Es geht um alles. Volle Konzentration ist gefragt. Im Kopf spielt Patrick Pilet den gewünschten Verlauf noch einmal durch. Dann der entscheidende Moment. Der französische Porsche-Werksfahrer atmet noch einmal durch, setzt alles auf eine Karte, nimmt Schwung auf – und versenkt den gut 40 Gramm leichten Golfball im 18. Loch der Anlage Saint-Nom-la-Bretèche. „So beginnt ein guter Tag für mich“, schildert der passionierte Golfer mit dem typisch verschmitzten Lächeln. Die Augen zu lachenden Schlitzen zusammengekniffen ergänzt der 38-Jährige: „Wie heißt es doch so schön? ‚Golf ist nicht das Spiel großartiger Schläge. Es ist das Spiel der genauesten Fehlschläge. Wer die kleinsten Fehler macht, gewinnt.‘ Wenn mir das gelingt, dann bin ich glücklich.“
Glück ist für „PP“ (sprich: „PiPi“), wie der langjährige Porsche-Werkspilot im engsten Kreis genannt wird, längst nicht nur durch Erfolge auf Rennstrecken oder auf dem Golfplatz definiert. Sein Lebensmittelpunkt ist vielmehr ist das Zusammenleben mit seiner Ehefrau Guenaelle Longy in Noisy-le-Roi, nur einen Steinwurf von Versailles und der französischen Hauptstadt Paris entfernt. Die TV-Journalistin, die unter anderem für Eurosport von Motorsportevents wie den 24 Stunden von Le Mans berichtet, liebt das schnelle Treiben auf vier und zwei Rädern mindestens ebenso sehr wie ihr Mann. „Welche Frau erlaubt es denn, sich einen Rennwagen ins Haus zu stellen? Das ist doch ein Traum“, lacht Pilet. Im bescheidenen Einfamilienhaus im Speckgürtel der Millionenmetropole Paris steht ein silbernes Formel-V-Fahrzeug aus dem Jahr 1963.
„Allein daran erkennt man schnell, dass sich in unserem Leben fast alles um Motorsport, zumindest aber generell um Sport dreht“, erklärt der 1,76-Meter-Mann, der gebürtig aus der Nähe der südfranzösischen Stadt Toulouse stammt. Guenaelle Longy und Patrick Pilet haben sich 2005 im Fahrerlager der damaligen Renault World Series kennengelernt. „Ich bin beim Rennen in Monza aufs Podest gefahren. Und da war sie. Guenaelle war damals für die Pressearbeit der Serie mitverantwortlich. Sie hat mich interviewt. Da hat es gefunkt. Wir sind uns anschließend immer wieder begegnet. Und seit 2006 leben wir gemeinsam nur zehn Minuten von Paris entfernt“, schildert der Franzose, der 2007 nach dem Gewinn des Porsche Carrera Cup Frankreich den Schritt zum Werksfahrer schaffte und noch heute als Mentor für die Nachwuchspiloten des französischen Markenpokals fungiert. „Es kommt immer wieder vor, dass mich meine Frau bei einem Rennen fürs Fernsehen interviewt. Das ist immer etwas seltsam, weil wir sprachlich auf eine neutrale Basis kommen müssen. Wir können uns ja schlecht vor laufenden Kameras mit ‚Schatz‘ ansprechen.“
Patrick Pilet und seine Ehefrau bilden ein äußerst harmonisches Duo. Neben dem Formel-V-Rennfahrzeug an der Fensterfront zum Garten steht ein Bobbycar im „Grello“-Design jenes Porsche 911 GT3 R von Manthey-Racing, mit dem Pilet 2018 das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring gewann. „Dabei haben wir gar keine Kinder“, schmunzelt der IMSA-Champion von 2015. Für die Betreuung von Nachwuchs wäre ohnehin wenig Zeit. Beide Ehepartner sind beruflich viel unterwegs, beide betreiben neben ihren Verpflichtungen zahlreiche Hobbies – oft sogar gemeinsam. „Wir spielen beide leidenschaftlich gern Golf“, sagt Pilet. Der Franzose gilt als bester Golfer im Porsche-Fahrerkader. Sein aktuelles Handicap liegt bei acht. „Ich spiele seit 2006 nur zum Spaß auf den Plätzen in meiner direkten Umgebung. Würde ich häufiger an Wettbewerben teilnehmen, dann sähe es vielleicht noch besser aus. Es gibt Tage, an denen schließe ich eine Runde über 18 Löcher tatsächlich unter par ab.“
Im Golfsport ist neben perfekter Technik eine maximale innere Ruhe und höchste Konzentration der Schlüssel zum erfolgreichen Spiel. Das schafft Patrick Pilet? Jener Vollblutrennfahrer, dessen Emotionen nach nicht optimal verlaufenen Qualifyingrunden am Steuer des Porsche 911 RSR manchmal so sichtbar zutage treten? „Ja, ich habe dazugelernt“, lacht der passionierte Surfer und Rennradfahrer. „Früher hat mich auch beim Golf ein verpatzter Schlag an den Rand des Wahnsinns getrieben, aber heutzutage bleibe ich dabei absolut ruhig. Und genau das macht den Sport für mich aus: Man lernt dabei, jederzeit die Ruhe und Kontrolle zu behalten. Das hilft auch in meinem Beruf als Rennfahrer. Es gibt andere Möglichkeiten, wenn man wirklich mal die Sau rauslassen muss oder will.“
In solchen Situationen holt Pilet oft sein rund 20 Jahre altes Schaltkart aus der Garage. Mit dem kreischenden Gefährt, dessen Motor bis zu 20.000 Touren dreht, jagt der Nordschleifen-Fan dann über die Strecke. Oder Ehefrau Guenaelle überzeugt ihn von Aktivitäten auf zwei Rädern. Das Paar liebt lange Ausfahrten auf Motorrädern. Oftmals werden Longy und Pilet dabei von einem gemeinsamen Freund begleitet. Landsmann Kenny Foray, zweimaliger Langstreckenweltmeister des Motorradsports, zählt zu den engsten Vertrauten. Oft starten die Trips im Morgengrauen. „Ich bin Frühaufsteher“, sagt Pilet. „Ich liebe die Stimmung zum Sonnenaufgang. Egal, ob beim Radfahren, Golfen, auf dem Motorrad oder beim Surfen: Das Gefühl, die Welt am frühen Morgen fast für sich allein zu haben, ist unschlagbar. Diese Momente sind für mich der perfekte Ausgleich zum schnellen, lauten und hektischen Motorsport.“