Ultima Luft

In ihm treffen sich Ende und Anfang: der Abschied vom luftgekühlten Boxermotor und das Debüt der Biturbo-Aufladung in einem 911- Serienmodell. Auch mit dem Macho-Image seiner Ahnen macht der 911 Turbo der Generation 993 Schluss. Eigentlich ist er ein ganz Lieber – wäre er nur nicht so brachial schnell …

Oftmals wird die epochale Bedeutung mancher Ereignisse erst beim Blick in den Rückspiegel in vollem Umfang deutlich. Wusste Gutenberg, dass sein Buchdruck das Ende des Mittelalters einläuten würde? Ahnte Edison, dass er mit seinen zahlreichen Erfindungen – darunter auch die Glühbirne – die Tür zur modernen Welt aufstößt? War sich Steve Jobs 2007 klar darüber, wie sehr das iPhone die Kommunikation verändern wird? Als Porsche 1995 den neuen 911 Turbo vorstellte, war aus Sicht der Sportwagenmarke auch dies ein entscheidender Moment.

Die Zeitenwende, die Porsche Mitte der 90er-Jahre durchlief, verkörpert kaum ein zweites Modell so exemplarisch wie der 911 Turbo der Generation 993. Die Turbo-Technologie kam aus der Pubertät heraus und ließ die Flegeljahre hinter sich.

Kaum ein zweites Modell verkörpert die Zeitenwende, die Porsche Mitte der 90er-Jahre durchlief, so exemplarisch: Die Ära der luftgekühlten Boxermotoren, die das junge Unternehmen geprägt hatten, neigte sich endgültig dem Ende zu. Der aufgeladene Elfer aus der Generation 993 war praktisch ihr letzter und vielleicht auch aufregendster Abgesandter. Zugleich begann mit dem neuen Turbo aber auch etwas Neues, Wunderbares: Die Biturbo-Technologie hielt Einzug in die Serienproduktion – knapp ein Jahrzehnt, nachdem eine ähnliche Motorkonstruktion schon dem in handverlesenen Stückzahlen gebauten 959 Legendenstatus verliehen hatte. Heute hat sich die Kraft der Doppellader längst in der 911 Familie durchgesetzt. Und genau wie der deutsche Supersportwagen der 80er-Jahre vertraute der 911 Turbo (993) auf permanenten Allradantrieb.

911 Turbo, Baujahr 1995, 2020, Porsche AG
Schönheit ist ihm gegeben: Für viele ist der 993 Turbo der wohl anmutigste 911 aller Zeiten. Die Karosserie wurde im Bereich der Hinterachse gegenüber dem 911 Carrera 25 Millimeter breiter

Plötzlich war alles anders. Denn mit dem neuen Modell kam auch die Turbo-Technologie aus der Pubertät heraus und ließ ihre Flegeljahre hinter sich. Die Zeit explosiver Leistungsentfaltung, die brachial wie eine Urgewalt über den Fahrer herfiel, war vorbei – auch wenn der 911 Turbo (993) mit 408 PS so stark und so schnell war wie kein anderer Serien Elfer vor ihm. Zu verdanken hatte er dies seinem neuen Biturbo-Konzept, das die Monoturbo-Kultur ablöste.

Der Heckflügel des 911 Turbo der Generation 993

Anders als noch beim 959 verzichtete Porsche aber auf die extrem aufwendige Registeraufladung mit einem größeren und einem kleineren turbo, die hintereinandergeschaltet wurden. Vielmehr kamen beim Nachfolger erstmals zwei gleich große, aber vergleichsweise kompakte und symmetrisch aufgebaute KKK-K16-Turbinen zum Einsatz – für jede Zylinderbank eine. Die machten auch weiterhin mächtig Druck und pressten die Ansaugluft mit 0,8 bar durch die Ladeluftkühler in die Brennräume.

911 Turbo, Baujahr 1995, 2020, Porsche AG
Mit seiner Hirth-Kurbelwelle und den größeren Solex-Vergasern galt der 1500 Super als „Rakete“, die gern bei Wettbewerben erfolgreich zum Einsatz kam

Dank ihrer geringeren Massenträgheitsmomente sprachen die Laderschaufeln beim 911 Turbo (993) aber viel früher an als zuletzt noch der Single-Turbo des unmittelbaren Vorgängers 964. Das Ergebnis verblüffte: Nun entfesselte schon bei 2.500 Touren ein Drehmoment von 450 Newtonmetern einen schwer beeindruckenden, aber kultivierten Schub, der sich immer weiter aufbaute und bis zur Drehzahlgrenze bei 6.800/min anhielt. Zeitgleich sorgten die vier angetriebenen Räder dafür, dass sich die imposante Kraftentfaltung unaufgeregt in spektakulären Vortrieb verwandeln konnte – nie zuvor hatte sich ein Sportwagen undramatischer in 4,5 Sekunden von null auf Tempo 100 katapultiert, war selbst bei voller Beschleunigung so stoisch geradeaus gelaufen und im täglichen Gebrauch überhaupt ein ganz Lieber. Wer aber sein Temperament herausforderte, erlebte auch weiterhin ein Wunder. Nur war es eben kein blaues mehr.

Genau diese entspannte Gelassenheit ist es auch, die den Charakter des 290 km/h schnellen 911 Turbo der Generation 993 und seiner wassergekühlten Nachfolgegenerationen prägt – die bis heute immer wieder aufs Neue durch noch fulminantere Fahrleistungen faszinieren. Mit dem Modell von 1995 hat sich der 911 Turbo vom brutalen Macho-Image verabschiedet. Ist erwachsen geworden, ohne an Attraktivität zu verlieren. Und hat in vielerlei Hinsicht Manieren gelernt.

Übrigens auch, was sein Abgasverhalten betrifft: Er war das erste Automobil, das weltweit mit einem OBD-II-System angeboten wurde. Diese On-Board-Diagnose II verlangte ein hochmodernes Motormanagement wie die Bosch Motronic M5.2 und einen großen Entwicklungsaufwand, denn sie kontrolliert neben den Metallkatalysatoren und Lambdasonden auch die Funktion der aktivkohlegefilterten Tankentlüftung, die Sekunärlufteinblasung sowie das Kraftstoffsystem und registriert Verbrennungsaussetzer.

911 Turbo, Baujahr 1995, 2020, Porsche AG
Die Schnittzeichnung zeigt den zu seiner Zeit weltweit emissionsärmsten Motor samt Ladeluftkühlung. Die Kraftübertragung zur Vorderachse wurde über eine Visco-Lamellenkupplung geregelt

Mit Erfolg: Zu seiner Zeit sorgte der 911 Turbo der Generation 993 nicht nur als absoluter Traumsportwagen für Aufsehen, sondern auch als abgasärmstes Automobil überhaupt. Noch so ein Ereignis, dessen Bedeutung erst heute so richtig klar wird …

Porsche 911 Turbo (1995) – Technische Daten

Motor: Sechszylinder-Boxer, luftgekühlt, Biturbo
Antrieb: man. Sechsganggetriebe, Allradantrieb
Hubraum: 3.600 cm³
Gemischaufbereitung: Bosch Motronic M5.2, OBD II
Maximale Leistung: 408 PS bei 5.750/min
Vmax / 0–100 km/h: 290 km/h / 4,5 Sekunden
Leergewicht: 1.500 kg

Info

Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik, Ausgabe 17.

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