Schwein gehabt!

Zufällig und doch fast wie zur Sonderausstellung „Colours of Speed – 50 Jahre 917“ des Porsche Museums bestellt, fand sich im Entwicklungszentrum Weissach ein ganz besonderes Studio-Modell des 917 aus dem Jahr 1970. Es war der damalige Gegenentwurf des Porsche Design Studios zum 917/20, der legendären „Sau“.

Porsche Entwicklungszentrum Weissach, 10 Uhr morgens, im alten Windkanal. Porsche-Designer Anthony-Robert „Tony“ Hatter, Leiter Design Qualität Style Porsche, blickt strahlend auf das leicht angestaubte Studio-Modell eines futuristisch anmutenden Fahrzeugs im Maßstab 1:4. Es ist der Design-Entwurf eines Porsche 917 Kurzheck aus dem Jahr 1970. Extrem aerodynamisch und zugunsten eines bestmöglichen cW-Wertes völlig ohne Radausschnitte gestaltet. Dazu mit einer abnehmbaren Verglasung versehen, die den Blick in einen für die damalige Zeit höchst zukunftsweisenden Innenraum freigibt. Die Schaltereinheiten am Instrumentenbrett lassen bereits den Porsche 928 erkennen und auf der rechten Seite ist eine Art Computereinheit mit einem Band- oder Plattenlaufwerk auszumachen. Dazu ein Bildschirm in der linken Cockpithälfte. Fast schon Science-Fiction für die damalige Zeit.

„Die Designer waren bei diesem Modell sehr zukunftsorientiert. Im Grunde begleitete es mich seit 1986, als ich bei Porsche anfing, bis zum Umzug der Design-Abteilung in ein neues Gebäude vor gut dreieinhalb Jahren. Bis dahin war unser Design-Studio im Keller des sogenannten Sechskants, dem ersten großen Bürogebäude in Weissach, untergebracht. Hinunter zu unseren Studios ging es durch ein Treppenhaus, wo dieses Modell mit seinen vier Rädern zur Wand hin an einem hoch positionierten Querbalken befestigt war. Es verfügte sogar über eine Beleuchtung für das Cockpit mit einem entsprechenden Schalter an der Wand. Zusätzlich zum Licht nahm bei Betätigung des Schalters dann auch noch ein kleiner Gebläsemotor im Fahrzeug die Arbeit auf und gab ein summendes, rauschendes Geräusch von sich. Ob das Gebläse einfach nur ein technischer Gag war oder zur Kühlung der Innenbeleuchtung dienen sollte, weiß heute leider niemand mehr“, erzählt der britische Automobil-Designer, der in seiner Laufbahn für herausragende Porsche-Fahrzeuge wie den 911 der Generation 993 oder den 911 GT1 Serie verantwortlich zeichnete.

Studio-Modell des 917, Tony Hatter, Hermann Burst, 2019, Porsche AG
Porsche-Designer Tony Hatter (l) und der damalige Aerodynamik-Spezialist Hermann Burst erzählen die Geschichte des Studio-Modells

„Das Modell wurde über die Jahrzehnte zu einem völlig selbstverständlichen Gegenstand, den ich bewusst gar nicht mehr wahrnahm. Er war einfach immer da. Im Rahmen des Umzugs haben wir es dann heruntergenommen und irgendwo hingestellt. Erst vor Kurzem haben wir es in einer alten Garage wiedergefunden“, erzählt Tony Hatter weiter.
 

Bei der Aerodynamik-Entwicklung fährt Porsche damals zweigleisig. Man arbeitete in den Windkanälen des FKFS in Stuttgart und im Eiffel-Windkanal des Pariser Instituts SERA.

Näheres über die Entstehung dieses besonderen 917-Modells weiß Hermann Burst. Bis zu seinem Ausscheiden aus der Porsche AG 1992 ist der Rutesheimer Leiter der Karosserieentwicklung. Anschließend ist er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2006 Geschäftsführender Gesellschafter und zuletzt Aufsichtsrat beim Engineering-Dienstleister Rücker AG.

Ende der 60er-Jahre ist der junge Maschinenbau-Ingenieur der Fachrichtung Fahrzeugtechnik am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren an der Universität Stuttgart (FKFS) als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und befasst sich dort unter anderem mit Windkanalversuchen für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Im Januar 1969 wechselt er als Sachbearbeiter zu Porsche in die Rennabteilung, wo er im Bereich der Aerodynamik beim 917, 908 und den Serienfahrzeugen tätig wird.

Studio-Modell des 917, 2019, Porsche AG
Im Studio-Modell des 917 ist sogar ein Computersystem angedacht

Von Beginn an wird die Aerodynamik-Entwicklung des 917 sowohl in den Windkanälen des FKFS als auch im Eiffel-Windkanal des Pariser Instituts SERA (Société d’études et de réalisations automobiles) von Charles Deutsch betrieben. Deutsch genießt einen hervorragenden Ruf als Aerodynamiker und hat dies in der Vergangenheit bereits mit einer eigenen Konstruktion bewiesen. So erreicht sein CD SP66 – obwohl nur mit einem 1,2-Liter-Motor ausgestattet – aufgrund einer ausgeklügelten Aerodynamik beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1966 fast 300 km/h Höchstgeschwindigkeit. Grund genug, Charles Deutsch und SERA als weiteres Entwicklungsstandbein zu verpflichten, und so werden die Arbeiten am 917 zum Auftakt einer langjährigen Zusammenarbeit.

Als Mitte 1970 die Überlegungen für eine Weiterentwicklung der Kurzheckversion des 917 beginnen, lautet die Zielsetzung, ein Fahrzeug zu schaffen, das aufgrund seines reduzierten Luftwiderstands der Langheckversion gleichkommt. Dabei entscheidet sich Porsche für eine zweigleisige Vorgehensweise: Ein Karosserieentwurf entsteht bei SERA in Paris, ein weiterer direkt im Hause unter der Regie von Porsche-Designer Richard „Dick“ Söderberg. In dieser Phase arbeitet Hermann Burst zusammen mit einem kleinen Team von Porsche-Designern und -Modelleuren im SERA-Windkanal in Paris.
 

Im Laufe der Entwicklung entfernt sich das Studio-Modell immer weiter von dem, was Porsche damals auf den Rennstrecken einsetzt. Es wird zu einem kollektiven Ideen-Pool des Porsche-Design-Teams, und Details wie ein Computer oder ein Bildschirm muten fast wie Science-Fiction an.

Während der SERA-Entwurf 1971 schließlich als 917/20 „Sau“ gebaut wird, in Le Mans startet und mit seiner an die Schlachtstücke eines Schweins angelehnten Lackierung zu einem der bekanntesten Porsche-Rennfahrzeuge überhaupt wird, bringt es der von Richard Söderberg gestaltete 917 mit einem zweigeteilten Heckflügel nicht weit. „Die Formensprache von Richard Söderbergs Kreation war zwar weitaus ästhetischer und eleganter als die SERA-Entwicklung, doch im Windkanal erwies sich dieses Modell vor allem hinsichtlich des Auftriebs als nicht gut und konnte in dieser Form nicht überzeugen. Obwohl kein Anschlussauftrag vorlag und intern die Entscheidung für den Bau des SERA-Entwurfs bereits gefallen war, entschlossen wir uns dazu, das Modell trotzdem aerodynamisch zu überarbeiten“, erzählt Hermann Burst.

„Also sind wir nochmals mit diesem Modell in den Windkanal gegangen, entwickelten es stetig weiter. Mit allen bisher gewonnenen Erkenntnissen regte ich an, das Modell mit Blick auf die bewährte Aerodynamik des 908/03 und dessen runder Bugform sowie dem schräg nach oben verlaufenden Heck zu modifizieren. Dazu haben wir das Modell an den entsprechenden Stellen so mit Plastilin aufgefüllt, dass wir nicht nur einen guten cW-Wert erhielten, sondern auch verbesserte Abtriebswerte und ein akzeptables Seitenwindverhalten. In aerodynamischer Hinsicht hatten wir unser Ziel damit erreicht, doch stilistisch betrachtet konnte Richard Söderberg damit nicht zufrieden sein. Zumal das ursprünglich schneeweiße Modell nun auch noch mit reichlich braunem Plastilin verunstaltet war“, berichtet Hermann Burst weiter.

Porsche Design Team, Porsche AG
Das Porsche-Design-Team mit dem weiterentwickelten 917-Modell

Daraufhin gibt Porsche-Chefdesigner Anatole Lapine grünes Licht, das Modell optisch zu perfektionieren. Die Luftauslässe an der Oberseite der vorderen Kotflügel werden detailliert herausgearbeitet, die Grafik von Windschutzscheibe und Scheinwerfergläsern wird neu ausgelegt, und auch große, hochmodern anmutende Rückleuchten zieren das nun in Silber lackierte 917-Modell. Stück für Stück entfernt sich dieser 917 optisch von dem, was Porsche zu dieser Zeit auf den Rennstrecken einsetzt, und wird vielmehr zu einem kollektiven Ideen- Pool des Porsche-Design-Teams. Während der Schalensitz und das kleine Dreispeichenlenkrad noch ganz und gar dem Rennbetrieb geschuldet sind, mutet der Instrumententräger fast wie bei einem Serienfahrzeug an. Im nach wie vor als Rechtslenker ausgelegten 917 ist er auf der linken Seite weit nach innen hereingezogen – mit dem Fahrer zugewandten Bedienelementen und damit bester Ergonomie. Ein Arrangement, wie es erst viele Jahre später in Serienautomobilen zu finden ist. „Sogar einen Bildschirm haben sie damals eingebaut“, merkt Tony Hatter an und deutet mit dem Zeigefinger ins Cockpit.

Doch die innovativen Ausstattungsdetails und die voll und ganz auf aerodynamische Güte zugeschnittene Karosserie bleiben für die nächsten Jahre ohne signifikante Wahrnehmung – sehen wir vom Arrangement der Bedienelemente im 1977 vorgestellten Porsche 928 ab. Erst 1978 taucht dieses 917-Modell wieder für einen kurzen Moment auf. Diesmal als Titelmotiv des Beitrags „Porsche: das Auto von morgen“, in dem dieser 917 neben Porsche-Forschungsprojekten wie dem „Langzeitauto“ oder dem Rettungssystem „SAVE“ einen Blick in die Zukunft geben soll. Das zeigt, wie visionär dieses Modell selbst acht Jahre nach seiner Entstehung anmutet und dass der 917 auch weiter fest in den Köpfen der Designer verankert ist.

Sonderausstellungen „Colours of Speed – 50 Jahre 917“

Mehr als 40 Jahre später wird dieses 917-Modell nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Im Rahmen einer seiner umfangreichsten Sonderausstellungen mit dem Titel „Colours of Speed – 50 Jahre 917“ würdigt das Porsche Museum vom 14. Mai bis 15. September den legendären Rennwagen, zeigt insgesamt zehn Rennfahrzeuge dieses Typs sowie dieses Modell. Außerdem wird mit der „Aerodynamik-Studie: Living Legend 917“ eine Hommage an den legendären 917 mit der Startnummer 23 gezeigt, mit dem Hans Herrmann und Richard Attwood 1970 den ersten Gesamtsieg für Porsche in Le Mans holten.

Info

Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 15.
Text Jürgen Gassebner // Foto Max Leitner
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