Game Engines in der Fahrzeugentwicklung

Game Engines erwecken Computerspiele zum Leben – und helfen bei der Entwicklung neuer Fahrfunktionen, zum Beispiel durch das Training von Fahrerassistenzsystemen mit synthetischen Sensordaten. Porsche Engineering berichtet über den Einsatz von Game Engines in der Fahrzeugentwicklung.

Wenn Tobias Watzl von der Arbeit kommt, setzt er sich gelegentlich zur Entspannung vor die Playstation. Allerdings sieht der 28-Jährige die Games mit anderen Augen als die meisten Spieler. „Manchmal frage ich mich zum Beispiel, wie die Entwickler eine bestimmte Reflexion oder Textur hinbekommen haben – anstatt die Gegner zu besiegen“, sagt Watzl und lacht. Dass er so genau hinschaut, hat einen Grund: Als Entwicklungsingenieur bei Porsche Engineering erschafft auch er täglich virtuelle Welten. Watzl baut im Rechner zum Beispiel Teile von Autobahnen nach, um damit Fahrerassistenzsysteme zu trainieren.

Dass die digitale Straße dabei aussieht wie im Computerspiel, ist kein Zufall. Denn Watzl verwendet bei seiner Arbeit unter anderem die Software „Unreal“, eine sogenannte „Game Engine“, die zum Beispiel beim Computerspiel „Fortnite“ die Bilder erzeugt. Was sonst virtuelle Schlachten auf den Bildschirm bringt, ist bei Porsche Engineering ein alltägliches Werkzeug: Game Engines lernen Assistenzsysteme an oder helfen Konstrukteuren bei der Visualisierung von Komponenten. Dank der Spieltechnologie können Kunden sogar bald virtuell Platz in ihrem gerade bestellten Fahrzeug nehmen, lange bevor es vom Band gelaufen ist.

Software-Experten, Porsche Engineering Cluj, 2021, Porsche AG
Neue Entwickler-Typen: Bei Porsche Engineering in Cluj arbeiten Software-Experten mit Gaming-Hintergrund und Automotive-Verständnis.

„Game Engines bieten standardmäßig die Technologie, um die notwendige Umgebung zur Simulation von Fahrerassistenzsysteme zu erstellen“, erklärt Frank Sayer, Leiter Fachdisziplin Virtuelle Fahrzeugentwicklung bei Porsche Engineering. Der Hintergrund: Die Algorithmen von Fahrerassistenzsystemen (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) brauchen viel Training und Absicherung. Sie müssen beispielsweise auf etlichen Testkilometern lernen, anhand von unterschiedlichen Sensoren eine Verkehrssituation blitzschnell zu erfassen und angemessen zu reagieren. Dazu wären sehr viele reale Testfahrten erforderlich – und längst nicht jedes zum Training notwendige Ereignis würde dabei auftreten.

Jede Eventualität lässt sich durchspielen

Deshalb verlegt Porsche Engineering das Training in die virtuelle Welt: Game Engines simulieren die Fahrten, mit denen der Algorithmus übt. Jedes Szenario und jede Eventualität lassen sich so durchspielen – auch solche, die man aus Sicherheitsgründen real nicht proben kann: Der Vordermann bremst überraschend, ein Tier springt auf die Fahrbahn, die Sonne blendet die Bordkameras. Auch der Mischbetrieb ist denkbar: Ein reales Fahrzeug reagiert auf virtuelle Objekte.

Frank Sayer, Leiter Fachdisziplin Virtuelle Fahrzeugentwicklung bei Porsche Engineering, 2021, Porsche AG
Frank Sayer

Einige der virtuellen Teststrecken haben reale Vorbilder, zum Beispiel die A8 in der Nähe des Stuttgarter Flughafens. „Die Kollegen kennen da jede Ausfahrt und jedes Schild – obwohl sie noch nie da waren“, schmunzelt Ionut Tripon von Porsche Engineering Romania in Cluj. Er arbeitet in dem Team, das die digitalen Teststrecken baut, und gehört zu den neuen Typen von Entwicklern, die Einzug in die Automobilindustrie halten: Softwareentwickler mit Gaming-Hintergrund und Automotive-Verständnis prägen die Zukunft der Mobilität ebenso wie KI-Experten und Maschinenbau-Ingenieure. „Hier werden Leidenschaft für Videospiele und deren Entwicklung kombiniert mit klassischen Fertigkeiten – das ist hoch motivierend, spannend und von unmittelbarer Relevanz für unsere Projekte“, bestätigt Tudor Ziman, der die Funktionsentwicklung in Cluj leitet.

Die mithilfe von Game Engines simulierten Fahrten haben den Vorteil, dass sie sich beliebig oft wiederholen lassen und bis ins Kleinste kontrollierbar sind. Außerdem brauchen sie weniger Zeit als echte. „Was in der Realität Stunden dauert, lässt sich auf Sekunden reduzieren“, so Tripon. Begrenzender Faktor sei dabei lediglich die Rechenleistung der verwendeten Hardware.

Taycan, Autobahnsimulation, 2021, Porsche AG
Virtuelle Autobahn: So sieht die A8 in der Nähe des ­Stuttgarter Flughafens aus – in einer Simulation, die bei Porsche Engineering in Cluj entstanden ist.

Doch auch diese Grenze verschwindet. Porsche Engineering hat begonnen, die virtuelle Entwicklung in die Cloud zu verlegen: Die Fahrsimulationen werden in das Rechenzentrum von Dienstleistern wie Amazon Web Services ausgelagert, wo sie parallel auf Dutzenden von Maschinen laufen. Drehen Tausende von simulierten Autos (Instanzen genannt) ihre Runden, verkürzt das die Entwicklungszeit drastisch.

Virtuelle Tests statt realer Prototypen

In der Konstruktion werden Game Engines eingesetzt, um das sichtbar zu machen, was es noch gar nicht gibt. Aktuelles Beispiel: Während der Entwicklung des Cayenne Coupé wurde darüber nachgedacht, den sogenannten Schwarzdruck am Glasdach zu verkleinern. Dieser Bereich am Rand der Scheibe verhindert, dass die Schienenführung des Sonnenrollos darunter zu sehen ist. Doch wie breit muss der Schwarzdruck sein? Bisher wird in solchen Fällen geschweißt und gesägt: Man präpariert ein Fahrzeug und probiert mehrere Glasdächer mit unterschiedlich breitem Schwarzdruck aus.

Ionut Tripon, Teamleiter digitale Teststrecken bei Porsche Engineering Cluj, 2021, Porsche AG
Ionut Tripon

Viel schneller und kostengünstiger lief dagegen der virtuelle Test ab, für den Porsche Engineering das hausintern entwickelte Visual Engineering Tool (VET) nutzte, welches auf der Game Engine Unity basiert. Aus den original CAD-Daten bauten die Ingenieure das Fahrzeug inklusive Glasdach virtuell nach. Nach wenigen Stunden konnten sie das Modell mit einer VR-Brille von allen Seiten in Augenschein nehmen. Ergebnis: Der Schwarzrand war richtig dimensioniert. „Mit einem realen Umbau hätten wir deutlich mehr Zeit und Geld gebraucht“, resümiert Entwicklungsingenieur Watzl.

„Was in der Realität Stunden dauert, lässt sich auf Sekunden reduzieren.“ Ionut Tripon, Leiter des Teams für die digitalen Teststrecken bei Porsche Engineering Cluj

Mittlerweile sind die von Game Engines erzeugten Bilder so gut, dass selbst Profis genau hinschauen müssen, um den Unterschied zur Wirklichkeit zu erkennen. Das wird im Vertrieb in Zukunft das Kauf-Erlebnis weiter steigern: Porsche befindet sich aktuell in der Testphase für den sogenannten Virtual Reality Car Configurator, der anschließend in den Zentren ausgerollt wird. Dieses System besteht aus einem Gaming-PC samt angeschlossener VR-Brille und präsentiert dem Kunden vor Ort eine dreidimensionale Simulation seines künftigen Fahrzeugs. Dafür muss er zusammen mit dem Berater nur kurz sein Wunschmodell zusammenstellen – Lackfarbe, Felgen, Ausstattung. Der Car Configurator berechnet dann mithilfe von Unreal ein Bild, das zunächst auf einem 65-Zoll-Bildschirm mit 4K-Auflösung präsentiert wird. „Die Optik ist deutlich besser als bei Konfiguratoren im Netz – beinahe fotorealistisch“, schwärmt Sebastian Oebels, Experte für digitales Marketing bei der Porsche AG.

Tobias Watzl, Frank Sayer, 2021, Porsche AG
Schöpfer virtueller Welten: Tobias Watzl (links) und Frank Sayer nutzen Game Engines für Tests und Visualisierungen.

Der Kunde kann auch eine VR-Brille aufsetzen und sein Wunschfahrzeug in drei Dimensionen inspizieren. Die Game Engine berechnet dann 60-mal pro Sekunde für das linke und rechte Auge ein perspektivisch unterschiedliches Bild, sodass der Kunde den Eindruck bekommt, das Fahrzeug stehe direkt vor ihm. Er kann darum herumgehen, die Felgen von Nahem betrachten, sich virtuell hineinsetzen und das Interieur bis hin zur Naht der Ledersitze begutachten. Sogar ein Blick ins Handschuhfach ist möglich. Auf Wunsch lässt sich die Szenerie von Tag auf Nacht umschalten, damit die Scheinwerfer zu sehen sind.

Als Rohmaterial verwendet die Game Engine originale Konstruktionsdaten. Sie müssen allerdings angepasst werden. „Wir führen viele echtzeitspezifische Verbesserungen durch“, erklärt Lukas Kays von Mackevision, einem Stuttgarter Spezialisten für Computer Generated Imagery (CGI). Das Unternehmen realisiert fotorealistische Spezialeffekte für Film und Fernsehen – unter anderem für die Serie „Game of Thrones“ – und hat den Car Configurator zusammen mit Porsche entwickelt. Dass für das virtuelle Fahrzeug nicht einfach CAD-Dateien genutzt werden können, liegt an deren Detailliertheit. Ein Konstrukteur beschreibt jedes Teil haarklein mit seiner Geometrie.

 Cayenne Coupé, Virtual Reality Car Configurator, 2021, Porsche AG
Mehr als wirklich: Mit Game Engines lassen sich Augmented-Reality-Anwendungen erstellen, die reale Bilder mit digitalen Informationen erweitern.

Daraus 60-mal pro Sekunde ein Bild zu berechnen, kann einen Rechner überfordern und zu Flackern in der Darstellung führen. Deshalb müssen die Modelle vereinfacht werden. Statt beispielsweise einen Lautsprechergrill mit all seinen Drähten zu berechnen, verwenden die 3D-Designer ein hochauflösendes Foto des Grills. Das darzustellen kostet viel weniger Rechenpower. Und der ungeschulte Betrachter kann den Unterschied ohnehin nicht erkennen.

Realistische Effekte ohne großen Aufwand

Der entscheidende Vorteil einer Game Engine ist, dass sie sich ohne viel Programmieraufwand einsetzen lässt. „Unreal 4 macht es leicht, Materialien zu erstellen“, gibt Designer Kays als Beispiel. „Die Reflexionen auf dem Autolack etwa müssen nicht extra programmiert werden.“ Einen eigenen sogenannte Renderer zu programmieren, der solche Effekte beherrscht, wäre viel zu aufwendig und teuer.

Taycan, Virtual Reality Car Configurator, 2021, Porsche AG
Wie im Showroom: Der Virtual Reality Car Configurator präsentiert Kunden eine dreidimensionale Simulation ihres künftigen Fahrzeugs.

Daneben sind Game Engines kostengünstig. Unternehmensanwender wie Porsche Engineering können Unreal komplett gebührenfrei nutzen. Sie erhalten sogar den Quellcode (Source Code) der Software, damit sie ihn an ihre Anforderungen anpassen können. „Wir wollen, dass möglichst viele Firmen die Engine nutzen“, erklärt Stefan Wenz, Business Development Manager bei Epic Games, dem US-Spielehersteller, der Unreal vor über 20 Jahren entwickelt hat. Geld verdient das Unternehmen nur indirekt, zum Beispiel über kostenpflichtigen Support.

Seit rund fünf Jahren umwerben die Macher der Game Engine aktiv Industriekunden – Maschinenbauer, Architekten und Automobilhersteller. „B2B verspricht das größte Wachstum“, erklärt Wenz. Um Industrieanwendern die Arbeit zu erleichtern, hat Epic Games unlängst ein kostenfreies Material-Paket geschnürt: Darin sind fertige Materialien von Alcantara bis Walnussholz enthalten, die die Designer den Objekten zuordnen können. Daneben hat der Spielehersteller letztes Jahr ein Förderprogramm namens MegaGrants gestartet, aus dem jedes Unternehmen, das mit der Unreal Engine arbeitet, Kapital bekommen kann. Die Entwicklung von Computerspielen und Automobilen verschmilzt also weiter. Insofern wird das selbstfahrende Auto der Zukunft ein bisschen auch den Gamern zu verdanken sein.

Motor eines Computerspiels

Die Game Engine ist buchstäblich der Motor eines Computerspiels. Es handelt sich um eine ganze Palette von Programmen. Kernstück bildet dabei die Grafik-Engine, die das eigentliche Bild erzeugt: Sie nimmt zunächst das 3D-Modell eines darzustellenden Gegenstandes (es besteht im Urzustand nur aus Gitternetzlinien) und überzieht es mit einer digitalen Oberfläche. Diese sogenannte Textur kann zum Beispiel wie Holz oder Metall aussehen. Danach wird berechnet, wo Licht hinfällt, welche Teile eines Objekts im Schatten liegen und wo sich etwas spiegelt.

Die Berechnung des Bildes wird Rendering genannt. Dafür, dass sich die Dinge im Game wie in der realen Welt verhalten, sorgt die sogenannte Physik-Engine. Sie berechnet zum Beispiel, wie häufig ein geworfener Stein über den Boden springt, bevor er liegen bleibt. Um den Entwicklern die Arbeit zu erleichtern, ist außerdem eine Art Editor enthalten, mit dem sich neue Simulationen erschaffen lassen, ohne sie von Grund auf neu programmieren zu müssen. Millionen von Designern weltweit nutzen diese Baukastensysteme, um digitale Welten zu erschaffen – vom Handyspiel bis zum Hollywood-Actionfilm.

Zusammengefasst

Game Engines erwecken Computerspiele zum Leben – und helfen bei der Entwicklung neuer Fahrfunktionen, zum Beispiel durch das Training von Fahrerassistenzsystemen mit synthetischen Sensordaten. Jedes Szenario und jede Eventualität lassen sich so durchspielen. Im Car Configurator von Porsche helfen sie Kunden dabei, sich ein neues Fahrzeug auszusuchen.

Info

Text: Constantin Gillies
Mitwirkende: Frank Sayer, Tobias Watzl, Ionut Tripon, Sebastian Oebels

Text erstmalig erschienen im Porsche Engineering Magazin, Nr. 1/2021

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Verbrauchsangaben

911 Carrera 4S (2023)

WLTP*
  • 11,1 – 10,2 l/100 km
  • 253 – 231 g/km
  • G Klasse

911 Carrera 4S (2023)

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Kraftstoffverbrauch* kombiniert (WLTP) 11,1 – 10,2 l/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 253 – 231 g/km
CO₂-Klasse G

Taycan Turbo (2023)

WLTP*
  • 23,6 – 20,2 kWh/100 km
  • 0 g/km
  • A Klasse

Taycan Turbo (2023)

Kraftstoffverbrauch* / Emissionen*
Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 23,6 – 20,2 kWh/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km
CO₂-Klasse A