An diesem Wochenende hätten die Porsche 911 RSR der Werksteams unter der Frühlingssonne Floridas antreten sollen. Doch das 1000-Kilometer-Rennen zur FIA Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC wurde abgesagt und das Zwölfstundenrennen zur IMSA WeatherTech Championship auf November verschoben. Also aktuell keine glühenden Bremsscheiben auf dem ehemaligen Militärflugplatz und keine Chance, der Porsche-Motorsporthistorie ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. In der 50-jährigen Geschichte des US-amerikanischen Rennklassikers feierte Porsche nicht weniger als 18 Siege. Während die Sechszylinder-Boxermotoren schweigen, sprechen zwei Größen von gestern und heute miteinander – per Video-Konferenz über den Atlantik.
Hurley Haywood und Nick Tandy haben die kuriosesten Situationen in Sebring erlebt. Ob brennende Sofas oder kollektive Ausritte bei Tempo 320 km/h – in Regionen derart abseits der Strecke, das diese kaum wiederzufinden war.
Der heute 71-jährige Haywood erzielte seinen ersten Sebring-Sieg 1973 am Steuer eines 911 RSR nur eine Woche, nachdem er die 24 Stunden von Daytona gewonnen hatte. 1981 triumphierte der US-Amerikaner erneut in Sebring. Drei Le-Mans-Siege, insgesamt fünf Daytona-Erfolge und zwei Titel in der IMSA GT-Meisterschaft stehen für ihn außerdem zu Buche.
Tandy ist ein Star der Gegenwart im Kader der Porsche-Werksfahrer und steuert die jüngste Generation des 911 RSR. Seit 2017 konnte niemand den 35-Jährigen in Sebring schlagen; im November will er in der GTLM-Klasse den Hattrick erreichen. Mit dem Porsche 919 Hybrid wurde der Brite 2015 Le-Mans-Gesamtsieger. 2019 stand er an der Sarthe als Dritter auf dem Podium der GT-Klassenbesten. Tandys 911 RSR in den Farben Rot, Weiß und Blau zitierte im Vorjahr das Design der legendären Brumos Porsche-Rennwagen – deren erfolgreichster Pilot war kein geringerer als jener Mann, der jetzt vor ihm auf dem Bildschirm erscheint.
Hurley Haywood: „Ich halte mir das vor Augen: Eigentlich wäre ich jetzt in Sebring, stattdessen sitze ich hier in St. Augustin. Sehr befremdlich... Seit meinem ersten Einsatz in Sebring im Jahr 1971 war ich praktisch bei jedem Rennen dort.“
Nick Tandy: „Mein erstes Sebring-Rennen war 2013. Das klingt, als wäre es noch gar nicht so lange her. Aber immerhin steht 2020 schon mein achter Start dort an. Es ist eines der großen Rennen. Dass es nun nicht stattfinden kann, tut mir sehr leid für die Fans und alle, die sich auf Sebring gefreut und vorbereitet haben. Es geht dort nicht nur um ein Rennen, Sebring ist ein Event. War das schon immer so?“
„Sebring besaß schon immer ein ganz besonderes Flair.“ Hurley Haywood
Haywood (lacht): „Oh ja! Sebring besaß schon immer ein ganz besonderes Flair. So viele einzigartige Faktoren zeichnen diese Veranstaltung aus, dass man sie sich unmöglich irgendwo anders vorstellen kann. Du bist mitten im Orangen-Anbaugebiet Floridas – die Gerüche des Rennbetriebs vermischen sich mit Blütenduft. Das ist berauschend. In den 1970er-Jahren wohnten wir immer in diesem wirklich sehr alten Hotel mit seinen älteren Gästen, die den Winter in Florida verbrachten und sich nun zwischen dem ganzen Rennvolk wiederfanden. Die Abendessen liefen sehr formell ab, jeder Ober trug ein weißes Jackett und so weiter. Anschließend öffnete die Tanzfläche und wir beobachteten diese wunderbaren Menschen, wie sie ihre Zeit genossen.
Doch es sind die Fans, die Sebring so besonders machen. Eine Rennstrecke ist eine Rennstrecke, aber die Zuschauer hier bilden ein buntes Kaleidoskop von Menschen voller Lebensfreude. In meiner aktiven Zeit bot sich mir nicht oft die Gelegenheit, raus zu den Fans zu gehen. Aber als mich kein Job mehr davon abhielt, wurde es eine wunderbare Erfahrung, in diese Welt einzutauchen.“
Tandy: „Ich muss zugeben, dass ich mir in meinem ersten Jahr dort einen Roller stibitzt habe und während des Nachttrainings ausgebüxt bin. Der Bereich von den Kurven sieben bis 13 ist anscheinend der, wo du sein musst. Ich sah brennende Sofas und überall hockten die Leute auf den Dächern ihrer Wohnmobile mit einem Bier in der Hand. Man hat diese Geschichten schon oft gehört, aber das musst du mit eigenen Augen sehen und erleben.“
Haywood: „Die Strecke selbst ist auch speziell. Jedes mal dachte ich mir, dass ich nie herausfinden werde, wie man dort ein Auto wirklich beherrschen kann. Man brettert über Bodenwellen, dass einem die Zähne klappern, und die Ingenieure sagen, damit müsse man eben klarkommen. Aber am Ende des Wochenendes passt irgendwie alles zusammen. Ob mit einem GT-Auto oder einem Prototyp – es geht.“
Tandy: „Genau. Man fragt sich, was zu Hölle man da bloß tut. Auf den ersten Runden scheint mir immer unerklärlich, wie das alles im Vorjahr funktionieren konnte – und das schon seit einem halben Jahrhundert. Aber nach ein oder zwei Tagen hat man sich wieder daran gewöhnt. Ich freue mich immer sehr auf Sebring.“
Haywood: „Ich fuhr auf verschiedenen Streckenvarianten und in den 1970er-Jahren war es nachts nach der Haarnadelkurve stockdunkel. Man sah nur, was im Lichtkegel der Scheinwerfer lag. Es gab zwei sehr, sehr schnelle Geraden und ein 15 Meter hoher Mast diente als Orientierung für den Einlenkpunkt. Einmal lag ich an der Spitze von einem dichten Pulk aus vier oder fünf Porsche 935. Weil ich geblendet wurde, verpasste ich den Einlenkpunkt an diesem Mast und fegte plötzlich mit Tempo 320 km/h durch kniehohes Gras. Die Jungs hinter mir hatten anscheinend gedacht: ‚Hurley weiß schon, was er tut’ und folgten mir mit demselben Speed. Auf einmal drehten sich Autos, Scheinwerfer blitzten, aber wie durch ein Wunder stießen wir nicht zusammen. Als wir schließlich zum Stehen kamen, schauten alle Fahrzeugnasen in verschiedene Richtungen und keiner von uns wusste, wie wir auf die Strecke zurückfinden sollten. Wir waren völlig verloren und brauchten eine Ewigkeit, bis wir wieder dort fuhren, wo wir sollten.“
Tandy (lacht): „Ja klar, man neigt dazu, dem Vorausfahrenden zu folgen und sich an den Bremsleuchten zu orientieren. Heute ist die letzte Kurve die dunkelste. Und was auch nicht toll zu fahren ist, sind die vier oder fünf Runden beim Sonnenuntergang.“
Haywood: „Da hast du recht – das war immer ein Albtraum. Bei tiefstehender Sonne warst du praktisch blind und musstest dir Referenzpunkte suchen, die nicht vor einem lagen, sondern durch das Seitenfenster erkennbar blieben. Das war die Methode, um Bremspunkte, Einlenk- und Scheitelpunkte zu finden. Diese letzte Kurve ist hinsichtlich der Bodenwellen die übelste und am Einlenkpunkt bist du richtig schnell. Die Autos heben buchstäblich ab.“
„Ich freue mich immer sehr auf Sebring.“ Nick Tandy
Tandy: „Da muss man richtig auf den Unterboden aufpassen. Die Autos sind so niedrig eingestellt, dass sie dort auf den Asphalt durchschlagen. Die Ingenieure stimmen die Autos so ab, dass sie für den übrigen Streckenverlauf passen, die Fahrer müssen mit den Bodenwellen an dieser Stelle einfach zurechtkommen. Wir sind wirklich tief enttäuscht, in diesem Frühjahr nicht in Sebring fahren zu können. Als zweimalige Sieger und Titelverteidiger wollen wir den Hattrick! Wie Le Mans oder Daytona besitzt diese Veranstaltung weltweite Reichweite und bedeutet Porsche sehr viel. Das Unternehmen investiert so viel Zeit und Anstrengung in Entwicklung und Einsatz dieser Rennwagen – und letztlich liegt es in der Verantwortung von uns Fahrern, die Autos immer wieder in einem Stück zurückzubringen. Der Druck auf unseren Schultern ist beträchtlich. Wir sollen die siegreiche Geschichte fortschreiben. Eine Geschichte, die Typen wie du begründet haben.“
Haywood: „Wir können uns wirklich glücklich schätzen für ein Unternehmen zu arbeiten, das derart entschlossen ist zu gewinnen. Als ich noch fuhr, genoss ich das Privileg mit Norbert Singer und Peter Falk arbeiten zu dürfen. Es war ein ungeheurer Luxus, diese beiden hinter sich zu wissen und durch sie das Auto verstehen zu lernen. Ihre Art, Informationen aus uns herauszubekommen, war absolut einzigartig. Rennfahrer waren nicht immer so eloquent wie ihr heute, vor allem in den 70er- und 80er-Jahren nicht. Ich erzählte ihnen einfach, wie sich das Auto verhielt, und überließ ihnen die Entscheidung, daraus Schlüsse zu ziehen. Sie waren die Cleveren.“
Tandy: „Jeder ein Experte auf seinem Gebiet – das macht ein Team stark. Was war dein Lieblingsauto in Sebring?“
Haywood: „Der 962 ließ sich super angenehm fahren – für mich das erste Auto mit echtem Groundeffect, der Traum eines jeden Rennfahrers. Leistung, Bremsen, Handling: alles war gut und zuverlässig noch dazu. Nachdem ich mir mein Bein gebrochen hatte, fuhr ich eine Weile einen Jaguar mit geradeverzahntem Getriebe, doch der 962 spielte einfach in einer anderen Liga. Aber es ist schwierig, ein einziges Auto herauszupicken. Das ist, als ob du sagen solltest, welches dein Lieblingskind ist! Der 914/6 GT war auch großartig. Diesen Favoriten-Killer zu fahren, hat unglaublich viel Spaß gemacht. Mit der Hälfte der Leistung ließen sich Mustangs, Camaros und Corvettes niederringen und nicht nur Sebring, sondern gleich die ganze Meisterschaft gewinnen.“
Tandy: „Hoffentlich können wir das Rennen im November nachholen. Es wird einzigartig, weil es dann Winter sein wird und das letzte Rennen der Saison.“
Haywood: „Ich freue mich darauf, euch Jungs wieder hier zu sehen.“
Tandy: „Ja, Hurley, wir freuen uns genauso auf dich.“
Und wir alle freuen uns auf euch beide, Hurley und Nick.