Unverhofftes Wiedersehen

Ein junger Motorjournalist, ein charismatischer Entwicklungsvorstand und ein Porsche 928 S4. Die Ankerpunkte einer unglaublichen Geschichte, die zeigt, dass manche Autos halt doch eine Seele haben.

Als Tobias Aichele, Buchautor („Porsche 911 – Forever young“), Journalist und Veranstalter von Classic-Car-Events, diesen 928 S4 nach Jahrzehnten durch Zufall wiedersah, war es DER Déjà-vu-Moment seines Lebens. Erinnerte ihn das zum Verkauf angebotene Auto doch an eine mehr als 30 Jahre zurückliegende und sehr produktive Phase seines beruflichen Werdegangs.

Man schrieb das Jahr 1987. Da war Aichele (Jahrgang 1960) noch Jungredakteur bei der Stuttgarter Motor-Presse, der für eine Monografie über den Porsche 911 ein Interview mit Porsche-Entwicklungschef Helmuth Bott führen sollte. Und zwar direkt in dessen Büro im Entwicklungszentrum Weissach. „Dort sah ich dann zum ersten Mal seinen Dienstwagen geparkt. Der durch seine außergewöhnliche Farbe und die skurrile Antenne für das C-Netz-Telefon sofort auffiel“, erinnert sich der Stuttgarter. Was er damals noch nicht wissen konnte: Dieser 928 S4 war kein gewöhnliches Modell, sondern ein von Bott zugleich als Versuchsträger genutztes Modell. Geadelt mit dem rund 350 PS starken 5,4-Liter-Motor und anderen, erst später in die Serie eingeflossenen Prototypen-Teilen.

928 S4, 2020, Porsche AG
Schwerer Klotz: Das sperrige C-Netz-Telefon gehört zu den 1987 als Sonderausstattung lieferbaren Extras für einen 928 S4. Zu bedienen ist es nur nach Öffnen der großen Heckklappe. Von außen verrät die himmelwärts ragende Antenne diesen Zeugen der frühen Mobiltelefonära

Das Interview – man musste die Fragen damals noch nicht im Vorfeld einreichen – verlief zur Freude des zunächst noch etwas nervösen Jungschreibers sehr informativ und angenehm. „Es waren auch persönliche Fragen erlaubt. Und so erfuhr ich, dass er noch ein 356 SC Coup. besaß, dazu einen älteren 911, im dem ein Katalysator als Versuchsträger installiert war, und er sogar einen Porsche-Diesel fuhr.“ Gleich bei dieser ersten Begegnung habe Bott ein starkes Charisma ausgestrahlt, erinnert sich Aichele. „Er gab sich verbindlich, man hat sich wohlgefühlt in seiner Nähe. Aber er war im Vergleich zum damaligen Designchef Anatole Lapine introvertiert.“ Vom gebürtigen Letten stamme auch eine Anekdote, die Bott trefflich charakterisierte. Er sei kein Mann des Smalltalks gewesen, mit ihm im Auto sei es meistens sehr still gewesen. Bis der Musikliebhaber plötzlich eine Oper angestimmt habe!

Feiner wohnen: Auch die Volllederausstattung in Mittelbraun war eine Sonderanfertigung für den Bott’schen 928 S4. Die Sitze und die Ergonomie des Interieurs gingen designtechnisch neue Wege.

1992 ging Aichele dann das Wagnis ein, mit dem Buch „Porsche 911– Forever young“ gegen alle bis dahin schon veröffentlichten 911er-Bibeln die vermeintlich ultimative Elfer-Saga aufzuzeichnen. Bereits 1988 war Helmuth Bott mit 63 Jahren in den Vorruhestand gegangen und erklärte sich bereit, die Kapitel des werdenden Werkes gegenzulesen. Denn man hatte in den Jahren nach dem ersten Interview den Kontakt nie ganz abreißen lassen. Und so kam es, dass Aichele regelmäßig ins kleine Dorf Buttenhausen (rund 70 km südlich von Stuttgart) reiste, wo Bott nun ein keineswegs bequemes Pensionistendasein führte.

Tobias Aichele, 928 S4, 2020, Porsche AG

„Er war weiter sehr beschäftigt, in seinem Hof fuhren die ganze Zeit Kehrroboter rum. Er hat die Dauerläufe auf seinem Gelände gemacht“, erinnert sich Aichele. „Dazu hatte er ein kleines Museum mit seinen Autos. Er wirkte auch gesundheitlich fit und hatte ganz offensichtlich seinen Seelenfrieden gefunden.“

Als die ersten Kapitel – damals noch per Fax – übermittelt waren –, stand die erste Manöverkritik an. Doch was Aichele dann vor sich liegen sah, war ein unberührtes Manuskript. Es entspann sich folgender Dialog. „Aber Herr Bott, hatten Sie noch keine Zeit, das durchzusehen?“ Darauf Bott: „Herr Aichele, Sie haben doch Modelleure, Designer, Ingenieure interviewt, da steht es mir nicht zu zu korrigieren, weil ich ja nur den Blickwinkel des Vorstandes habe. Ich habe aber mit Bleistift ein paar Kreuze gemacht, zu diesen Textpassagen würde ich Ihnen gerne noch etwas erzählen.“ Am Ende ergänzte Bott dann lediglich das Manuskript, korrigierte es aber nicht. „Das fand ich so groß und charakterisierte diesen charismatischen Mann“, ist Aichele noch in der Rückschau beeindruckt.

1994 starb Bott dann unerwartet im Alter von nur 69 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war Aichele bereits seit 1993 als Presse-Inlandschef für Porsche tätig und fuhr als Dienstwagen einen damals bis hoch zu den Vorständen sehr gefragten 928. In seinem Fall mit Anhängerkupplung, „weil ich immer einiges zu transportieren hatte.“ Die Affinität des 911er-Intimkenners zum 928 wuchs und mündete 1997 in der Gründung des Porsche-928-Clubs.

Dass Porsche-Vorstand-Fahrzeuge extrem gut ausgestattet wurden, war die Regel. Was diesen 928 S4 jedoch abhob, war die Tatsache, dass er zugleich Versuchs- und Erprobungsträger war. „Für uns war jede Fahrt eine Testfahrt“, erinnert sich Doris Bott

Zeitsprung ins Jahr 2019 – es läuft die Retro-Classics-Oldtimermesse in Stuttgart. Durch einen unfassbaren Zufall stößt Aichele auf einem Standplatz auf einen 928 mit roter Nummer, der ihm irgendwie bekannt vorkommt. Er stutzt, liest dann auf einem kleinen Verkaufshinweis: „Zum Verkauf, ehemaliges Vorstandsfahrzeug.“ Nach einem Anruf beim Verkäufer und einer genauen Inspektion des Auslieferungsbriefes wird aus Restzweifeln Gewissheit: „Ich habe das Wartungsheft gegen das Licht gehalten und lese, obwohl überdeckt, handschriftlich ‚Herr Bott‘. Da kamen alle Erinnerungen wieder hoch, und mir war klar: Den muss ich haben.“ Dank lückenloser Dokumentation rekonstruiert Aichele nun die Vita des 928 S4. Das Modelljahr 1988 verrät der Buchstabe J an der zehnten Stelle der Fahrgestellnummer. Damit war klar, dass viele Extras verbaut wurden, von denen der Normalkunde nur träumen konnte.

928 S4, 2020, Porsche AG
Schwabenpfeil: Der 928 S4 trägt heute wieder das Originalnummernschild – nur ergänzt um das „H“-Kürzel. Die vor einigen Jahren neu und dabei sehr authentisch aufgetragene Sonderfarbe Ziegelrotmetallic hebt den viersitzigen Langstrecken-GT bis heute aus der Masse heraus

So kam der am 7. Dezember 1987 zugelassene Wagen schon in den Genuss des 5,4-Liter-Motors, der erst zum Modelljahr 1992 den neuen 928 GTS antrieb. Das hydraulische Sperrdifferenzial kam erst im zum Frühjahr 1990 weltweit ins Rennen geschickten 928 GT zum Einsatz. Das erstmals im Motorsport erprobte Reifendruckkontrollsystem (RDK) fand erstmals zum Modelljahr 1989 den Weg in den 928, ebenso wie der neue Bordcomputer, der nun in Verbindung mit anders gezeichneten Instrumenten zahlreiche Funktionen in zwei LCD-Displays mit orangefarbenem Klartext anzeigte. Ebenfalls neu: eine Onboard-Diagnose, die es Mechanikern gestattete, Fehler direkt auszulesen. Lediglich das schwere C-Netz-Telefon konnte damals schon als Sonderausstattung M496 geordert werden und verblieb bis heute im Fahrzeug. Ein Relikt der frühen Mobiltelefonära und nur zu bedienen, wenn zuvor die große Heckklappe geöffnet wird.

Tobias Aichele, 928 S4, 2020, Porsche AG
Spurensuche: Helmuth Bott fuhr mit dem S4 jeden Tag 70 Kilometer (eine Richtung) von seinem Wohnsitz zur Arbeit nach Weissach. Jede Dienst- war für ihn automatisch auch eine Testfahrt. Die „Porsche-Straße“ führt vom Dorfzentrum in Buttenhausen bis zum gläsernen Entwicklungszentrum

Dass Porsche-Vorstand-Fahrzeuge üppig ausstaffiert wurden, war die Regel. Was den Bott’schen 928 S4 jedoch abhob, war die Tatsache, dass er zugleich Versuchs- und Erprobungsträger war. „Für uns war jede Fahrt eine Testfahrt“, erinnert sich Bott-Witwe Doris. Im Mai 1988 war der Wagen noch einmal auf Pressefotos aufgetaucht. Sie zeigen, wie Bott dem baden-württembergischen Minister Erwin Vetter in Weissach einen 959 vorführt. Und wie dieser in den danebenstehenden 928 S4 einsteigt, lackiert in der damals nicht orderbaren Farbe Ziegelrotmetallic (811).

Helmuth Bott, Erwin Vetter, 928 S4, Porsche AG

„Spätestens 1989 muss Helmuth Bott den Wagen turnusgemäß abgegeben haben“, sagt Aichele. Um einen Weiterverkauf und eine Neuzulassung zu ermöglichen, wurde unter anderem die Motorhaube aus Kunststoff durch das Serienteil aus Aluminium ausgetauscht sowie der vorsorglich schon zurückgelegte 4,5-Liter-Motor mit der Seriennummer 001 eingepflanzt. Und auch sonst alle anderen Komponenten auf den Serienzustand zurückgebaut.

Der Zweitbesitzer aus München übernahm den Wagen am 24. Januar 1991 bei Kilometerstand 19.200. Als er ihn nun aus Altersgründen verkaufte, hatte er 210.000 Kilometer abgespult. Aichele: „Der 928-Fan hat in das Auto so viel reingesteckt, wie er neu gekostet hat. Er wurde vor einigen Jahren auch einmal komplett neu und professionell lackiert, dazu regelmäßig gewartet. Die Ledersitze scheinen auch einmal überarbeitet worden zu sein, obwohl es dafür keinen Rechnungsbeleg gibt.“ Als Aichele im Zuge der Recherche zu diesem 928 S4 Doris Bott besuchte, „wurde ich genauso gastfreundlich empfangen wie vor 27 Jahren. Ich war erfreut, wie jung und tatendurstig sie mit heute 76 Jahren noch wirkt.“ In ihrem Heim in Würm bei Pforzheim gibt es auch noch ein Helmuth-Bott-Zimmer. „In dem hängt – wie damals in seinem Büro − ein großes Bild der von ihm maßgeblich mitentwickelten Teststrecke in Weissach. Das war ihm offenbar sehr wichtig.“

Zu guter Letzt gelang es Aichele dann auch noch, das Originalnummernschild S-PW 980 zu ergattern. Nur noch ergänzt um den Buchstaben ‚H‘. So schwingt der Geist von Helmuth Bott bis heute in diesem 928 S4 mit und erinnert seinen dritten Besitzer bei jeder neuen Ausfahrt an eine sehr schaffensreiche Lebensspanne und eine besondere Begegnung. Manche Autos haben wohl doch eine Seele.

Porsche 928 S4 (Modelljahr 1988) – Technische Daten

Motor: V8, wassergekühlt
Getriebe: 4-Stufen-Automatik
Hubraum: 4.957 cm²
Gemischaufbereitung: Bosch LH Jetronic
Zündung: elektronische EZK-Zündung mit Diagnosefunktion
Maximale Leistung: 235 kW (320 PS) bei 6.000/min
Radstand: 2.500 mm
Höchstgeschwindigkeit: 270 (Automatik: 265) km/h

Info

Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik, Ausgabe 17.

Autor: Thomas Imhof

Fotografie: Markus Bolsinger

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