Pascal Zurlinden über die Auswirkungen der Corona-Krise bei Porsche im Motorsport

In einem Interview berichtet Pascal Zurlinden, Gesamtprojektleiter Werksmotorsport, wie sich die Fahrer in der rennfreien Zeit fit halten, welche Herausforderung die Verschiebung zahlreicher Rennen mit sich bringt und warum er vom Simracing begeistert ist.

Pascal, wie ist die Situation bei Porsche Motorsport während der aktuellen Coronavirus-Phase?

Pascal Zurlinden: Erst einmal steht die Gesundheit unserer Mitarbeiter, ihrer Familien und all unserer Partner klar im Vordergrund. Dennoch wird in Weissach weitergearbeitet, wenngleich viele Ingenieure aus dem Homeoffice agieren. Bei unseren Werksprojekten werden die Entwicklungsarbeiten fortgesetzt. Zum Teil unterstützen die Motorsportingenieure ihre Serienkollegen bei der Entwicklung von Straßenfahrzeugen. Wann der reale Motorsport auf den Rennstrecken wieder Fahrt aufnimmt, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Wir sind da Passagier und müssen die weitere Entwicklung abwarten. Aber wir werden für diesen Startschuss - wann immer er erfolgen wird - optimal gerüstet sein. Bei der Betreuung der Kundensportprogramme ist die Situation im Moment etwas anders. Der Bedarf an Service und Ersatzteilen ist in Zeiten ohne Rennevents naturgemäß erheblich geringer.

Wie wird es nach dem Ende dieser Krise mit dem Motorsport generell weitergehen?

Motorsport ist ein elementarer Teil der DNA von Porsche. Wir sind der einzige Hersteller, der seit 1951 ohne Unterbrechung mit Werksautos oder Kundenfahrzeugen in Le Mans am Start ist. Porsche betreibt Motorsport aus Prinzip. Das wird auch so bleiben. Wie sich die gesamte Motorsport-Landschaft in der Zeit nach COVID-19 darstellen wird, können wir jetzt noch nicht einschätzen.

Viele Unternehmen lernen die modernen Kommunikationsmittel wie Telefon- oder Videokonferenzen derzeit sehr zu schätzen. Dies führt möglicherweise auch langfristig zu einem Umdenken. Wird auch bei Porsche Motorsport nach dem Ende dieser Coronvirus-Krise vermehrt auf solche Mittel zurückgegriffen?

Wir stellen derzeit fest, dass dieser Weg sehr effizient sein kann. Nicht jede Videokonferenz kann ein persönliches Meeting ersetzen, aber ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft mehr Möglichkeiten zur Arbeit aus dem Homeoffice heraus schaffen können. Ich selbst arbeite derzeit auch viel von zu Hause. Es ist kein Problem, trotzdem einen intensiven Austausch mit den Ingenieuren oder den Fahrern zu pflegen. Ich denke, teilweise wird sich die Arbeitswelt aufgrund der modernen Tools und der nun gemachten Erfahrungen dauerhaft verändern.

Wie halten sich die Fahrer während dieser rennfreien Zeit fit?

Wir hatten im Februar ein Fitnesscamp und haben im Rahmen dessen gesehen, dass unser gesamter Fahrerkader auf einem Toplevel ist. Unsere Mediziner und Physiotherapeuten haben für jeden Einzelnen einen Plan erarbeitet. Anhand dessen arbeiten die Fahrer zu Hause und halten sich entsprechend maximal fit. Das muss auch so sein, denn wenn die Rennsaison wieder losgeht, kommen sehr intensive Monate auf uns zu.

Durch die Verschiebungen zahlreicher Rennen, unter anderem der beiden 24-Stunden-Rennen in Le Mans und am Nürburgring, wird es voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte sehr viele Events in schneller Abfolge geben – oftmals auch Terminüberschneidungen. Wie geht Porsche Motorsport damit um?

Wir sind in engem Austausch mit den Verantwortlichen aller Rennserien und auch mit der Motorsportbehörde FIA. Derzeit versucht jede Rennserie für sich, eine Möglichkeit zu finden, möglichst viele der geplanten Rennen später im Jahr noch durchzuführen. Dass es dabei zu Überschneidungen kommt, liegt in der Natur der Sache. Die Situation ändert sich nahezu täglich. Noch ist nicht absehbar, wie viele Events in diesem Jahr noch stattfinden können. Ich bin sicher, dass es diesbezüglich noch eine intensive Abstimmung der einzelnen Rennkalender aufeinander geben wird. Wir stehen auch im regelmäßigen Austausch mit unseren Mitbewerbern. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot. Wir sprechen oft über die Porsche Motorsport Familie. In diesen Tagen wird aber deutlich, dass der gesamte Motorsport wie eine Familie zusammensteht – völlig unabhängig von Marken und der Wettbewerbssituation auf den Rennstrecken. Klar ist jetzt schon: Sobald es wieder losgeht, gibt es für die Fans jede Menge Rennsport – und zwar Wochenende für Wochenende.

Pascal Zurlinden, Gesamtprojektleiter GT-Werksmotorsport, 2020, Porsche AG

Wie schwer wiegt die ersatzlose Streichung des Le-Mans-Testtages?

Wir fahren in diesem Jahr erstmals mit dem neuen Porsche 911 RSR-19 in Le Mans. Da hätte der Testtag bei der Vorbereitung selbstverständlich geholfen. Aber wir haben unser neues Auto bei den Einsätzen in der FIA WEC und in Nordamerika schon umfangreich kennengelernt. Wir haben viele Daten, die wir in dieser rennfreien Zeit umso genauer studieren können. Einen Wettbewerbsnachteil für uns erwarte ich daher nicht. Auch Corvette kommt mit einem brandneuen Fahrzeug. Alle anderen müssen sich auf die neue Reifengeneration einstellen – es ist also für uns alle eine vergleichbare Situation in diesem Jahr. Es gibt aber ein paar Fragezeichen mehr. Zum Beispiel bringt die Verschiebung der 24 Stunden von Le Mans in den September ganz neue Vorzeichen bezüglich der klimatischen Bedingungen. Die Rennnacht wird im Spätherbst länger als im Juni am ursprünglichen Termin. Aber auch das ist für alle gleich.

Auch das Formel-E-Projekt ist zurzeit in Zwangspause. Die Formel-E-Rennen sind seit März auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Ob die Rennen nachgeholt werden können, ist zurzeit ungewiss. Was sagt Porsche Motorsport dazu und was bedeutet das für das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team?

Die Entscheidung der FIA und der Formel E, die Formel-E-Saison aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus vorübergehend zu unterbrechen, unterstützen wir in vollem Umfang. Wir bedauern das Aussetzen der geplanten Formel-E-Rennen natürlich sehr, denn insbesondere im Rookie-Jahr des TAG Heuer Porsche Formel-E-Teams sind Erfahrungswerte enorm wichtig. Wie bereits erwähnt, hat die Gesundheit unserer Mitarbeiter, der Formel-E-Community und der Menschen weltweit oberste Priorität. Wir hoffen natürlich auf eine baldige Besserung der Situation, um die bisher ausgesetzten Rennen nachzuholen oder Doppelrennen auszutragen, sofern seitens Formel E und FIA möglich. Die Vorbereitungen für Saison 2020/2021 dürfen allerdings nicht darunter leiden und haben für uns hohe Priorität.

Im Profifußball kürzen manche Vereine ihren Spielern die Gehälter. Geht Porsche mit seinen Fahrern den gleichen Weg?

Nein. Sollte die Motorsportsaison 2020 nach der Krise wieder starten, dann werden unsere Piloten im Dauereinsatz sein. Sie werden ganz bestimmt nicht weniger arbeiten als in anderen Jahren. Im Gegenteil: Die Belastungen werden enorm. Daher kürzen wir den Fahrern die Gehälter nicht.

Gibt es bei Porsche im Bereich Motorsport bereits Programmkürzungen?

Nein, wir haben im Motorsport noch keine Programme gestrichen. Aber natürlich sind wir alle gefordert, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Wir sind bei Porsche Motorsport bereits enorm effizient und werden dies noch weiter steigern.

Die Hersteller im Motorsport sind abhängig von funktionierenden Zuliefererketten. Spezial-Werkstoffe wie beispielsweise Karbon werden knapp, weil der Nachschub aus Italien derzeit nicht verfügbar ist. Wie ist die Situation bei Porsche?

Wir fahren derzeit keine Tests, bauen kaum neue Autos auf und die Kunden ordern in rennfreien Zeiten auch weniger Ersatzteile. Das bedeutet, dass bei uns der Bedarf an solchen Materialien ohnehin geringer ist als sonst. Unsere Lager in Weissach sind gut gefüllt, wir haben in diesem Bereich keinerlei Probleme.

Der Porsche Mobil 1 Supercup findet in der Zeit ohne realen Rennen zunächst als Simracing-Serie statt. Wie sind Ihre Eindrücke?

Wir sind von der Resonanz und von dem Niveau im Simracing wirklich begeistert. Neben dem TAG Heuer Porsche Esports Supercup haben wir gemeinsam mit iRacing kurzfristig den Porsche Mobil 1 Supercup Virtual Edition ins Leben gerufen. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die Fahrer aus unserem Kader im Wettbewerb gegen die weltbesten Simracer schlagen. Zudem bieten wir mit der virtuellen Version des Porsche Mobil 1 Supercup allen Teams und Fahrern aus diesem internationalen Markenpokal eine gute Plattform, um die rennfreie Zeit für deren Fans und Partner interessant zu gestalten. Unsere Mitarbeiter aus dem Porsche Mobil 1 Supercup bilden derzeit die Schnittstelle zwischen den realen Teams und Fahrern auf der einen und der Simracing-Szene auf der anderen Seite. Das funktioniert prächtig.

Die Fahrer des TAG Heuer Porsche Formel-E-Teams, Neel Jani und André Lotterer, sind neuerdings in der ABB Formula E Race at Home Challenge am Start. An insgesamt voraussichtlich neun Wochenenden (Start: 18.4.2020) werden jeweils samstags Esports-Rennen mit allen Fahrern und Teams ausgetragen. Wie steht Porsche zu dieser Esports Serie?

Diese Esports Serie bietet eine gute Möglichkeit, dass sich die Formel-E-Fahrer auch in der rennfreien Zeit auf der Strecke miteinander messen. Simracing boomt derzeit, deshalb ist es positiv, dass auch die Formel E hier Präsenz zeigt. Zudem ermöglicht Esports insgesamt, mit der jungen, digital-affinen Zielgruppe in Kontakt zu treten. Die ABB Formula E Race at Home Challenge stärkt außerdem den Zusammenhalt der Formel-E-Community in diesen herausfordernden Zeiten.

Durch die Coronavirus-Problematik gibt es Verzögerungen bei der Verkündung des zukünftigen technischen Reglements der FIA WEC. Hat dies Auswirkungen auf ein potenzielles Interesse vom Porsche an der neuen Prototypen-Plattform LMDh?

Ich denke, dass wir in den nächsten Wochen genauere Informationen über das künftige Reglement erhalten werden – die Verzögerungen werden also nicht sehr groß sein. Erst nach der entsprechenden Veröffentlichung gehen wir intern in die genaue Analyse. Es gibt diesbezüglich einen klaren Prüfauftrag von unserem Entwicklungsvorstand Dr. Michael Steiner. Wir werden uns anschauen, wie interessant LMDh für uns sein könnte und welcher Aufwand mit so etwas verbunden wäre. Porsche hat natürlich ein Interesse daran, beispielweise in Le Mans und Daytona um Gesamtsiege fahren zu können. Das darf man aber nicht falsch verstehen. Es gibt bei uns noch keinerlei Entscheidung darüber, ob wir künftig ein Werksprogramm auf LMDh-Basis umsetzen werden.

Sollte sich Porsche für den Bau eines Prototypen nach dem neuen LMDh-Reglement entscheiden: Wird man dieses Auto womöglich auch in Kundenhand geben? Und wird es trotz eines LMDh-Engagements im GT-Bereich weitergehen?

Ich bin sicher, dass es weiterhin GTE-Sport in der FIA WEC geben wird. Die Fahrzeuge sind für drei Jahre homologiert, also spricht nichts gegen einen Einsatz der aktuellen Autos. Ob das langfristig in der GTE-Pro-Kategorie sein wird, muss sich zeigen. Ganz bestimmt ist aber die GTE-Am-Klasse in einer sehr guten Verfassung und die Starterzahlen boomen. In dieser Szene werden wir die Autos sicherlich noch einige Jahre sehen. Ob es ein etwaiges LMDh-Auto für Kunden geben wird, müssen wir schauen. Wenn die finanziellen Rahmenbedingungen stimmen, spricht grundsätzlich nichts dagegen.

Auch das technische Reglement der Formel E hat sich durch die Coronavirus-Krise geändert. Wie steht Porsche Motorsport zur Verschiebung des Gen 2 EVO Launches auf die Saison 2021/2022?

Wir unterstützen die Änderung im technischen Reglement und der damit einhergehenden Verschiebung des Gen 2 EVO Launches auf Saison 8. Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten schwierig. Das Wichtigste für alle Stakeholder ist die gemeinsame Zukunft des Sports zu sichern, daher begrüßen wir die gemeinschaftliche Maßnahme. Auch die Kostenkontrolle ist wichtig und nachvollziehbar in der aktuellen Situation.

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