„In Monza zu fahren, ist immer etwas ganz Besonderes. Ich kann es kaum erwarten, mit dem 911 RSR endlich so richtig Vollgas zu geben“, sagt Werksfahrer Gianmaria Bruni, der sich den Rennwagen mit der Startnummer 91 mit dem Österreicher Richard Lietz teilt. Die Vorfreude ist im gesamten Team riesig. Kaum eine andere Rennstrecke rückt den Kern des Motorsports derart ins Zentrum einer Veran- staltung wie Monza: Fahrzeuge mit maximalem Tempo am Limit bewegen.
„Wenn ich in Monza ins Fahrerlager gehe, bekomme ich immer eine Gänsehaut. Die einzigartige Streckencharakteristik und die große Historie zaubern ein Lächeln in mein Gesicht“, beschreibt Adam Hardy, Renningenieur des Porsche 911 RSR mit der Startnummer 92 von Kévin Estre und Neel Jani. Der Brite ergänzt: „Endlich fahren wir mit der FIA WEC ein Rennen in Monza. Das wird für die Fans ein Spektakel und für uns Techniker eine große Herausforderung.“ Das Porsche GT Team kennt das Autodromo Nazionale di Monza nicht nur vom Prolog der Langstrecken-Weltmeisterschaft 2017, sondern auch von eigenen Tests auf der 5,793 Kilometer langen Strecke im Königlichen Park der 120.000-Einwohner-Stadt in der Lombardei.
„Diese Erkenntnisse helfen uns am kommenden Wochenende aber wenig“, sagt Hardy und präzisiert: „Den Prolog vor fünf Jahren sind wir mit der Vorgängerversion des 911 RSR gefahren. Unsere privaten Tests galten immer der Vorbereitung auf Le Mans – also waren wir mit einem ganz anderen Aerodynamikpaket auf der Strecke.“ In der FIA WEC darf einzig beim Highlight des Jahres, den 24 Stunden von Le Mans, ein verändertes Paket genutzt werden. Im kommenden 6-Stunden-Rennen kommt jene Variante zum Einsatz, die für alle Saisonläufe abseits von Le Mans homologiert wurde und baulich nicht verändert werden darf. „Das bedeutet, dass wir unseren Porsche 911 RSR mit dem High-Downforce-Paket in Monza auf möglichst wenig Luftwiderstand trimmen müssen“, erläutert Hardy. „Wir stellen den Heckflügel so flach wie möglich und passen die Bodenfreiheit an, um auf den langen Geraden 270 km/h und mehr zu erreichen. Dabei müssen wir vorsichtig sein, denn das Auto muss auf der Bremse sehr stabil auf der Straße liegen – andernfalls geht viel Zeit verloren.“
Ein gut ausbalanciertes Fahrzeug ist neben dem schieren Topspeed der Schlüssel zu Erfolgen in Monza. Auf den langen Geraden ist hohes Tempo gefragt, vor den Schikanen „Variante del Rettifilo“ und „Variante della Roggia“ muss die Bremsleistung maxi- mal sein und am Kurvenausgang die Traktion möglichst gut. In den schnelleren Kurven wie den beiden Lesmo-Rechtsbögen sowie der „Variante Ascari“ und der berühmten „Parabolica“ wiederum braucht es Abtrieb. „Wie so oft suchen wir den optimalen Kompromiss zwischen Abtrieb, Luftwiderstand, Traktion und Balance“, schildert der erfolgreiche Renningenieur, der unter anderem 2018 mit „seiner“ Startnummer 92 den Klas- sensieg in Le Mans erreichte. „Bei den Bremsen müssen wir dafür sorgen, dass die Temperaturspitzen nicht zu stark ausfallen“, führt der Brite weiter aus. „Wenn die Bremsscheiben und -beläge keine starken Schwankungen in den Werten aufweisen, ist die Leistungsfähigkeit des Systems konstanter und somit für die Fahrer berechenbarer – hierauf kommt es speziell vor der ersten Schikane an, wo wir das Auto innerhalb weniger Meter von rund 270 km/h auf 63 km/h zusammenstauchen müssen.“
„Wir werfen vor der ,Rettifilo‘ voll den Anker und müssen uns jederzeit darauf verlassen können, dass das Auto perfekt verzögert“, schildert Gianmaria Bruni vor seinem Heimspiel. „Fast genauso wichtig ist aber, dass wir gut aus den Ecken herausbeschleunigen können.“ Genau an jenen Stellen gerät der rund 515 PS starke Sechszylinder-Boxer des Porsche 911 RSR in den Fokus: Mit einem Vollgasanteil von 75 Prozent liegt Monza in jener Disziplin sogar etwas höher als der legendäre Circuit des 24 Heures in Le Mans. „Der große Umfang an Volllast-Passagen stellt für den Motor nicht das geringste Problem dar“, erklärt Alexander Stehlig. Der Einsatzleiter FIA WEC von Por- sche fügt eine überraschende Aussage an: „Das Schlimmste für einen Motor ist, wenn langsam gefahren wird.“ Auf den langen Geraden in Monza fließt ausreichend kühlende Luft zum Aggregat. „Dem Motor ist es egal, ob er 8.500 Touren im vierten oder im sechsten Gang dreht – Hauptsache, die Temperaturen bleiben im Rahmen. Das wäre bei einem Stadtkurs mit Stop-and-Go-Layout ein Thema, in Monza allerdings überhaupt nicht“, so Stehlig weiter.
Einen Nachteil haben die langen Vollgaspassagen jedoch: Der Benzinverbrauch liegt am oberen Ende der Skala. „Monza und Spa-Francorchamps sind die Spritfresser im Kalender“, bestätigt Adam Hardy. „Aber wir gehen davon aus, dass eine Tankfüllung für rund eine Stunde Fahrzeit ausreicht. Ist das der Fall, besteht das Rennen ganz normal aus sechs Stints – solange Safety-Car-Phasen keine Strategieanpassungen notwendig machen.“ Solche Szenarien spielen die Taktiker im Team bereits im Vorfeld durch. Wann lohnt sich ein frühzeitiger und somit zusätzlicher Boxenstopp? Wann ist hinter dem Safety-Car strenges Spritsparen angesagt, um einen Stint zu verlängern? Die Antworten auf die Fragen liegen bereits vor dem Start des 6-Stunden-Rennens am 18. Juli auf dem Tisch. Das Porsche GT Team hat sich konsequent vorbereitet. „Wir gehen mit einer extra Portion Motivation in das Rennen“, betont Hardy und fügt schmunzelnd hinzu: „Monza ist das Heimspiel von Ferrari – unserem Hauptgegner in der GTE-Pro-Klasse. Wir würden sie dort sehr gerne schlagen.“