Zur Entwicklung eines neuen Automobils gehören ausgiebige Testfahrten von insgesamt mehreren Millionen Kilometern mit Prototypen in den verschiedenen Entwicklungsstufen. Nur so können alle Systeme auf Herz und Nieren geprüft werden. Solche Erprobungen sind in der Praxis noch fester Bestandteil im Gesamtentwicklungsprozess, doch die Fortschritte bei den modernen Fahrassistenzsystemen erfordern andere Strategien.
Denn allein für den Test einer teilautonomen Fahrfunktion müssten Ingenieure diese über mehrere Jahre hinweg auf der Straße erproben. Darum rücken Computersimulationen immer stärker in den Fokus. Auch bei Porsche Engineering: Dort nutzen die Experten in zahlreichen Projekten Hardware-in-the-Loop (HiL), eine Methode, die sich in Komponententests bewährt hat und zunehmend auch für hochkomplexe Systeme Anwendung findet.
Hardware-in-the-Loop ist das Bindeglied zwischen Software und der Ziel-Hardware im Fahrzeug. Der HiL-Prüfstand fungiert dabei als Nachbildung der realen Umgebung eines Steuergerätes oder eines Steuergeräteverbundes. Die Elektronik des angeschlossenen Steuergerätes wird mit elektrischen Steuersignalen versorgt, die Signale der Bus-Systeme von einer Restbussimulation. Dieser Zustand lässt sich für das Steuergerät nicht vom Betrieb im Fahrzeug unterscheiden. Zu Testzwecken lassen sich so auch gezielt Fehlinformationen auf die Sensor-Schnittstellen und Datenbusse des Fahrzeugs geben, um beispielsweise die Auswirkungen einer defekten Kurbelwelle oder den kompletten Ausfall eines anderen Fahrzeugsystems zu simulieren und so die Diagnose des Steuergerätes abzusichern.
Bibliothek mit Simulationsmodellen
Grundlage für die HiL-Simulationen sind detaillierte mathematische Software-Modelle, die mit Matlab/Simulink erstellt werden und die physikalischen Prozesse im Fahrzeug nachbilden. Sie sind in Bibliotheken abgelegt, aus der die Modellierer passende Module entnehmen und diese – beispielsweise je nach Motorvariante oder Fahrwerkstyp – zu einem Gesamtsimulationsmodell zusammenstellen können. In der Bibliothek finden sich unter anderem Modelle für das Verhalten eines Ansaugsystems oder des Verbrennungsraums, aber auch komplexe Modelle verschiedener Fahrwerke mit oder ohne adaptiver Luftfederung, Wankstabilisierung und unterschiedlichsten Rädern.
Durch den Zugriff auf die Bibliotheken muss nicht jedes HiL-Simulationsmodell neu programmiert werden. Es reicht vielmehr, die vorhandenen Module zu konfigurieren und zu parametrieren. Allerdings ist die Nachbildung der physikalischen Prozesse im Fahrzeug sehr rechenintensiv und erfordert eine entsprechende Infrastruktur. „Wir haben mehrere sehr leistungsstarke Rechner in den HiL-Prüfständen verbaut und können so heute problemlos einzelne Teilmodelle physikalisch korrekt in Echtzeit abbilden. Es gibt auch Modelle der gesamten Fahrzeugvernetzung, des Fahrers und der Umwelt. Aber in einigen komplexen Abläufen, wie dem gesamten Verbrennungskreislauf im Motor, muss man sich derzeit noch Abhilfe verschaffen“, berichtet Jörg Turowski, der als Fachprojektleiter bei Porsche Engineering für die Antriebs-HiL-Systeme verantwortlich ist.
„Einige unserer Hil-Tests wären im Fahrzeug mit einem hohen Risiko für Personen- und Sachschäden verbunden.“ Jörg Turowski, Fachprojektleiter Antriebs-HiL-Systeme
Deshalb nutzen die HiL-Experten neuronale Netze, die im Gegensatz zu den physikalischen Modellen deutlich weniger Rechenleistung erfordern. Sie werden unter anderem dafür genutzt, physikalische Modelle
zu vereinfachen. In einem Simulationsmodell eines Motors wird beispielsweise aus den Ansteuersignalen des Motorsteuergerätes der Ablauf des Verbrennungsprozesses berechnet. Als Ausgabegrößen liefert die Simulation Werte wie die erzeugten Momente und Sensorsignale, die wieder zurück ins Motorsteuergerät eingespeist werden. Durch den Einsatz eines neuronalen Netzes müssen diese Ausgangswerte nicht mithilfe einer physikalisch korrekten Formel berechnet werden, stattdessen liefert sie das neuronale Netz in Echtzeit. Dafür muss es aber zuvor mit den Daten eines realen prototypischen Motors oder eines nicht echtzeitfähigen physikalischen Modells angelernt werden. Porsche Engineering setzt neuronale Netze seit Jahren sehr erfolgreich in den Simulationsmodellen ein.
Messung und Regelung
Sensoren liefern den Input für das elektronische Steuergerät, das diese gemessenen Ist-Werte mit Soll-Werten vergleicht. Weichen die Ist-Werte von den Soll-Werten ab, veranlasst das Steuergerät über Aktoren entsprechende Korrekturen.
Die Möglichkeiten zur Validierung von Software sind durch HiL-Prüfstände nahezu unbegrenzt. „Mit Hardware-in-the-Loop lassen sich selbst Testfälle analysieren, die nur sehr schwer auf der Straße oder im Feldtest untersucht werden können“, erklärt Heiko Junker, Leiter Fachdisziplin Elektronik Antriebsstrang bei Porsche Engineering. Das gilt insbesondere für die Untersuchung von Extremsituationen.
„Mit einigen dieser Tests wäre im Fahrzeug ein hohes Risiko für Per- sonen- und Sachschäden verbunden“, ergänzt Turowski. „Mit Hardware-in-the-Loop lassen sie sich hingegen beliebig oft und exakt wiederholen.“ Als Beispiele nennt er Tests bei hohen Geschwindigkeiten, das bewusste Überschreiten von Grenzwerten und die Prüfung von Softwarereaktionen auf Signale, die nur bei einem Unfall ausgelöst werden. „Das ist wichtig, um beispielsweise Schutzfunktionen abzusichern“, so Turowski.
Beim Einsatz von Hardware-in-the-Loop profitiert Porsche Engineering von seinen langjährigen Erfahrungen auf dem Gebiet der Simulation. Hinzu kommt, dass im kompletten Absicherungs- und Integrationsprozess die identischen Simulationsmodelle verwendet werden. „So können wir viele Synergien nutzen“, sagt Junker. „Dabei helfen uns auch vollautomatisierte Prozesse, vom Lastenheft bis zum Testergebnis.
Wir setzen dafür Testspezifikationsgeneratoren und Testfallgeneratoren ein.“ Kunden profitieren von einer Dienstleistung aus einer Hand: Porsche Engineering bietet ihnen ein komplettes Paket an – vom Konzept über den Aufbau und die Inbetriebnahme bis zur Restbussimulation und physikalischen Modellbildung. Hinzu kommt die detaillierte Analyse der Testergebnisse, inklusive Empfehlungen zu möglichen Abhilfemaßnahmen.
Interkontinentale Kooperation
In den HiL-Projekten arbeiten mehrere Standorte von Porsche Engineering eng zusammen. Diese interkontinentale Kooperation auf Basis der gleichen Prozesse, Techniken und Methoden bietet Junker und Turowski die Möglichkeit, Aufgaben nach Verfügbarkeit von Ressourcen, Know-how und mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Märkte weltweit zu verteilen.
„Wir bauen unsere hil-kapazitäten kontinuierlich aus.“ Heiko Junker, Leiter Fachdisziplin Elektronik Antriebsstrang
Während zum Beispiel der Standort in Mönsheim die Hardware-in-the-Loop-Prüfstände vor Ort für Bauteil- und Funktionsentwickler bereitstellt und die Konzepte für zukünftige HiL-Systeme entwickelt, werden in Prag die Tools für die automatisierte Testfallimplementierung und -auswertung kontinuierlich optimiert sowie eigene HiL-Systeme für die Testfalldurchführung betreut. In Shanghai wiederum ist man auf die Erstellung von physikalischen Simulationsmodellen und das Einbinden und Anlernen der neuronalen Netze spezialisiert.
„Außerdem können wir den Zeitunterschied zwischen Deutschland und China nutzen“, berichtet Junker. „Wenn wir hier bei HiL-Tests einen Fehler im Simulationsmodell finden, kann er in Shanghai über Nacht analysiert werden.“ Dort sowie an den anderen internationalen Standorten Cluj, Prag und Ostrava unterhält Porsche Engineering Laborflächen mit insgesamt mehr als 60 HiL-Prüfständen. Hinzu kommen weitere rund 40 Prüfstände in Deutschland, sodass sich der stetig steigende Testbedarf abdecken lässt. In Zukunft wird der Einsatz von Hardware-in-the-Loop-Technologie weiter zunehmen, denn der Trend zu immer weniger realen Prototypen wird sich weiter fortsetzen. „Darum bauen wir unsere HiL-Kapazitäten kontinuierlich aus“, so Junker.
Die für hochkomplexe Simulationsmodelle nötige Rechenleistung steht bereit, denn sie lässt sich durch die Verlagerung von Modellteilen in die Cloud fast beliebig steigern. „Zudem sind die Steuergeräte an den Prüfständen bereits heute mit dem Backend verbun- den“, sagt Turowski. „So lassen sich auch Cloud-Funk- tionen frühzeitig absichern.“ Selbst der völlige Ersatz von Prototypen erscheint möglich: „Wir arbeiten daran, mehrere Komponenten-HiL-Systeme in der Cloud zu einem virtuellen Gesamtfahrzeug zusammenzuschalten“, so Junker.
Info
Text: Andreas Burkert
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2021.