„Vertraue deinen Instinkten!“ Dieser Satz ist ein Befehl zum Überleben. Eindringlich vorgetragen von Tom Cruise im 2022 erschienenen Blockbuster Top Gun: Maverick und gerichtet an einen jungen Piloten, für den er väterliche Gefühle hegt. Nur mit großem Selbstvertrauen wird dieser eine hochgefährliche Mission überstehen können, weil zum Nachdenken keine Zeit bleibt. Cruise, im realen Leben ebenfalls ein ausgezeichneter Flieger, spielt nicht nur im Film die Rolle des eigensinnigen Ausbilders.
Er hat auch die Schauspieler bei den Dreharbeiten geschult. Gemeinsam mit Navy-Piloten brachte er ihnen bei, in F/A-18-Jets Kräfte von mehr als 7 g auszuhalten und dabei auch noch ihre Rollen auszufüllen. „Der Aufwand war gigantisch“, sagt Regisseur Joseph „Joe“ Kosinski über eine der erfolgreichsten Kinoproduktionen der Filmgeschichte. „Aber wenn diese Kräfte und Geschwindigkeiten beim Publikum ankommen sollen, müssen die Bilder eben echt sein.“
Maximale Authentizität für ganz großes Kino – darum geht es dem 48-Jährigen auch bei seinem neuen Formel-1-Film. „Speed war immer mein Thema“, ergänzt Kosinski, während wir in seinem Heimkino sitzen, wo er bisweilen auch Tom Cruise empfängt – und seit einer Weile Brad Pitt, den Star eines 2023 entstehenden Rennsportfilms. Das Haus ist ein architektonisches Juwel und der Regisseur ein ruhiger, konzentrierter Gesprächspartner. Dabei zählt Sitzen gar nicht zu seinen Kernkompetenzen. „Ich bin immer in Bewegung, mit Ferien kann ich nichts anfangen.“
Ursprünglich wollte er Rennwagen konstruieren, träumte davon schon im Kinderzimmer unter seinem Porsche 959 Poster. Folgerichtig studierte er Maschinenbau sowie Luft- und Raumfahrttechnik an der kalifornischen Stanford University. Nur bis zum Bachelor, denn ein Professor hatte Kosinskis besonderes Auge für Gestaltung erkannt und riet zur Architektur. Drei Jahre studierte er Baukunst an der Columbia University in New York, bereiste von dort aus die Welt.
„Speed war immer mein Thema.“ Joe Kosinski
Er bewunderte Antoni Gaudís Werk in Spanien, den Futurismus von Erich Mendelsohns Einsteinturm im deutschen Potsdam und ganz besonders Frank Lloyd Wrights architektonisches Vermächtnis in der Heimat. Parallel erweiterte er seine Studien um das Fach Musik. Denn die liegt ihm im Blut: „Mein Großvater war Jazztrompeter, meine Mutter Konzertpianistin.“ Als Dreijähriger saß er am Klavier, mit zehn Jahren schwenkte er um auf Saxofon. Wie sein Opa spielte auch Kosinski in einer Band – vorzugsweise klassischen Jazz. Charlie Parker, Miles Davis und Co. „Aber ich war klug genug, um zu erkennen, dass mein Talent für eine Profikarriere nicht reichte.“ Doch heute stützt ihn sein Musikwissen, wenn er mit den besten Filmkomponisten der Welt arbeitet. Mit Hans Zimmer etwa bei Lady Gagas Hold my Hand für Top Gun: Maverick. Der Soundtrack des französischen Duos Daft Punk für Kosinskis Kinodebüt Tron: Legacy von 2010 war für einen Grammy nominiert. „Die emotionale Wirkung von Musik kann gewaltig sein“, betont der Filmemacher, „das macht sie genauso wichtig wie die Bilder.“
Der Ursprung seines filmischen Schaffens ist in New York zu finden. Während seines Baukunststudiums begann Kosinski in jungen Jahren, erste Kurzfilme zu produzieren. Nur zwei Minuten dauert der Streifen Desert House – genug, um einen Marketingexperten von Nike zu überzeugen. Bald darauf drehte Kosinski seinen ersten von vielen tempogeladenen Werbefilmen. Zwei von seinen Kinoerfolgen sind Fortsetzungen. Der Science-Fiction-Film Tron: Legacy und natürlich Top Gun: Maverick. Orientiert sich der Formel-1-Film auch an Vorbildern? „Inspirativ auf jeden Fall“, sagt Kosinski. Die 2010 erschienene Dokumentation über Ayrton Senna ist für ihn der beste Motorsportfilm von allen. „Das liegt an seiner Wahrheit – nie wurde deutlicher, was es bedeutet, Formel-1-Rennen zu fahren.“ Den Spielfilm Grand Prix von 1966 bezeichnet er ebenfalls als cineastischen Meilenstein.
„Die Handlung inklusive Liebesgeschichte ist fiktiv, aber John Frankenheimer drehte während echter Rennen mit realen Fahrern.“ Ehrfürchtig berichtet Kosinski über Pionierleistungen des US-Regisseurs: „Er entwickelte eine Kamera, die sich auf den Rennwagen montieren ließ und die man sogar schwenken konnte. Für mich bleibt das eine der wegweisendsten Ingenieursleistungen der Filmgeschichte, die wir heute in neue Dimensionen weiterdenken. Das ist uns mit Spezialkameras in Jets gelungen, und für den Formel-1-Film können wir uns technisch noch steigern.“
Nicht nur die Geschwindigkeit ist verbindendes Element in seinen Filmen. Auch die frühkindliche Autobegeisterung und seine Leidenschaft für Porsche finden immer wieder Raum in Kosinskis Werk. „Die DNA eines Porsche ist wie ein Film, bei dem man sofort erkennt, wer Regie geführt hat.“ Mit 33 Jahren kauft er sich sein erstes Modell, einen 718 Cayman S. „Mit seinem Mittelmotor war das ein fantastisch ausbalancierter Wagen! Aber als unser erster Sohn geboren wurde, habe ich einen 911 Carrera S, Typ 997, gekauft.“ Es folgten weitere Elfer. „Am schärfsten war der 911 Turbo, Typ 991“, erzählt er. „Ich hatte ewig an der Ausstattung komponiert und ein halbes Jahr auf ihn gewartet.“ Das war 2017. Die Freude währte kaum länger als ein Jahr. „Ein Parkhausangestellter fuhr mit dem Turbo Rennen – und kollidierte in der Auffahrt frontal mit einem Kollegen.“ Als Film wäre die Story wohl eine Komödie. In der Realität hallt der Verlust schmerzhaft nach.
Mittlerweile haben Kristin und Joe Kosinski zwei Söhne, zwölf und acht Jahre alt, sowie eine zweijährige Tochter, die alle im Cayenne GTS Coupé Platz finden. Daneben parkt ein 911 Carrera Coupé (993), Baujahr 1996. „Der Wagen ist kompakt und leicht, ich liebe den Klang des Luftgekühlten und kann selbst daran schrauben.“ Die kurvige Tuna Canyon Road, die einzige Canyon-Einbahnstraße Kaliforniens, genießt er mit seinem Klassiker am liebsten. „Und auf dem Mulholland Highway in Malibu schätze ich die Souveränität des Cayenne.“ Alle paar Monate trainiert der Aficionado im Porsche Experience Center und freut sich schon auf den bestellten 911 GT3 mit Touring-Paket. Noch rasanter geht es jedoch bei der Vorbereitung für seinen nächsten Film zu, wenn er sich ins enge Cockpit eines Nachwuchs-Monopostos windet. „Ich will die Fahrerperspektive vor dem Scheitelpunkt einer Kurve verstehen.“ Brad Pitt fährt unterdessen bereits Formel 2. „Auch dieser Film muss authentisch werden“, gibt Kosinski vor.
Als Berater und Produzent ist der siebenmalige Weltmeister Sir Lewis Hamilton an Bord. „Und wir arbeiten eng mit dem Formel-1-Management zusammen – vergleichbar mit der Navy-Kooperation.“ Zum Inhalt lässt sich Kosinski Grundsätzliches entlocken: „Die Geschichte handelt von disruptiven Außenseitern.“ Brad Pitt spielt einen Ex-Rennfahrer. In den 1990er-Jahren ein aufgehender Stern, dem der ultimative Erfolg verwehrt blieb. Dekaden später kehrt er als Teamchef mit einer Underdog-Mannschaft zurück. Die technische Teamführung ist weiblich besetzt.
Starke Frauen sind dem Amerikaner wichtig. Neben der Top-Gun-Pilotin Phoenix, die er stets mit realen Navy-Pilotinnen aufsteigen ließ, inszenierte er für den Kassenschlager auch die Figur der Penny Benjamin. „Eine autarke Geschäftsfrau und meisterliche Seglerin, absolut auf Augenhöhe mit Maverick.“ Am romantischen Ende des Films fährt Penny mit ihrem 911 S, Baujahr 1973, vor. Der Sportwagen ist mehr als eine Hommage an den 356 Speedster aus dem ersten Top-Gun-Film: „Die Szene mit Jennifer Connelly und Cruise musste ein ikonischer Top-Gun-Moment werden“, führt Kosinski aus. „Darin wollte ich unbedingt einen der schönsten je gebauten Porsche zeigen.“ Die Aufnahmen sind persönlich wie Kosinskis Signatur. Dass der Wagen und er dasselbe Baujahr tragen, ist natürlich kein Zufall. Die von ihm geschaffenen Charaktere sind stimmig und fesselnd, heben sich aber wohltuend von absoluten Superhelden ab. So soll es auch im Formel-1-Film gelingen. „Wir erzählen von den einzigartigen Abhängigkeiten zwischen Technik, fahrerischem Talent und Geschäft. Das und den brutalen Speed wollen wir transportieren.“
Dabei kommt Kosinski jetzt alles zugute, was er je angepackt hat: seine Expertise in Fahrzeugtechnik, Aerodynamik und Musik – gepaart mit seiner Passion für Autos und Speed. „Ich habe großes Glück, dass ich nicht über die Ausbildung an einer Filmhochschule Regisseur geworden bin“, fasst er seine bunte Vita zusammen. Zeit für einen diskreten Blick auf die Uhr – Kosinski trägt den schwarzen Chronograph I von Porsche Design, genau wie Maverick im Film. Auch bei der neuen Produktion muss er wieder zentrale Entscheidungen im Minutentakt treffen und extreme Stresssituationen präzise parieren. Er schafft das, weil er seinen Instinkten vertraut. Wie seine Filmhelden.
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 406.
Autor: Heike Hientzsch
Fotos: Linhbergh Nguyen
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