Eigentlich hat Stefan Althoff einen Knochenjob. Im großen Stil organisiert der Leiter Personalwesen der Porsche Leipzig GmbH seit Jahren den enormen Mitarbeiterzuwachs des Werkes. Gestartet im Sommer 2002 mit gerade mal 300 Mitarbeitern in der Endmontage des Porsche Cayenne, wird sich die Belegschaft bis 2017 auf 4000 Beschäftige vervielfacht haben. Eine Herkulesaufgabe. Damit die Produktion reibungslos funktioniert, müssen Einstellungen in kürzester Zeit punktgenau und termingerecht erfolgen. Aus einer Flut von Bewerbungen ermitteln die Personaler passende Fachkräfte und akquirieren zugleich Spezialisten im In- und Ausland. Doch Althoff sieht den Kraftakt positiv. „Es gibt nichts Schöneres, als den Personalaufbau in einem Unternehmen mit so professionellen Rahmenbedingungen zu managen“, sagt der 48-Jährige und lächelt.

Porsche entscheidet 1999, aus dem Nichts den neuen Standort in Leipzig aufzubauen. Die Stadt im Osten Deutschlands gehört damals noch nicht zum traditionellen Autoland Sachsen – anders als die Nachbarregion Chemnitz-Zwickau, wo einst Audi und zu DDR-Zeiten der Trabant entstanden. Die Arbeitslosigkeit in der sächsischen Metropole liegt bei 20 Prozent und junge Menschen wandern zu Abertausenden nach Westdeutschland ab. Doch Leipzig bietet Platz für große Investoren: beste Infrastruktur samt modernem Flughafen, Autobahnkreuz und der Nähe zu vielen Automobilzulieferern, leistungswillige Menschen und gute Investitionsbedingungen. So setzt sich die Stadt gegen 16 Bewerber durch – und der Standort wird seit seiner Eröffnung kontinuierlich erweitert.

Rund 650 Fahrzeuge laufen täglich vom Band

Mittlerweile hat Porsche 1,3 Milliarden Euro in das Werk Leipzig investiert. An einem durchschnittlichen Dreischichtwerktag laufen heute rund 650 Fahrzeuge vom Band – bis zu 150 000 Autos jährlich und damit ein Großteil der gesamten Porsche-Produktion. 2009 kommt die Endmontage des Panamera hinzu. Zwei Jahre später wird beschlossen, den Porsche Macan in Leipzig komplett zu fertigen und den Standort zum Vollwerk mit Karosseriebau und Lackiererei zu erweitern. Als die Macan-Produktion Ende 2013 anläuft, ist die Belegschaft binnen zwei Jahren um 470 Ingenieure und 1100 Produktionsmitarbeiter gewachsen. Eine Leistung, die nur mit exakten Rekrutierungsplänen zu schaffen war.

„Wir haben den Personalaufbau nicht dem Zufall überlassen, sondern sind strategisch vorgegangen: Ausgehend von der Ziellinie des Produktionsstarts haben wir einen Masterplan mit Zeitleiste, Meilensteinen und eigenen Rekrutierungs- und Qualifizierungsmethoden entwickelt“, sagt Grit Schöbel, Leiterin Personalmanagement, die in dieser Funktion für den Personalaufbau verantwortlich ist.

Berater von Porsche Consulting unterstützen das Projekt

Nach dem Beschluss, den Macan zu bauen, holt sich Leipzig Unterstützung von Porsche Consulting und bildet ein zehnköpfiges Projektteam. Das beginnt mit einer strategischen Analyse: Wer wird wann und wo benötigt? Die konzernweite Qualifizierung von Fachleuten für die spezifischen Porsche-Anforderungen kann schließlich bis zu zwei Jahre dauern. Die Berater ermitteln gemeinsam mit dem Projektteam sowie erfahrenen Kollegen aus der Porsche AG den Bedarf an Ingenieuren und Fachkräften für Karosseriebau, Lackiererei und Montage. Und sie analysieren den Arbeitsmarkt anhand statistischer und demografischer Daten. So entstehen 52 Qualifikationsprofile für die spezifischen Aufgaben im erweiterten Porsche-Werk – angefangen von „Einlegern“, die die knapp 400 Industrieroboter mit Material füttern, bis zu Anlagenbedienern, die komplexe Aufgaben in der Maschinensteuerung übernehmen.

Auf dem Grundriss des entstehenden Vollwerkes werden alle Positionen eingetragen – jeder Punkt steht für einen Menschen mit einer spezifischen Aufgabe. Die Personaler kennen das Anforderungsprofil für jeden Arbeitsplatz und erstellen darauf ausgerichtete Qualifizierungskonzepte für jeden neuen Mitarbeiter. Welche Kompetenzen bringt ein Bewerber mit? Für welche Anforderungen muss er geschult werden? Mit Unterstützung der Porsche-Berater wird ein modular aufgebautes Trainingskonzept entwickelt, um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Bewerber schnuppern Porsche-Luft

Um den Aufstieg in die neue Werksdimension zu schaffen, organisiert sich die Personalabteilung neu und baut ein siebenköpfiges Recruiting-Team auf. Es managt ausschließlich den Personalaufbau und siedelt sich in Containern direkt auf der Werksbaustelle an – dort finden auch die Gespräche mit den Bewerbern statt. „Wir haben damit dem Wunsch vieler Interessenten entsprochen, gleich Porsche-Luft zu schnuppern und den Standort kennenzulernen“, so Schöbel, denn Porsche macht eine neue Erfahrung: um Spezialisten gezielt werben zu müssen. Anders als beim Start des Werkes 2002 sind Fachleute schon zehn Jahre später nicht mehr so leicht zu finden. Die Arbeitslosenquote in Sachsen hat sich auf unter zehn Prozent halbiert. Zudem suchen das benachbarte BMW-Werk und Volkswagen in Zwickau identische Jobprofile. „Wir mussten tiefer in die Trickkiste greifen“, sagt Althoff.

Das Personalteam setzt dabei besonders auf Menschen, die in den 1990er-Jahren Ostdeutschland den Rücken kehrten, aber zurück in die alte Heimat möchten. So startet Porsche sein Personalmarketing nicht nur in den klassischen Kanälen und in sozialen Netzwerken, sondern platziert auch Werbebotschaften in Zügen der Deutschen Bahn und in den typischen Urlaubsregionen der Ostdeutschen – im Sommer an den Ostseestränden, im Winter an den Skihängen des Erzgebirges: mit Erfolg. Ein Gutteil der heutigen Belegschaft stammt aus Mitteldeutschland, viele von ihnen sind „Heimkehrer“.

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Ringo Baumung, Mitarbeiter im Bereich „Finish“ des Karosseriebaus für den Panamera, Leipzig, 2016, Porsche AG
Nach 20 Jahren als Karosseriebauer in der Nähe von Dresden wechselt Ringo Baumung zu Porsche Leipzig. Noch bevor sein künftiger Arbeitsplatz steht, wird er für seinen Einsatz im Karosseriebau der nächsten Panamera-Generation fit gemacht. Seit Februar 2015 behebt er Kratzer, Riefen und Dellen in den Karossen des Macan, bevor sie in die Lackiererei gehen. Zudem lernt er fast alle Bereiche des Werkes kennen, absolviert Schulungen und eine Schweißerausbildung, durchläuft die Trainingscenter und besucht andere Produktionsstandorte des Volkswagen-Konzerns. „Was Porsche für uns tut, ist der Hammer“, findet der 41-Jährige.
Simone Haubold, Leiterin der Prozessabteilung in der Lackiererei, Leipzig, 2016, Porsche AG
Als Porsche verkündet, eine Lackiererei in Leipzig zu bauen, ruft Simone Haubold ihre Eltern an: „Ich komme zurück!“ Fast zwölf Jahre war die Sächsin in Baden-Württemberg, hat dort ihre Liebe zum Lack im Premiumsegment entdeckt. „Der Lack ist das Kleid des Autos“, sagt die promovierte Werkstoffwissenschaftlerin. Die Chance, eine neue Lackiererei mit aufzubauen, ist für sie einmalig. Und sie möchte gern nach Hause, zur Familie, zu Freunden. Im Oktober 2011 fängt Simone Haubold als Planerin des Lacklabors bei Porsche Leipzig an. „Die Stelle, die Stadt, das Unternehmen – es passt einfach alles.“ Heute leitet die 45-Jährige das Labor und überwacht ständig die korrekte Zusammensetzung der verschiedenen Tauchbäder der Lackiererei.
Ashutosh Adlakha, Prozessplaner für den Karosseriebau des neuen Panamera, Leipzig, 2016, Porsche AG
Von Indien nach Deutschland: Ashutosh Adlakha aus Chandigarh legte 6000 Kilometer zu Porsche Leipzig zurück. Schon als Student nimmt er Kontakte zu deutschen Forschern und Firmen auf, programmiert bald Produktionsroboter. Seit 2006 lebt der Maschinenbauingenieur in Deutschland, zunächst in Köln. Dann bewirbt sich Adlakha auf das Online-Jobangebot von Porsche Leipzig – und passt ins Profil. Seit Frühjahr 2014 treibt der 38-Jährige die Prozessplanung für den Karosseriebau der neuen Panamera-Generation mit voran, vor allem bei den einzurichtenden Taktzeiten in der Produktion. Er sagt: „Es geht um die Harmonie von Maschine und Mensch.“ Um seine Deutschkenntnisse zu perfektionieren, bekommt er Sprachunterricht. „Das hat mir enorm geholfen“, so Adlakha.
Claudia Krocke, Trainerin in der Logistik, Leipzig, 2016, Porsche AG
Dass jeder Handgriff in der Logistik von Porsche Leipzig sitzt, gehört zum Job von Claudia Krocke (28). Nach dem Studium in Dresden beginnt die Verkehrswirtschaftlerin Anfang 2013 als Coach im Trainingscenter Logistik, während das neue Vollwerk für den Macan entsteht. Sie schult Kollegen und qualifiziert externe Dienstleister, entwickelt didaktische Programme und zertifiziert neue Trainer nach Porsche-Standards. Bis zu 1000 Leute werden jährlich im Trainingscenter mit echten Bauteilen für die realen Prozesse ausgebildet. Claudia Krocke ist sich sicher: „Wir sind gut gewappnet für den Anlauf der neuen Panamera-Produktion.“
Falk Geissler, Schichtleiter in der Fahrzeug-Abwicklung, Leipzig, 2016, Porsche AG
Falk Geissler gehört zu den ersten 50 Mitarbeitern des Leipziger Werks. 2001 beginnt der damals 27-jährige Kfz-Meister in der Montage des Porsche Cayenne und ist beim Bau der ersten Vorserienmodelle dabei. Inzwischen ist er als Schichtleiter für die Kontrolle aller fertigen Fahrzeuge verantwortlich. Mit dem Ausbau zum Vollwerk für den Macan sind für ihn viele Abstimmungen leichter geworden – trotz des großen Wachstums. „Ich halte Rücksprachen mit anderen am liebsten persönlich“, so Geißler. Statt zum Telefon greifen zu müssen, trifft er seine neuen Kollegen nun direkt in der Lackiererei oder im Karosseriebau.

Mehr als 100 000 Bewerbungen

Der Andrang auf die gewerblichen Arbeitsplätze ist gewaltig. Von 2011 bis 2015 erhält Porsche in Leipzig mehr als 100 000 Bewerbungen. Headhunter helfen dabei, Führungspersonal und seltene Spezialisten, beispielsweise mit Karosseriebauerfahrung, zu finden. Die Personaler achten neben fachlichen Qualifikationen auch auf persönliche Kompetenzen wie Teamorientierung und Faszinationsfähigkeit. „Unser Ziel ist eine hundertprozentige Passung“, so Althoff. Die Bewerber sollen zu Porsche passen – und die Belegschaft soll eine ausgewogene Mischung aus jungen und älteren Mitarbeitern, Männern und Frauen, deutschen und internationalen Kollegen abbilden.

Ein Schlüssel für die Personalauswahl sind 220 Bewerbertage mit jeweils sechs bis zehn Jobkandidaten, die nach einem Telefoninterview eingeladen werden. Sie absolvieren fachspezifische Übungen, halten Präsentationen und bearbeiten Aufgaben in Teams. Der Tag endet für jeden Teilnehmer mit einem Bewerbungsgespräch. Die Entscheidung, wer schließlich genommen wird, ist nach diesem Kennenlerntag schnell gefällt. „Wir haben uns vom klassischen Prozess gelöst, um die Auswahl effizienter und treffsicherer zu gestalten und die gesuchten Kompetenzen abgleichen zu können“, erklärt Schöbel.

Trainingscenter für alle neuen Porscheaner

Als Beschleunigungsspur in den Job erweisen sich vier Trainingscenter im Karosseriebau, in der Lackiererei, der Logistik und der Montage. An nachgebildeten Arbeitsplätzen in den jeweiligen Gewerken lernen alle neuen Porscheaner zu ihren Startterminen Basis- und Produktionsfertigkeiten – von der korrekten Nutzung der Akkuschrauber und der Lackierpistolen über Fehlererkennung in Materialien bis zur ergonomisch besten Körperhaltung. Dabei zeigt sich, dass in Einzelfällen auch ein fachspezifischer Exot wie ein Konditor beste motorische Fähigkeiten für den Job in der Auto-Produktion mitbringt.

Berater Thomas Scheib von Porsche Consulting ist mit der Entwicklung des Qualifizierungskonzepts betraut. Er sagt: „Durch die Nähe zum tatsächlichen Prozess – räumlich, aber vor allem bezüglich der Arbeitsschritte – werden die Mitarbeiter in den Trainingscentern zielgerichtet auf ihren Einsatz vorbereitet.“ Sie sollen über einen standardisierten Wissensstand verfügen, um den hohen Qualitätsanspruch und den stabilen Anlauf der Serienproduktion zu gewährleisten.

Personalfluktuation beträgt nur gut ein Prozent

Der Plan geht auf: Ende 2013 legt der Macan einen der besten Produktionsanläufe in der Geschichte des Volkswagen-Konzerns hin. „Wir haben unsere Lektionen gelernt“, sagt lthoff. „Wir wissen heute: Entscheidend ist der methodische Ansatz, der Masterplan – wie bei einem Engineering-Projekt.“ Die neu entwickelten Tools bei der Rekrutierung und Qualifizierung helfen dem Werk auch beim weiteren Wachstum, etwa bei der Erweiterung um 400 Ingenieure und 540 Werker für die nächste Generation des Panamera. Das Team ist heute in der Lage, durchschnittlich binnen 40 Tagen Fachleute unter Vertrag zu nehmen, die gut zum Unternehmen passen. Die Personalfluktuation bei Porsche Leipzig beträgt nur gut ein Prozent. „Unser Aufwand ist zwar enorm“, sagt Althoff, „aber wir werden durch zufriedene Mitarbeiter belohnt.“

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