Ein klassisches Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren im Stuttgarter Ortsteil Uhlbach. Die Hecken des Vorgartens penibel geschnitten, die Klingelschilder sauber beschriftet und im Hausflur hängt der obligatorische Hinweis auf die schwäbische „Kehrwoche“. Von den Balkonen ein wunderschöner Ausblick ins Grüne. Der Württemberg nicht weit entfernt, große Weinanbaugebiete laden zu ausgiebigen Spaziergängen ein. Ein wundervolles Rückzugsgebiet für Ruheständler? Keineswegs. In diesem Vorstadtidyll rund 20 Autominuten vom Stuttgarter Zentrum entfernt leben zwei der schnellsten Nachwuchsrennfahrer der Welt. Werkspilot Matt Campbell (Australien) und Porsche-Junior Jaxon Evans (Neuseeland) bilden nahe der Porsche-Firmenzentrale eine Wohngemeinschaft der besonderen Art.

Jaxon Evans, Porsche Junior, 911 GT3 Cup, 2019, Porsche AG
Porsche-Junior Jaxon Evans

„Wir haben uns gefunden ohne uns gesucht zu haben“, sagt der 23-jährige Evans. „Ich lebe seit Februar 2019 gemeinsam mit Matt in diesen drei Zimmern plus Küche, Bad und Waschkeller. Wenn man so weit entfernt ist von der Heimat und die Familie vermisst, dann ist es ein großes Glück, in Deutschland einen Bruder zu haben.“ Der Porsche-Junior findet bei seinem Kollegen, Freund und „Bruder“ Matt Campbell Halt. Dabei nimmt der Australier, der nur 17 Monate älter ist als sein Mitbewohner, keineswegs die Chefrolle im Haushalt ein. „Nein, eine solche Rollenverteilung gibt es bei uns nicht“, bestätigt der 24-Jährige. Die beiden Nachwuchspiloten kommen als Einheit daher, fast wie zweieiige Zwillinge. Beide sind gut 1,80 Meter groß, beide haben braunes Haar und braune Augen – und beiden sitzt der Schalk im Nacken. „Bei uns geht es immer lustig zu. Es gibt eigentlich nie Stunk“, sagt Evans über die rund 70 Quadratmeter große zweite Heimat. Auch bei der Aufteilung häuslicher Pflichten herrscht Einigkeit.

„Ich bin der Ordnungstyp, bei mir muss immer alles sauber und aufgeräumt sein“, erklärt der gebürtige Neuseeländer, der seine Jugend in Australien verbracht hat. Evans steht im modern und zweckmäßig eingerichteten gemeinsamen Wohnzimmer, blickt auf den Boden und ergänzt mit einem breiten Grinsen: „Ich bin der Virtuose am Staubsauger, Matt ist der Held am Herd.“

Matt Campbell, 2020, Porsche AG

In der kleinen, gemütlichen Küche gibt es regelrechte Rituale. „Jeden Dienstag ist bei uns ‚Taco Tuesday‘. Dann machen wir gemeinsam Tacos und andere mexikanische Leckereien. Vieles davon veröffentlichen wir in unseren Instagram-Stories“, sagt Campbell. Im Küchenregal der vertraute Anblick eines großen Nutella-Glases. Daneben ein weiteres Glas, das mit gelb-rotem Schriftzug an Speisewürze erinnert. „Das ist Vegemite, eine Art Hefeextrakt, das man dünn auf seinen Toast streicht“, lacht der Le-Mans-Klassensieger von 2018. Geschmacklich erinnert diese australische Leckerei an einen Brühwürfel. Nachschub dieser und anderer Art – beide lieben die süßen TimTam-Keksriegel aus „Down Under“ – gibt es regelmäßig aus der Heimat.

„Mit diesen ‚Care-Paketen‘ wird das Heimweh etwas gelindert“, sagt Evans. „Wir sind auch in diesem Punkt wirklich wie Zwillinge. Uns fehlen die Familien sehr. Wir sehen sie nur ein- bis maximal zweimal im Jahr.“ Die Liebe zu den Angehörigen tragen beide Piloten offen zur Schau. Auf dem Helm von Campbell ist eine Grußkarte an Mutter, Tante und Co. abgebildet, den Kopfschutz von Evans zieren die Flaggen von Neuseeland, Samoa und Fiji – den Geburtsländern seiner engsten Angehörigen. „Und noch etwas fehlt uns“, wirft Campbell mit einem Lächeln ein. „In der Heimat ist das Wetter besser und der Strand jederzeit erreichbar. Hier haben wir nur Simulator und Playstation und im Sommer die Freibäder.“ Beim Spielen auf der Konsole geht es in der Rennfahrer-WG oftmals heiß her. Unabhängig von der jeweiligen Disziplin steht Gewinnen an erster Stelle. „So sind wir halt“, lacht der Australier, der im vergangenen Winter zum Werksfahrer befördert worden ist. Lieber Playstation als Deutschkurs. So lautet das Motto auch in den wenig arbeitsreichen Wochen während der Coronavirus-Pandemie. „Der Sprachkurs geht bei mir nur schleppend voran. Das ist der Nachteil, wenn zwei Jungs aus Australien zusammenwohnen“, gibt Campbell offen zu. „Ich kenne wenigstens ein Wort“, lacht Evans. „Senf. Ich weiß nicht mehr, was es bedeutet, aber ich fand es lustig, als man abends beim Essen mal versucht hat, es mir beizubringen.“

Aus der trauten Zweisamkeit im Mehrfamilienhaus in Stuttgart wird manchmal ein Treffen der besonderen Art. „Wenn unsere Freundinnen zu Besuch sind, dann ist das Leben noch eine Spur lustiger“, erklärt Evans, dessen Freundin aus Australien – also aus der Heimat seines Mitbewohners – stammt. Aus einem starken Duo wird dann ein unterhaltsames Quartett. „Wir verstehen uns auch zu viert blendend“, sagt Campbell. „Unsere Freundinnen kennen einander mittlerweile ganz gut. Wir unternehmen gern etwas zusammen. Und wenn wir uns mal aus dem Weg gehen möchten, hat ja jeder sein eigenes Zimmer.“

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