„Der Händler war auf deutsche Autos, speziell aus Bayern spezialisiert. Er schätzte mich mit einem Blick vom Scheitel bis zum Schuh ab und fand mich als Kunden nicht weiter interessant“, erinnert sich Paul Higgins. „Also drehte ich mich auf dem Absatz um und stiefelte über die Straße zu ‚Clarks of Khyber Pass‘, wo ein paar feine Gebrauchtwagen standen. Dort sah ich den 911 SC von 1980 in perfektem Zustand. Ein Linkslenker, deshalb war der nicht zu teuer. Bei ‚Clarks‘ sagten sie zu mir: ‚Nimm den Elfer übers Wochenende, fahr ihn, und sag uns am Montag, was du denkst.‘ Das war 1985, ich war knapp über 30 Jahre alt, ein Architekt in den Anfängen und schon in Porsche vernarrt. Die Einfachheit und das Fließen der Linien, die perfekten Proportionen und das Fehlen überflüssiger, ornamentaler Spielereien. Egal aus welchem Blickwinkel, der 911 sah immer perfekt aus. Dazu das Fahrgefühl von Leichtigkeit, der Motorklang, die deutsche Ingenieursarbeit: Das war’s. Also brachte ich den Elfer nach Hause. Meine Frau war hochschwanger und von dem Sportwagen nicht sehr beeindruckt. Wir hatten schon zwei Jungs, jetzt stand sie kurz vor der Geburt unseres dritten Kindes. Sie war sicher: Es würde wieder ein Junge sein. Wohl deshalb sagte sie: ‚Wenn es ein Mädchen wird, kannst du den Porsche behalten.‘ Ein paar Tage später kam unsere erste Tochter um halb zwei in der Früh zur Welt. Um halb acht morgens stand ich ungeduldig bei ‚Clarks‘. So ging das mit Porsche los.“
Paul Higgins’ stille Leidenschaft für Porsche blieb über die Jahrzehnte lebendig, und er nahm seine Sportwagen beim Wort. Mit dem SC startete Paul bei Clubrennen, tauschte ihn später gegen einen 3,3-Liter-Turbo aus. Auch der musste herhalten, beispielsweise beim Stadtrennen durch die Straßen von Wellington. Alles lief bestens, dann kam ein Pleuel durch den Block. Im Dezember 1988 stieß der 911 Carrera RS 2.7 zur kleinen Sammlung, gebaut im November 1972. Jetzt steht der RS 2.7 in Grand-Prix-Weiß mit dem Turbo in einer Halle. Von 1997 bis 1999 fuhr Paul einen RSR 3.8 und gewann zwei nationale Titel. Bis heute verzeiht er es sich nicht, diesen Porsche verkauft zu haben. An den Wänden hängen Porsche Rennposter, die Stirnseite ziert das riesige Foto der Nummer 23: 917 Kurzheck, Le-Mans-Sieger 1970.
Links an der langen Wand steht ein kleiner Schreibtisch mit PC, dahinter die Handbibliothek zum Thema Porsche. Gegenüber parkt die rote Vespa eines Freundes: der einzige Gruß aus Italien. Dazwischen: der 356 Carrera GS 1500 aus dem Jahr 1957, gefunden in Schweden, das 356 A Super Coupé von 1958, rübergekommen aus Australien, und der 356 B Roadster aus Kalifornien, datiert auf 1961. Derzeit nicht anwesend: der Leyton March CG891 Formel 1 (auf dem Weg nach Goodwood) und das 1950er Reutter Cabriolet aus den Niederlanden. Erst spät entdeckte Higgins seine Leidenschaft für Porsches erste Sportwagen-Modellreihe: „Ich war immer ein Neunelfermann und hielt den 356 schlicht für ein altes Auto. Dann lud der Porsche Club Neuseeland 2005 zu einer Fahrt ans Ostkap der Nordinsel ein. Ein Freund lieh mir ein schwarzes 356 Coupé von 1958 mit Weißwandreifen. Ein wunderschönes Auto. Meine Frau und ich machten uns auf die fünf Stunden lange Fahrt von Auckland nach Napier, und nach der halben Strecke war ich von dem 356 begeistert. Das Handling auf diesen Straßen mit ihren langen, schnellen Kurven! Du fährst mühelos, hältst den modernen Verkehr nicht auf, bist eher schneller. Na gut, wenn es in die engen Kurven geht, ist der 356 vorn etwas schwer mit dieser Lenkung.
Aber der Komfort ist sagenhaft für ein Auto aus den 50er-Jahren. Als ich von dieser Tour zurückkam, war klar: Ein 356 musste ins Haus. Er sollte offen sein. Ein Speedster? Zu teuer. Ein Convertible D? In Kalifornien sah ich eins, konnte mich aber nicht zum Kaufen entschließen.“ Aber an der Westküste traf Paul John Willhoit, einen namhaften 356-Restaurator. John hatte einen 356 B Roadster T5 vom Sommer 1961 im Stall. Higgins erinnert sich: „Den Roadster fand ich reizvoll, denn mit der verschraubten Windschutzscheibe, der charakteristischen Armaturentafel und weniger Luxus war er näher am Speedster als am Cabriolet. Außerdem war der Roadster preiswert, denn jemand hatte nach einem Unfall die Kotflügel und Radausschnitte hinten fast im Stil der Pre-A 356 hergerichtet. Ich griff 2006 zu und nahm mir vor, den Schönheitsfehler zu beseitigen, was ich aber nie tat. 2009 fuhr mir jemand ins Heck. Danach musste es sein. Jetzt ist der Roadster wieder so, wie er sein muss.“
„Das Handling auf diesen Straßen mit ihren langen, schnellen Kurven! Du fährst mühelos, hältst den modernen Verkehr nicht auf, bist eher schneller.“ Paul Higgins
Kaum war der signalrote Roadster im Haus, tauchte vor Weihnachten 2006 dieser 356 A 1500 GS Carrera von 1957 wieder im Internet auf. Paul hatte das Coupé Monate vorher entdeckt, aber zwischenzeitlich die Spur verloren. Das Auto stand am anderen Ende der Welt in Schweden. Der Motor befand sich nicht im Heck, sondern zerlegt in einer Kiste. Der Innenraum war abgestrippt und vollgepackt mit Zeugs: Kabelbaum, Fensterglas, Elektrik, Bremsen. „Ich nahm über die Chefin des Porsche-Club Schweden Kontakt mit dem Eigner auf. Er besaß damals alle 356 Carrera, die es da oben gab: drei Zweiliter-Carrera 2 und diesen 1500er. Keines der Autos war fahrbereit. Den 1,5 Liter wollte er zu einer Replika jenes Porsche machen, der 1955 die Mitternachtssonne-Rallye in Schweden gewann. Die Arbeit hatte schon begonnen.“ Das Telefonat zwischen Auckland und Schweden dauerte 75 Minuten, dann hatte Paul Erik, den Besitzer, überzeugt: „Verkauf mir den 1500 GS und steck das Geld in die Restauration der anderen Porsche.“
Zwei Tage später klingelte das Telefon: Erik ließ Paul wissen, der Lackierer hätte seinen Job am GS bereits gemacht, und verlangte 6.000 US-Dollar. Paul: „Ich hatte keine Wahl. Als das Auto hier ankam, hätte ich heulen können. Der Lackierer hatte hastig alles ohne Vorbehandlung überspritzt. Also musste der Lack vollständig runter bis aufs nackte Blech. Den Motor machte Bob Garretson in Sonora, nicht weit von San Francisco für mich. Er wurde über dieses Projekt ein guter Freund. Bob kann tolle Geschichten erzählen, wie er damals den Weg fand, massenweise Computerchips zu testen, und so etwas Geld machte. Wie er 1981 mit Brian Redman und Bobby Rahal Daytona auf einem 935 gewann. Na ja, ich schlug jedenfalls vor, nach Kalifornien zu kommen, wenn er die Maschine zum ersten Mal auf dem Prüfstand hatte.
Er machte einen besseren Vorschlag: ‚Du zahlst meinen Flug nach Neuseeland. Ich komme mit dem Motor und bringe ihn in deinem Auto richtig ans Laufen.‘ Das war 2010. Heute fahre ich den Carrera sehr gerne, er ist voller Magie. Der Viernockenwellenmotor ist ein Juwel – wenn auch eines ohne nennenswertes Drehmoment und mit speziellen Launen. Den Motor zu starten ist nicht ganz einfach; der hat große Kanäle für hohe Drehzahlen. Aber wenn er dann läuft und du gibst Gas, geht er ohne Ende. Die reine Freude.“
Das Auto stand in Schweden. Der Motor befand sich nicht im Heck, sondern zerlegt in einer Kiste. Der Innenraum war abgestrippt.
Wie eine Einladung zur sonntäglichen Ausfahrt steht der dritte 356 im zartesten Meissenblau bei seinen Vettern: das 356 A Super Coupé von 1958. Der einzige Rechtslenker in Paul Higgins’ hübscher Sammlung. Ein Monument südwestpazifischen Porsche-Patriotismus, wenn man so will: „Der Wagen kam aus Zuffenhausen direkt nach Australien und dann mit seinem Eigentümer 1961 nach Neuseeland. Als der wieder nach Hause versetzt wurde, ließ er den wunderbaren Porsche hier. Irgendwann hörten wir, dass das Coupé zurück nach Australien gehen sollte. Das wollte ich nicht zulassen, denn bei uns gibt es nur wenige schöne A-Coupés. Ich habe es neu lackieren lassen, nachdem jemand in die Tür gefahren ist. Das Coupé ist ein ästhetischer Genuss, und mit der einteiligen Sitzbank ist es sogar ein besonderer 356.“
Und das mysteriöse 1950er Cabrio? Paul wirft den PC an und holt tief Luft. Die Fotos. Da ist es. Derzeit beim Lackieren in Italien, in Brixen. „Ein Kunstwerk! Das wird das Schmuckstück meiner Sammlung. Der Reverend Ronald Roland hatte es ein paar Jahre in seiner Halle in New Haven, Michigan, und verkaufte es dann in die Niederlande, wo mein Sohn David es 2007 fand, fuhr und dem Cabrio sofort verfiel.
Es ist das Reutter Cabriolet mit der Chassisnummer 5.135. Reutter machte zwölf dieser Cabriolets. Soweit ich weiß, überlebten fünf oder sechs und drei wurden restauriert. Unseres ist das vierte.“ Ende 2019 soll die Restaurierung abgeschlossen sein. Dann wird das Cabriolet im ursprünglichen „Radium- Grün“ mit dunkelgrünem Interieur in der kleinen Halle stehen. Der älteste Porsche auf der Südhalbkugel.
Ein Coupé fällt in Pauls Schatzkammer völlig aus dem Rahmen: der 962 C von 1989, den Brun Motorsport aus der Schweiz 1989 und 1990 einsetzte. Paul: „Ich interessierte mich sehr für historischen Motorsport, hatte mein Auge auf einen 907 oder einen 908 geworfen. Aber mein älterer Sohn Andrew, der recht erfolgreich unter anderem Formel 5000 fährt, warnte mich: ‚Vater, in einem solchen Auto bringst du dich um.‘ 2015 sah ich bei der Rennsport Reunion in Laguna Seca eine Menge Männer meines Alters, die mit RSR und mit 962 viel Spaß hatten. Ich dachte: ‚Was die können, kann ich auch.‘ Andrew fand den 962 C mit einem Kohlefaserchassis von TC Prototypes in England.
Im Mai 2016 begann auf der Insel die Überholung von Getriebe und Motor. Ich kümmerte mich mit meiner eigenen kleinen Spezialfirma Classic Revival selbst um das Chassis, Fahrwerk, Bremsen, Elektrik.“ Die Liebe zum Detail kannte dabei kaum Grenzen. So entstand im 3D-Drucker ein Gehäuse für die moderne Elektronik von Motec, das nicht vom 80er-Jahre-Original von Bosch zu unterscheiden ist. Anfang Mai 2018 fuhren Paul und Andrew den Shakedown in Donington, dann gingen Vater und Sohn zum Spa Classic: „Ich war 18 Jahre lang kein Rennen mehr gefahren und kam in Spa an meine Grenzen, war übervorsichtig.
Nach einer Pause in Italien, wo ich unser Cabriolet bestaunte, starteten Andy und ich beim Le Mans Classic, wo uns eine Einladung nach Goodwood erreichte. Wir schafften den 962 rüber, und ich erlebte einige der schönsten Autotage meines Lebens. Im 70. Jubiläumsjahr von Porsche! Meine Frau und ich konnten es nicht glauben: Zwei Kiwis vom anderen Ende der Welt in Goodwood, unser 962 C geparkt neben dem Le-Mans-Sieger von 1987. Derek Bell kam zu einem Plausch. Dann kam die Einladung zum Dinner, meine Frau und ich kauften hastig einen Smoking und ein Abendkleid. 1.600 Leute saßen abends zusammen. Am nächsten Tag fuhren wir siebenmal den Hügel in Goodwood rauf. Mein Sohn in einem 935, ich im 962 C. Und ein paar Wochen später ging dieses unglaubliche Jahr bei der Rennsport Reunion in den USA wunderbar weiter. Aber Goodwood war eines der Highlights. Kein Zweifel.“
Und dann von den 700 PS des 962 C zurück auf 75, im Glücksfall auch 110 Pferdestärken im 356? „Wunderbar“, sagt Paul. „Es gibt da diesen Spruch, der zu 100 Prozent auf den 356 passt: ‚Es macht viel mehr Freude, ein langsames Auto schnell zu fahren als ein schnelles langsam.‘"
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik, Ausgabe 16.
Autor: Wilfried Müller
Fotografie: Andrew Martin, Archiv Paul Higgins
Copyright: Alle in diesem Artikel veröffentlichten Bilder, Videos und Audio-Dateien unterliegen dem Copyright. Eine Reproduktion oder Wiedergabe des Ganzen oder von Teilen ist ohne die schriftliche Genehmigung der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG nicht gestattet. Bitte kontaktieren Sie newsroom@porsche.com für weitere Informationen.