„Das Lager“ ist ein schmuckloser Industriebau. Auf zigtausend Quadratmetern stehen Ikonen, Einzelstücke, zu gedeckte Renn-Tiere und Spantenmodelle. Mithin ein Porsche Museum ohne Chic. Aber mit reichlich Charme.
Selbst das neunmalkluge Wikipedia ist unsicher, bietet sieben Optionen und vier verschiedene Schreibweisen an für den Ort, in dem sich das Lager mit den Schätzen des Porsche Museums befindet. Wobei es beileibe kein Manko ist, wenn der Name nicht geläufig ist. Und außerdem ist der Zugang in dieses Kaleidoskop der Porsche Geschichte streng reguliert.
Aficionados, die seit ihrer Kindheit von Porsche träumen, sind angesichts von hunderten Porsche einer Ohnmacht nahe. Die Neuwagenabteilung, mit aktuellen Modellen, lässt ohne Umschweife haben-will-Begehrlichkeiten entstehen. Wo sind die Schlüssel?
Im Porsche Lager entstehen Bilder im Kopf
Weil viele der älteren und alten Kostbarkeiten mit Tüchern abgedeckt sind, so wie früher die Möbel in der guten Stube, zuckt der eine oder andere Finger, um mit flinkem Griff mal kurz unter diese Stoffhaube zu schauen. Hier ein Lada – ja richtig, es gab da mal eine sehr kurzfristige Kooperation –, da ein 356, der einem Diplomaten aus Österreich gehörte und schon mit feinstem Leder tapeziert ist.
Auch ohne Schutzhüllen entstehen Bilder im Kopf. Weil das Licht aus den großen Fenstern Formen zeichnet, die vertraut sind. Vielleicht noch in Schwarz-Weiß. Oder als Farbabzug aus einem chemischen Film. Bilder von Rennen, bei denen Porsche rund um den Globus brillierte. Renn-Tiere oder Rallye-Ikonen, die mit Namen wie Mario Andretti, Jacky Ickx oder Walter Röhrl in Verbindung stehen. Teils sind sie in Regale integriert wie Matchbox-Spielzeug, das man mit zwei spitzen Fingern aus der Box nehmen und dann auf die Slotrace-Anlage stellen könnte. Mit Original-Aufklebern von Sponsoren wie etwa Blaupunkt, einer Firma, die es schon seit Jahren nur noch als Randerscheinung gibt.
Formel- Fahrzeuge oder Indy-Renner, wie sie nur noch denen vertraut sind, die schon etwas länger leben oder sehr affin zur Marke Porsche sind und das Geschehen der letzten Jahrzehnte verfolgt haben. Wie zum Beispiel die zwei 804 – zwei von insgesamt drei gebauten Exemplaren. In ihnen steckt ein 8-Zylinder-Rennmotor mit lediglich 1,5 Litern Hubraum. Teuflisch gefightet haben die Piloten auch damals schon, wie der Schleppzeiger des Drehzahlmessers unter Beweis stellt: 9.000 Umdrehungen hat der Pilot dem Boliden zugetraut. Es riecht fast nach Adrenalin. Nach Herzblut, Mut und verbranntem Rennbenzin.
Ganz in der Nähe ein sogenannter Langzeit-Testwagen, ein 944 S, der in nur einem Jahr so viel Kilometer heruntergeschrubbt hat, als wäre er zum Mond geflogen: 365.000 Kilometer. Jeden Tag 1.000 Kilometer. Respekt. Oder, wer denn das Auge dafür hat, ein 917-30 mit der Fahrgestellnummer 001. Er wartet. Ist quasi Work in Progress. Irgendwann wird er wie frisch gefertigt vielleicht ins richtige Museum kommen. Oder noch einmal auf breiten Rennwalzen um Kurven fliegen wie weiland Willi Kauhsen am Nürburgring. Ja doch, damals war ich vor Ort.
Erste Endorphinschübe vermischen Erinnerung und Realität. Auf der Augen-Hornhaut entstehen allmählich Schwielen angesichts dieser geballten Ladung Porsche Power. Der brutale Klang der einzelnen Renner wird aus den tiefsten Tiefen der Festplatte im Kopf noch einmal hochgeladen. Grandios, das.
Aber was, zum Teufel, macht denn die G-Klasse hier? Verwirrt aus Untertürkheim? Mitnichten. Dieser unkaputtbare Kraxler mit der Rothmans-Beklebung – ja, damals gab es noch Zigarettenreklame bei Rennveranstaltungen – diente den Technikern bei der Paris-Dakar als Transportmittel und Lieferwagen. Natürlich nicht im Originalzustand, sondern ausstaffiert mit dem Motor eines Porsche 928. Vollgepackt mit Ersatzteilen für den siegreichen Jackie Ickx im Allrad- Porsche.
Ein Diesel-Traktor kaum schneller als ein Radfahrer
Und was ist das da? Hat Porsche etwa auch Motorräder gebaut? Ja, eines. Ein Porsche Ingenieur namens Hess, wahrscheinlich Motorrad-Freak, hat es sich nicht verkneifen können, den Motor eines Porsche 356 in ein Motorrad einzupflanzen. So ähnlich wie bei der Münch-Mammut mit dem Motor des NSU TT. Gefühlte 300 Kilo schwer und somit kaum serientauglich.
Und Diesel? Ja, auch das hat Porsche früh draufgehabt. Allerdings als Traktor und kaum schneller als ein Radfahrer. Der Traktorbau hat bei Porsche eine Tradition, die bis in die 50er des vergangenen Jahrhunderts reicht. Heute feilschen Sammler um die Zugmaschinen, die sie schmeichelhaft Rotnasen nennen.
Und zwischen einer Studie zur Gruppe B in Perlmuttweiß, einem 911 Baujahr 1965 aus Hawaii mit Surferaufkleber, einer Aerodynamikstudie von 1984 und Pinky, dem schweinchenrosafarbenen Racer aus dem Porsche 944 Turbo-Cup, sowie einem Windkanalmodell des RS Spyder steht auch noch ein 968 Roadster, ganz klar ein Einzelstück. Oder der 924 Carrera GTS, der extra für Walter Röhrl aufgebaut worden ist, weil Mercedes ihm kein rennfertiges Fahrzeug zur Verfügung stellen konnte.
Zurück in die Zukunft: Porsche bleibt nach wie vor auf Ballhöhe. Deshalb steht hier auch ein Rohling des aktuellen 918 Spyder. Ein Versuchsträger für den Antriebstest. Zu erkennen daran, dass auf dem Heck, wo sich bei den verkauften 918 Spyder die Endrohre in den Himmel recken, eine Zarges-Box steht. Es gab in dieser frühen Phase des 918 einfach zu viel Elektronik zu platzieren. Also hat ein Azubi die schlichte Idee vorgebracht, es in die Box zu packen.
Ein riesiger Himmel auf Erden für Porsche Fans
Genug? Genug für ein weiteres Museum. Ohne Sitzgruppen und Schrifttafeln, ohne digitales Gedöns. Dafür aber mit sogenannten soft restaurierten Porsche wie dem allradgetriebenen Renner der Paris-Dakar, der fast so dasteht, wie er damals siegreich über die Ziellinie strebte.
Ein riesiger Himmel auf Erden für Porsche Fans, die keine Angst vor staubigen Fingern haben, der aber leider für das große Publikum verschlossen bleibt. Und die Hölle für Wikipedia, das zwar auf fast alle Typenbezeichnungen eine Antwort weiß. Aber eben nicht hundertprozentig sicher ist, wo dieser Ort eigentlich liegt, in dem diese Typen gut gehütet vor den Augen der Öffentlichkeit stehen.
Jetzt nur noch schnell die Tücher wieder auf die Preziosen zurücklegen. Und dem „Lager“ seine gewohnte Ruhe gönnen. Ein riesiger Himmel auf Erden für Porsche Fans, die keine Angst vor staubigen Fingern haben, der aber leider für das große Publikum verschlossen bleibt.
Info
Text erstmalig erschienen in „rampclassics", Ausgabe 4
Text: Jo Clahsen // Fotos: Steffen Jahn