Jeder stellt Cameron Healey diese immer gleichen Fragen. Nach der Echtheit seines Wagens. Nach dieser seltsamen Story vom Umbau zum Spyder. Der schlanke Hüne beantwortet sie mit ruhiger sanfter Stimme. Er kennt das ja, kennt diese Zweifel. Von sich selbst. Denn als er 2009 einen kleinen roten 356 aus Aluminium und ohne Dach kaufte, da hatte er sich eigentlich ja einfach nur in genau dieses Auto verliebt. Das gehörte seit 1957 Chuck Forge. Und es war Insidern bekannt, dass es ein sehr früher 356 war. Aber wie früh und mit welcher Historie – das stellte sich alles erst heraus, als Chuck zusammen mit Porsche-Outlaw Rod Emory in North Hollywood/Los Angeles zur Restauration schritt. Um zu verstehen, was sie unter dunkelrot leuchtendem Lack fanden, müssen wir weit zurückgehen.
Winter 1949, Gmünd/Kärnten. Eine ganze Firma ist auf dem Sprung zurück nach Stuttgart. Aus Ferry Porsches Suche nach einem Auto, das er sonst nirgends fand, ist der 356 „Nr. 1“ Roadster entstanden. Es folgten 52 Gmünd-Coupés und Cabriolets aus Aluminium. Für den Beginn einer Serienproduktion beschließt Porsche den Umzug nach Stuttgart. Dort sollen die Fahrzeuge aus Stahl gebaut werden. Doch da waren noch die frühen Gmünd-Fahrzeuge aus Aluminium, leichter zwar, aber auch schwieriger zu verarbeiten. Die letzten unfertigen Karosserien ließ man zurück. Sie wurden 1950 bei Tatra in Lohnarbeit vollendet und später nach Zuffenhausen geliefert. Zu diesen Karosserien gehörte auch 356/2-063.
Der Pariser Automobilsalon im Oktober 1950 sollte den Aluminium-Coupés ein neues Leben einhauchen. Sie gewannen schnell an Bedeutung, denn Auguste Veuillet und Charles Faroux – der eine Unternehmer (Sonauto) und Rennfahrer, der andere Mitinitiator und von 1923 bis 1956 Renndirektor der 24 Stunden von Le Mans – machten Ferdinand Porsche bei diesem Anlass eine Teilnahme an dem Rennen 1951 schmackhaft. Eine Kraftanstrengung für das noch junge Unternehmen!
Die Vorbereitungen standen unter keinem guten Stern: Gleich drei Unfälle bei Versuchsfahrten, Trainingsfahrten und Streckenbesichtigung lassen nur einen Wagen übrig: 063. Auf ihm starten am 23. Juni 1951 Auguste Veuillet und Edmond Mouche. Starkregen und schwere Unfälle überschatten das Rennen. Doch der 46 PS starke Wagen mit der Startnummer 46 läuft wie ein Uhrwerk, erreicht in Runde 158 seine Bestzeit mit 5:44,7 Minuten für einen Umlauf, was einem Schnitt von knapp 141 km/h entspricht. Als die Zielflagge sie abwinkt, haben Veuillet/Mouche den Sieg in ihrer Klasse und den 20. Gesamtrang erreicht.
„Ich konnte das erst nicht glauben, doch alle Indizien sprechen dafür, dass es 063 ist.” Cameron Healey
Und danach? Zwei Monate später nimmt 063 am Rennen Lüttich–Rom–Lüttich teil. Die Blinker werden weit nach außen verlegt, um Platz zu schaffen für Starktonhörner und stärkere Zusatzscheinwerfer. Die Startnummer hier: 16. Gesamtrang: 10. Nur einen guten Monat später holte sich 063 bei Rekordfahrversuchen in Montlhéry drei internationale Rekorde. All das verleitete bei Porsche aber niemanden zur Sentimentalität. 063 wurde einer von drei 356 SL, die auf Geheiß von Max Hoffman in die USA exportiert wurden, nachdem sie umfassend repariert, neu lackiert und technisch auf Serienzustand gebracht worden waren. Ein Wagen ist heute in Mexiko (054), einer in der Collier-Sammlung (055) – und einer gehört heute eben Cameron Healey. „Ich konnte das erst nicht glauben, doch alle Indizien sprechen dafür, dass es 063 ist.” Cameron lehnt sich zurück. Das Ledersofa quittiert die Bewegung mit einem leichten Quietschen. Rod Emory nickt. Eingekratzte Markierungen auf den Blechen, die Spuren der Blinkerverlegung, eine kleine Beschädigung an einer Radblende, die man auch auf historischen Le-Mans-Fotos erkennt – all das zeigte, dass der kleine rote Spyder viel mehr war, als es schien. Hofman hatte den Wagen zunächst an Jack Rutherford verkauft, doch der gab ihn zurück.
Der nächste Besitzer war Johnny von Neumann. Der fuhr Rennen und wollte 1952 Gewicht einsparen. Von dem Coachbuilder Emil Diedt ließ er das Dach entfernen. Der Wagen ging durch weitere Hände: Bill Wittington, Rick Gale, Ernie Spitzer, Dick Cotrell – und schließlich 1957 Chuck Forge. So wie alle Vorbesitzer auch fuhr er Rennen mit ihm. Irgendwann hatte 063 sogar runde Rückleuchten. 1981 ließ er den Wagen restaurieren.
Es wurde eine Restaurierung im Stil der Zeit. Man fragte nicht nach dem Woher oder Warum, man versetzte den Wagen in einen optisch schicken Zustand. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, denn alle Arbeiten wurden sehr gut ausgeführt. Um an historischen Rennen teilnehmen zu können, ließ Forge einen kleinen Überrollbügel installieren. In diesem Zustand lernte Cameron den Wagen kennen. Er hielt über all die Jahre Kontakt zu Forge. Als dieser 2009 leider verstarb, konnte Cameron 063 erwerben.
Rod Emory fielen dann die Ungereimtheiten auf. Cameron tauchte ab ins Archiv in Zuffenhausen, wo sich bald wichtige Unterlagen fanden. Als klar war, dass man es aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Le-Mans-Klassensieger zu tun hatte, vermaß Rod die beiden anderen 356 SL per Laser, erstellte Holzformen und schlug darüber ein neues Dach mit Werkzeug aus den 40er-Jahren. Es sollte eine authentische Restaurierung werden. Und sie gelang. 063 erwachte zu neuem Leben.
Cameron startet, der Highway No. 2 liegt vor ihm. Der kleine silberne Porsche folgt dessen Windungen, als seien sie eine Allegorie auf sein Leben. Wir folgen ihm erst mit den Augen, dann den Ohren, dann dem Herz. Hope to see you again. Take care!
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik „Sonderausgabe 70 Jahre Porsche Sportwagen".
Text Thorsten Elbrigmann // Foto Theodor Barth
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