Es gibt Filme, die zählten von Beginn an zum kollektiven Gemüts-Inventar. Steve McQueens „Le Mans“ hingegen, zu seiner Zeit alles andere als ein Kassenknüller, hat eine ganz besondere Karriere hingelegt. Nach über 40 Jahren küsste ihn der Zeitgeist aus einem bleiernen Dornröschenschlaf wach. Kein Zweifel: Anno 2018 ist „Le Mans“ Kult wie nie zuvor. Zwei abendfüllende Dokumentationen rollen inzwischen das „Making-of“ bis ins winzigste Detail auf. Literatur über den Streifen und McQueen als den nimmermüden Motor dahinter schießt ins Kraut wie Champignons nach einem Sommerregen. McQueens ausdrucksvolles Antlitz, bereits 1998 in einem Werbespot für den Ford Puma virtuell zu gespenstischem neuen Leben erweckt, ist plötzlich allgegenwärtig. Und diesmal, als sei der Mann tatsächlich noch mitten unter uns.
Vom Zahn der Zeit weitgehend verschont, vielmehr geadelt durch die Jahrzehnte: der Fuhrpark, der damals bei den Dreharbeiten verwendet wurde. Manchmal trügt der Schein, wie im Fall des Ferrari 512 S Fahrgestell 1026, heute Prunkstück in der Kollektion von Pink-Floyd-Drummer Nick Mason. Von Derek Bell gefahren, fackelt er während eines Drehs bis auf die Grundfesten ab und wird praktisch um seine Chassisnummer herum neu errichtet. So gut wie im Urzustand glänzend konserviert heute im Besitz eines deutschen Sammlers: der schiefergraue Porsche 911 S, mit dem Michael Delaney alias Steve McQueen zu Beginn des Films betulich durch schöne Landschaften in die Handlung rollt. Und, nach allen Regeln der Kunst restauriert: der Porsche 908.02, mit dessen drei Arriflex-Kameras die realen Vingt-Quatre Heures du Mans 1970 auf über zehn Kilometern Filmmaterial festgehalten und bei Bedarf in die fiktive Handlung des Films eingeflickt wurden. Pilot Jonathan Williams ist leider seit 2014 nicht mehr unter uns. Aber Pilot Herbert Linge erinnert sich an alles noch sehr genau: „Durch die zusätzlichen, sehr geschickt integrierten Anbauten kamen 40 Kilo zum Wagengewicht dazu. Balance und Speed hat das kaum beeinflusst – darüber ist viel Unsinn geschrieben worden.“ Immerhin läuft der Porsche mit der Startnummer 29 auf Rang 9 ein, wird jedoch, so Linge, wegen eines angeblichen Regelverstoßes disqualifiziert. Ohnehin kommen nur die ersten Sieben in die Wertung, die eine Mindestdistanz vorsieht.
Das eigentliche Filmen vor Ort – eine unendliche Geschichte – nimmt fünf Monate in Anspruch. Als Kameraträger müssen andere Rennfahrzeuge herhalten, zum Teil durch bizarre Rohrskelette zum Halten der Arrif lexe verfremdet. 022 ruht sich unterdessen in einer Garage aus. Er hat ja auch bereits eine erfüllte Rennwagen-Jugend hinter sich. Seine Karriere beginnt als Werksauto beim 24-Stunden-Rennen von Daytona am 1. und 2. Februar 1969, als Langheck-Coupé in Weiß mit gelber Nase, gefahren von Kurt Ahrens und Rolf Stommelen. Nach der Hälfte der 626 Runden fällt er aus wie so mancher andere Porsche bei dieser Veranstaltung. Ein Zwischenrad im Nockenwellen-Antrieb ist kaputt, aus Aluminium in einer stählernen Umgebung. Nach ausgiebiger stationärer Behandlung im Werk und nunmehr nach oben offen trifft er im Dezember jenes Jahres in Arizona ein, inzwischen im Besitz von McQueen und unter dem Label seiner Filmgesellschaft Solar Productions.
Im Februar und März 1970 startet der Superstar bei vier Rennen und gewinnt zwei davon. Sein Debüt auf dem Flugplatz Holtville mit der Nummer 66A fällt überaus ermutigend aus: Sieg und Lap Record zwei Sekunden unter dem alten, das komplette Feld überrundet. McQueen hält sich für einen begabten Fahrer und ist es wohl auch, belegt spätestens durch seinen zweiten Platz bei den 12 Stunden von Sebring am dritten März-Wochenende 1970. Die besseren Zeiten fährt gleichwohl sein renommierter Partner Peter Revson. Und US-Ikone Mario Andretti, der das Rennen zusammen mit Ignazio Giunti und Nino Vaccarella in einem Ferrari 512 S gewinnt, donnert, diese Filmfritzen möchten sich doch gefälligst aus seinem Sport heraushalten.
Der automobile Statist, der selbst zum Star mutierte
Nach der Film-Episode wird 022 durch Hans-Dieter Weigel vom deutschen Team Auto Usdau erworben. 1971 altert er um vier 1.000-Kilometer-Rennen und Le Mans, in der folgenden Saison nur um den Sarthe-Marathon. 1973 verkauft ihn Weigel an seinen Ex-Mechaniker Lothar Ranft, der vermittelt ihn an Guillermo Ortega vom Ecuador Marlboro Racing Team. In Le Mans landet Ortega damit auf einem bemerkenswerten siebenten Platz, zusammen mit Landsmann Fausto Morello. Sein letzter Einsatz in Le Mans 1974 geht nicht glimpflich aus: dicker Crash zu nächtlicher Stunde. Am 22. August ersteht 908-Fan August Deutsch den Havaristen von einen Mitarbeiter von Porsche Salzburg abzüglich Motor und Getriebe, zunächst nur als Ersatzteillager für einen anderen 908.02 (Chassis 018).
Reaktiviert wird er erst 1980. Noch ist Deutschs Reinheitsgebot allerdings etwas lax: 022 wird eine sogenannte Lotterschmid-Karosserie übergestülpt, im Antriebsstrang werkeln ein Biturbo-Sechszylinder von Porsche sowie ein 935-Getriebe. Zwischen August 1982 und Oktober 1988 macht er in dieser Konfiguration seine Aufwartung bei etlichen Rennen in Deutschland und Österreich. Weitere zehn Jahre in einstweiligem Ruhestand folgen. Dann ruft Hubertus Graf Dönhoff an, Gründervater des AvD-Oldtimer Grand Prix: Ob Deutsch nicht mit der schlummernden Zelebrität am Nürburgring auftreten wolle, Bedingung: die Rückführung in den Zustand anno 1970.
So geschieht es: Am 5. August 2000, nach zwei Jahren genauer Detailarbeit, rollt Deutsch mit dem entschlackten Porsche 908.02 – 022 persönlich in die Startaufstellung beim Lauf für die historischen European Sports Prototypes. Natürlich wird die Filmlaufbahn des illustren Zweiplätzers gebührend herausgestrichen. Seitdem zählt er zu den Schmankerln der Szene – der automobile Statist, der selbst zum Star mutierte.
Porsche 908 Spider
Motor 8-Zylinder-Boxermotor
Hubraum 2.997 cm3
Bohrung x Hub 85 x 66 mm
Verdichtungsverhältnis 10,4:1
Maximale Leistung 350 PS bei 8.400/min
Kraftübertragung voll synchronisiertes 6-Gang-Schaltgetriebe
Leergewicht 720 kg
Länge x Breite x Höhe 4.000 x 1.830 x 730 mm
Info
Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 13.
Text: Hartmut Lehbrink // Fotos: Markus Bolsinger
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