Die Tür des Cayenne fällt mit einem satten Geräusch ins Schloss, und Lynne Pearce atmet langsam aus. Im Laufe der Jahrzehnte ist das moderne Fahrzeug zu einer Art Zufluchtsort für die Akademikerin geworden: ein Ort zum Sinnieren, Meditieren und Problemlösen. Ein Ort, an dem man sich sicher fühlen und inspirieren lassen kann.
An diesem Morgen hatte sie Vorlesungen für Studenten an der Lancaster University vorbereitet, an der sie seit 30 Jahren lehrt und aktuell Professorin für Literatur- und Kulturtheorie im Fachbereich Englische Literatur und Kreatives Schreiben ist. Ihr Kopf raucht. Oder tat es zumindest bis jetzt.
„Sobald ich mich ins Auto setze, verspüre ich Erleichterung." Lynne Pearce
„Sobald ich mich ins Auto setze, verspüre ich Erleichterung. Mein Körper entspannt sich, und ich freue mich auf die ungestörte Zeit zum Nachdenken“, erzählt Pearce, während sie in den Fahrmodus schaltet und langsam die steile Auffahrt vor ihrem Haus herunterfährt.
Bewusstseinserweiterung hinter dem Steuer
Als Tochter eines Mechanikers und Werkstattbesitzers wuchs sie in einem von Autos geprägten Umfeld in Cornwall auf, lebt jedoch seit 22 Jahren im Nordwesten Schottlands. Seitdem fährt sie die rund 650 Kilometer zwischen dem Haus ihrer verstorbenen Eltern und ihrem Wohnort zwei Stunden nördlich von Glasgow regelmäßig hin und zurück.
Im Jahr 2000 veröffentlichte sie ihr daraus entstandenes erstes Essay über das Autofahren, „Driving North/Driving South“, gefolgt von ihrem Buch „Drivetime: Literary Excursions in Automotive Consciousness”, das Fachkollegen als „bahnbrechend“ bezeichneten.
Darin schreibt sie, dass ihre langen Reisen „[...] in mir eine Liebe und ein Bedürfnis zum Fahren als wertvollen (ja, außergewöhnlichen) Raum zum Denken geweckt haben: ein ersehntes, eingegrenztes Stück Zeit, in das nichts eindringen und das durch nichts gestört werden kann. Vieles von dem, worüber ich nachdenken musste, sowohl beruflich als auch privat, konnte ich während meiner Fahrten klarer sehen oder gar lösen [...].“ Diese besondere Beziehung zum Auto veranlasste sie, sich eingehender mit den psychologischen Vorteilen der Zeit am Lenkrad zu beschäftigen.
Zurück im Cayenne Turbo S E-Hybrid: Nach einer zügigen Fahrt über hügelige Nebenstraßen biegt Pearce auf die A82 ab – eine Straße, die sie als „Lebensader entlegener schottischer Gemeinden und vielleicht meine Lieblingsstraße in Großbritannien“ bezeichnet. Im Elektromodus legen sie und ihr Wagen die Kilometer in der atemberaubenden Landschaft Schottlands mühelos zurück.
Autofahren unterstützt das produktive Denken
„Als ich an meinem Buch arbeitete und den Leuten sagte, dass ich herausfinden möchte, woran wir beim Fahren denken, stieß ich oft auf Ungläubigkeit. Viele meinen fälschlicherweise, dass das Einzige, woran wir im Auto denken könnten, das Fahren an sich wäre. Aber schon seit den Anfängen des Autofahrens beschäftigen sich Psychologen damit, dass Fahren nicht nur eine der komplexesten Alltagstätigkeiten ist, sondern auch eine, bei der Teile des Gehirns für produktives Denken freigemacht werden“, erläutert sie.
Es ist mittlerweile weitgehend bekannt, dass der Grund, warum wir es uns erlauben können, am Steuer gefahrlos tagzuträumen, uns unseren Gedanken hinzugeben oder eine Unterhaltung führen zu können, darin liegt, dass die „Kommandozentrale“ des Gehirns die ganze Zeit über in Alarmbereitschaft bleibt – und unsere Aufmerksamkeit bei Bedarf sofort zurück auf die Straße lenkt. „Deshalb ist es bei schlechtem Wetter, wenn es dunkel ist oder wir ein fremdes Auto fahren, viel schwieriger, über andere Dinge als das Fahren nachzudenken“, erklärt Pearce.
Die Professorin verbrachte ebenso viele Stunden in Bücher über die Literatur des 20. Jahrhunderts und den Autojournalismus vertieft wie auf britischen Autobahnen. Allmählich begriff sie, wie viele unterschiedliche Geistes- und Gefühlszustände die Zeit im Auto auslösen kann.
Auszeit vom Alltag schafft Raum für Neues
„Von dem Rausch und der Euphorie der Geschwindigkeit, über die Tagträume und dem Lösen von Problemen beim entspannten Dahingleiten bis hin zur engen Verbundenheit mit der Natur, die wir verspüren können, wenn wir mit geöffneten Fenstern durch eine schöne Landschaft fahren: Ich fand heraus, dass verschiedene Arten des Autofahrens auch verschiedene Arten von Gedanken auslösen und begünstigen können“, erläutert sie. „In dieser Hinsicht ist für mich die amerikanische Literatur über das Cruisen besonders aufschlussreich.“
„Ich fand heraus, dass verschiedene Arten des Autofahrens auch verschiedene Arten von Gedanken auslösen und begünstigen können.“ Lynne Pearce
Der Roman „Spiel dein Spiel“ von Joan Didion aus dem Jahr 1971 zeigt zum Beispiel, wie Fahrten über die Autobahnen von Los Angeles einem Menschen mit psychischem Leiden helfen können. Das Autofahren beansprucht einen Teil des Gehirns und trägt so dazu bei, dass wir uns beruhigen und unsere Probleme gelassener betrachten. „Deshalb stellt Autofahren für viele, mich eingeschlossen, so eine tolle „Auszeit“ dar, in der wir Probleme lösen können.“
Neben ihrer Funktion am englischen Fachbereich der Lancaster University ist Pearce als Direktorin der Geisteswissenschaften am CeMoRe, Center for Mobilities Research, tätig, das seit 2003 Forschung zum Thema Mobilität und Nachhaltigkeit betreibt. In diesem Zusammenhang spielen Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge eine besondere Rolle – ebenso wie langsames Fahren.
Achtsames Autofahren erhöht Gewahrsein
„Schnelles Fahren kann spannend sein und unsere Stimmung beeinflussen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Freuden, die wir alle auf einer langsamen Fahrt erleben können, in unserer heutigen Zeit keine ausreichende Beachtung finden. Eines der größten Wunder, die uns das Autofahren beschert hat, ist die Möglichkeit, abgelegene Landschaften zu durchqueren und zu erkunden, die sonst außerhalb unseres Horizonts liegen würden, und durch die Windschutzscheibe eine Verbindung mit der Welt aufzubauen, während wir langsam hindurchfahren.“
Professorin Pearce liebt die Nebenstraßen um ihre Wohnort herum, „und wenn ich langsam fahre, kann ich eine viel engere Beziehung zu meiner Umwelt aufbauen. Die Stille und dieses besondere Gefühl beim elektrischen Fahren steigern diese Erfahrung noch.“ Die ersten Fahrer elektrischer Fahrzeuge Anfang des 20. Jahrhunderts schwärmten genau davon.
„Für mich geht es bei nachhaltigen Autos nicht nur um das Streben nach einer kohlenstofffreien Zukunft: Einer der wichtigsten Grundsätze liegt meiner Meinung nach darin, dass wir unsere Autos etwas mehr wertschätzen und sie länger erhalten sollten. Autos, die solch eine technische Meisterleistung darstellen wie ein Porsche, sind auf Langlebigkeit ausgelegt, und ich wünsche mir, dass sie lange erhalten bleiben.“
Pearce biegt auf eine verlassene, einspurige Straße ab, öffnet ihr Fenster und bringt den dahingleitenden Cayenne langsam zum Halten. Ein paar Meter entfernt hebt ein Hochlandrind seinen Kopf und schaut Pearce in die Augen, während es gleichmäßig weiterkaut. Die Professorin schaut lächelnd zurück. Ganz gleich wo sie hinfährt, sie kommt bei sich selbst an.
Info
Die Beitragsreihe-Reihe „Bewegende Gedanken" präsentiert Erkenntnisse führender Experten aus der ganzen Welt und soll neuen Ideen, Technologien und Debatten mit automobilem Bezug Raum bieten.