwagen für Menschen mit Behinderung entwickeln.“ Krithin Paul Pereira
Doch nun warten zunächst die Begegnungen, die seinen Traum Wirklichkeit werden lassen. Die Porsche-Designer Stéphane Lenglin und Tobias Benedini begrüßen den Ehrengast in der heiligen Halle, in der sonst intern neue Modelle präsentiert werden. Schnell entspinnt sich ein Expertengespräch über Formen und Proportionen. Dann greift der Gast zum Stift. Auch wenn Pereira zum Zeichnen normalerweise am Tisch sitzt, präsentiert er nach wenigen Minuten eine auf dem Schoß gezeichnete Sportwagen-Skizze, die auch die Designprofis fasziniert. „Seine Kreativität ist einzigartig“, sagt Stéphane Lenglin. „Es ist herausragend, wie er die speziellen Proportionen der Modelle trifft. Als Designer bin ich wirklich beeindruckt von seinem Können.“
Pereira hat sich dieses Lob hart erarbeitet. Erst 2018 fing er an, Porsche-Fahrzeuge zu zeichnen. Seine ältere Schwester, die zu dieser Zeit Architektur studierte, hatte ihn inspiriert. Alles begann mit einem Porsche-Logo, irgendwann schenkte er Freunden und Unterstützern ein ganzes Buch voller Zeichnungen von Porsche-Modellen. Er gab ihm den Titel „Without Limits“ – „ohne Grenzen“.
Es ist diese Leidenschaft, die auch seine Arbeiten so stark macht. „Durch seine Zeichnungen kann er sich ausdrücken“, sagt seine Mutter. „Das macht ihn glücklich.“ Von Glück wird in den Tagen seiner Reise viel die Rede sein. Krithin trifft auf Detlev von Platen, Mitglied des Porsche-Vorstandes, Vertrieb und Marketing, dem er auf Deutsch „Ich liebe Porsche“ zuruft. Im Porsche Museum und während einer exklusiven Führung durch das Porsche Archiv taucht er noch tiefer ein in die Markengeschichte und erlebt schließlich auf dem Hockenheimring während einer Fahrt im 911 GT3 die unbeschreibliche Kraft der Sportwagen, die er so bewundert. Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht. Pereira genießt – dann denkt er weiter.
„Ich würde gerne einen Sportwagen für Menschen mit Behinderung entwickeln“, sagt er. Krithin Paul Pereira kennt sein Ziel. Wer ihn erlebt, weiß: Er wird alles dafür geben. Denn er ist ein Kämpfer, der zeigt, dass sich jeder Traum lohnt. Egal, wie weit entfernt er auch erscheinen mag.
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 406.
Autor: Frieder Pfeiffer
Fotos: Roderick Aichinger
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