Wer träumt als Autosammler nicht von einem Scheunenfund. Von den verrottenden Stallungen eines französischen Schlosses, in denen 2014 die legendäre Baillon-Sammlung ans Tageslicht kam. Oder einem Heuschober im Allgäu, in dem ein ganz früher Brezel-Käfer schlummerte. In diesem Fall war es zwar nur eine Lagerhalle in Essen. Doch was die Jäger des verlorenen Schatzes dort im Sommer 2017 hinter meterhohen Reifenstapeln fanden, war nicht weniger sensationell: einen seit fast 42 Jahren vergessenen 356 C.
Doch wie kam dieser 1964 gebaute Porsche überhaupt dort hin? Claus Meirich, der das Fundstück für 20.000 Euro kaufte und ihm in zwei Jahren mit einem Team externer Experten und Freunden aus der Porsche-Szene des Ruhrgebiets zu neuem Glanz verhalf, kennt die Vorgeschichte. „Der letzte Besitzer, ein Reifenhändler aus Essen, war alkoholkrank und musste das erst ein Jahr zuvor bei einem Kilometerstand von 79.000 Kilometern erworbene Auto kurz vor Weihnachten 1975 abmelden. Stellte es in die Garage, wo es dem Vergessen anheimfiel.“
Meirich (67) bezeichnet sich selbst als „luftgekühlten Jungen aus dem Pott“. Der gelernte Maschinenschlosser nahm auf dem zweiten Bildungsweg ein Ingenieurstudium auf und stieg bei der Maschinenbaufirma MTE Deutschland ein. Vor zwei Jahren verkaufte er dort seine Anteile, und frönt seitdem ausgiebig seiner Oldtimerei. „Bislang hatte ich immer 911er im Zustand 1 und 2. Aber der Gedanke, einem automobilen Kulturgut zu neuem Leben zu verhelfen, hat mich sofort begeistert“, sagt der seit über 30 Jahren mit dem Porsche-Virus infizierte Bochumer.
Erstzugelassen wurde der 356 C mit der seltenen Farbkombination Emailblau 6403 für die Karosserie und rotem Interieur am 11. Juni 1964 bei der Münchener MAHAG. Der Erstbesitzer fuhr ihn in acht Jahren über 67.000 Kilometer und verkaufte ihn 1972 an einen Versicherungskaufmann aus Krefeld, der ihn nur zwei Jahre später an den Essener Vorbesitzer weiterreichte. Der, inzwischen 74 Jahre alt, erinnerte sich dann aber wieder an sein abgestelltes Scheunenauto und gab einem Porsche-911-Clubmitglied den entscheidenden Hinweis. Das zögerte keine Sekunde, dort hinzufahren, und fand mit Claus Meirich auch gleich einen Käufer.
Nach erster Bestandsaufnahme gab es für diesen eine gute und eine schlechte Nachricht: Motor und Getriebe fehlten ebenso wenig wie fast alle anderen Teile, die entweder im, am oder rund um das Wrack abgelegt waren. Auch das Interieur war komplett; nur Mäuse hatten sich an Teppichen und Sitzen gütlich getan. Doch Meirich dämmerte schnell, dass er allein schon aufgrund der Spuren von Väterchen Rost um eine Vollrestaurierung nicht herumkommen würde. Die sich jedoch minutiös am Originalmodell orientieren sollte.
„Bislang hatte ich immer 911er im Zustand 1 und 2. Aber der Gedanke, einem automobilen Kulturgut wie diesem 356 zu neuem Leben zu verhelfen, hat mich sofort begeistert.“ Claus Meirich
Die beiden Hauptposten einer am Ende 125.000 Euro teuren Restaurierung waren der Karosserie- und der Motorenbau. Allein für die Karosserie- und Lackierarbeiten war das Auto ein Jahr lang „weg“. Der komplette Unterboden war als Spätfolge der salzreichen Münchener Winter durchgerostet; nur der Mitteltunnel präsentierte sich intakt. Auch an einer Totalrevision des 75-PS-Motors führte aufgrund der langen Standzeit kein Weg vorbei. Der Startschuss fiel ohne Zeitvorgaben im Sommer 2017. In einem zur Oldtimerhalle umfunktionierten ehemaligen Kino wurde der 356 bis zur letzten Schraube demontiert und dann eine Aufgabenverteilung vorgenommen. Mit Ingo Menne, Kfz-Meister und Porsche Spezialist, fand der Besitzer einen kongenialen Mitstreiter für alle Arbeiten an Fahrwerk und Bremsen. Der leider im April 2019 völlig unerwartet verstarb und so das Endergebnis nicht mehr miterleben durfte.
Weiterer Support kam von einem Netzwerk aus 356-Kennern im Ruhrgebiet; sogar das Bochumer Behindertenwerk half mit einer Strahlkabine und Beschichtungsanlagen. Die Lackierung besorgte nach Werksvorgaben von Porsche Classic der Karosserie- und Lackierbetrieb Pür aus Ahlen, zugleich ein Kompetenzzentrum für Glasurit. Aufgetragen wurde der Originalität zuliebe ein Einschichtlack ohne Klarlack. Die Blecharbeiten waren laut Meirich der größte Kostenpunkt und der zeitintensivste obendrein. Roland Ahlers Oldtimerservice aus Sendenhorst ging in der Tat gründlich zu Werke: Frontbrille, Batteriekasten, Türeinstiege und Schweller, der gesamte Unterboden, die Innenkotflügel, der Diagonalträger, die Achsaufnahmen und die Außentafeln der Türen wurden erneuert. Nichts wurde geschweißt, sondern alles wie 1964 üblich nur gepunktet und dann versiegelt.
Im Dezember 2018 waren der vom Micke Motorenzentrum generalberholte Boxer, das Getriebe, Fahrwerk und Bremsen sowie die Innenausstattung fertig. Letztere präsentierte sich nach dem Austausch der Sitzmittelbahnen aus rotem Brokat wieder so makellos
wie in der Petticoatära, gleichwohl mit traumhafter Patina. Wo immer möglich, hatte sich das Team bei Ersatzteilen aus alten Lagerbeständen bedient. Dabei kam ihm zugute, dass die Ersatzteilversorgung exzellent ist. Meirich: „Es gibt zwei, drei Adressen, die binnen zwei Tagen fast alles zum 356 liefern können.“ Nachdem die Karosserie vom Lackierer zurück war, ging es ab 3. Januar 2019 an den Zusammenbau. Am 4. Mai dann der wohl feierlichste Moment: die Hochzeit von Karosserie und Motor. Nach 24 Monaten und 2.000 Arbeitsstunden war das blaue Wunder dann im Sommer perfekt. Ein makelloser, in dieser Farbkombination seltener 356 C mit allen Originaldokumenten und durch eine Porsche-Auslieferungsurkunde bestätigten Matching Numbers. Porsche baute 356 C und SC zwischen Mitte 1963 und April 1965. Das Modell verzögerte erstmals rundum mit Scheibenbremsen; optisch lässt es sich an den flachen Radkappen ohne Porsche-Emblem ausmachen. Meirich schätzt, dass heute noch 300 in Deutschland existieren. Zwischen 80.000 (für restaurationsbedürftige Typen) und an die 150.000 Euro (für Modelle im Zustand 1) müssten Interessenten für diesen bereits parallel zum neuen 911 gebauten Porsche investieren.
Schöne Details im Interieur des blauen Bochumers sind das Original-Blaupunkt-Frankfurt-Radio und die liebevoll „Schlummerrollen“ genannten Kopfstützen. Die Instrumente glänzen wie früher, Türöffner und Fensterkurbel stehen im (korrekten) Winkel von 45 Grad parallel zueinander. Außen fallen die seltenen, weil gelben Hella-Zusatzleuchten ebenso ins Auge wie die hinteren Stoßstangenhörner, durch die die Auspuffendstücke führen.
Wie schnell fährt Claus Meirich den 356? „120 km/h ist eine schöne Geschwindigkeit, dazu eine Maximaldrehzahl von 4.500 U/min. Getankt wird nur bester 102-Oktan-Sprit, der Verbrauch liegt bei 10 l/100 km. Und bei jedem dritten Tanken gibt’s einen halben Liter Öl.“ Am Ende fällt uns noch auf, wie weit innen die Lemmerz-Felgen in den Radhäusern stehen. „Es gibt ab Werk eine Spurverbreiterung“, sagt der Porsche-Intimkenner. „Aber die hole ich mir nicht, er soll halt absolut original bleiben.“
Porsche 356 C 1600 – Technische Daten
Motor: Vierzylinder-Boxer
Hubraum: 1.582 cm³
Gemischaufbereitung: zwei Zenith-Doppelvergaser 32 NDIX
Maximale Leistung: 75 PS bei 5.200/min
Radstand: 2.100 mm
Gewicht (trocken): 935 kg
Höchstgeschwindigkeit: 175 km/h
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik, Ausgabe 16.
Autor: Thomas Imhof
Fotografie: René Hey
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