Wer ist die Nummer eins? Der Erfolg eines Unternehmens wird auch daran gemessen, ob es mehr verkauft oder höhere Renditen erwirtschaftet als die Konkurrenz. Umso erstaunlicher ist es auf den ersten Blick, dass Konkurrenten immer häufiger zusammenarbeiten – in vielen Branchen. Der Wirtschafts- und Sozialgeograf Prof. Dr. Johannes Glückler erforscht an der Universität Heidelberg solche Kooperationen und kommt dabei zu dem Ergebnis: „Konkurrenten können voneinander profitieren.“ Dazu müssen sie noch nicht einmal direkt zusammenarbeiten. Schon die räumliche Nähe reicht aus, um Vorteile im Wettbewerb zu generieren.

Kooperation trotz Konkurrenz

Bestes Beispiel dafür ist das kalifornische Silicon Valley. Hier sind auf engem Raum die Weltmarktführer der IT-Branche konzentriert und es hat sich ein Geist gebildet, der das Wachstum und die Innovationsfähigkeit der ansässigen Firmen zu beschleunigen scheint.

Fragt man Johannes Glückler nach der Erklärung, bezieht er sich auf den Ökonomen und Harvard-Professor Michael E. Porter, der den Begriff des „rivalisierenden Lernens“ geprägt hat. „In einem geografischen Cluster tauschen die Akteure Ideen aus – kooperativ durch Interaktion und auch kompetitiv durch Beobachtung und Nachahmung. Diese Ideen zirkulieren, sie werden neu kombiniert. So entsteht ein permanentes, rivalisierendes Voranschreiten, das Innovationen hervorbringt“, so Glückler.

Cluster gab es aber schon lange vor dem Erfolgsbeispiel des Silicon Valley, und nicht nur in der Industrie. Ein Beispiel: Rund drei Viertel der italienischen Eismacher in Deutschland kommen aus einem kleinen Bergtal in den Dolomiten, dem Val di Zoldo in der Provinz Belluno. Jeden Winter kehren die meisten von ihnen dorthin zurück, und die weltgrößte Speiseeis-Messe Mostra Internazionale di Gelato Artigianale (MIG) findet alljährlich in Longarone, einer Kleinstadt am Eingang zum Val di Zoldo, statt.

Reiner Zufall oder bewusste Entscheidung?

Die beiden Beispiele – Silicon Valley und Val di Zoldo – werfen die Frage auf: Wie kommt es zu derartigen Clustern? Prof. Glückler: „Dass sich ähnliche Unternehmen am gleichen Ort ansiedeln, ist kein außergewöhnliches Phänomen, sondern der Normalfall. Schließlich ist es viel unwahrscheinlicher, dass dieselbe Industrie parallel auch noch an einem anderen Ort entsteht und floriert.“

Im Val di Zoldo mag eine Rolle gespielt haben, dass ein „Pionier“ in einer armen Region Unternehmergeist und eine gute Geschäftsidee hatte und Familie und Freunde ihm folgten. Oft machen sich auch Mitarbeiter eines Unternehmens im selben Aufgabenfeld selbstständig – und schon gibt es zwei. Fachwissen wird von Generation zu Generation weitergegeben, Ausbildungs- und Studiengänge entstehen, und in der Folge sind Nachwuchstalente wieder am gleichen Ort zu finden – etwa im Silicon Valley, dessen Unternehmen vom Wissenstransfer mit der Stanford-Universität geprägt sind.

Natürliche Ressourcen, gute Transportwege und Nähe zu den Absatzmärkten tragen ebenfalls dazu bei, dass sich Cluster bilden – zum Beispiel in der Region Ostwestfalen-Lippe in Nordrhein-Westfalen. Alle drei Faktoren sprachen seinerzeit dafür, genau dort Möbel zu produzieren. Zwei von drei in Deutschland gebauten Küchen kommen heute aus dieser Region.

Vertrauen minimiert Reibungsverluste

Glückler unterscheidet zwischen diesen natürlich gewachsenen regionalen Clustern und bewusst eingegangen Allianzen. In Ostwestfalen-Lippe treten beide Formen zusammen auf. Die Küchenhersteller dort stehen zwar im Wettbewerb miteinander, aber sie kooperieren auch in klar definierten Bereichen. In der historisch gewachsenen Infrastruktur haben sie Synergieeffekte erkannt und die „Marketinggemeinschaft A30 Küchenmeile“ ins Leben gerufen.

Die 29 Unternehmen, die dem Verein angehören, repräsentieren zwei Drittel des Gesamtumsatzes der deutschen Küchenmöbelindustrie und laden jedes Jahr im September ihre Industrie- und Handelspartner auf die „A30 Küchenmeile“ ein – das sind Hausmessen und Veranstaltungen an einem gemeinsam festgelegten Termin. Kunden und Geschäftspartner können an einem Tag auf engem Raum entlang der Autobahn A 30 Unternehmen wie Häcker Küchen, Miele, Nobilia, Poggenpohl und Rational besuchen.

Warum arbeiten die Konkurrenten Hand in Hand, und das Jahr für Jahr? Karsten Bäumer, Marketingleiter der Häcker Küchen GmbH & Co. KG: „Gemeinsam erreichen wir einen größeren Interessentenkreis – davon profitieren am Ende alle. Darüber hinaus zeigen wir dem Handel geballt die Kompetenz der deutschen Küchenmöbelindustrie und werben somit gemeinsam für die Branche beziehungsweise für die Einbauküche ,made in Germany‘.“ Für Johannes Glückler ist diese Art der Zusammenarbeit nur logisch: „Zu den Vorteilen eines regionalen Clusters gehört auch die Nutzung von gemeinsamer Infrastruktur.“ Als weiteren Vorteil von regionalen Clustern – neben Innovations- und Effizienzgewinnen – nennt er eine erhöhte Verlässlichkeit: „Das Vertrauen in Partner, die man kennt, minimiert Reibungsverluste und erleichtert die Zusammenarbeit.“

„Netzwerke sind Chancenpoole“

Ein Beispiel dafür findet sich in Velbert und Heiligenhaus, zwei Kleinstädten zwischen Düsseldorf und Essen mitten in der deutschen „Metallregion“ Rhein-Ruhr. Hier haben zahlreiche Hersteller von Schließanlagen ihren Sitz: globale Automobilzulieferer wie Huf, Kiekert und Witte, renommierte Türtechnikhersteller wie BKS sowie viele kleinere Spezialisten und ihre Zulieferer. Sie beschäftigen allein in der Region rund 15 000 Mitarbeiter, und in ihrem Cluster, der „Schlüsselregion“, arbeiten 170 Unternehmen und Verbände zusammen. Dieser Verein veranstaltet Kongresse, er lädt zu Vorträgen ein, hat ein Ausbildungsportal ins Leben gerufen und zwei Hochschulen in die Region geholt, die mit den Mitgliedsunternehmen kooperieren. Thomas Kalmbach ist geschäftsführender Gesellschafter eines Gießereiunternehmens in Velbert und arbeitet aktiv im Verein mit: „Natürlich muss am Ende jedes Unternehmen für sich Gewinne erzielen. Aber wir profitieren davon, dass wir miteinander sprechen, Informationen austauschen und voneinander lernen.“

Johannes Glückler forscht seit Jahren zu solchen Konglomeraten. Er weiß: „Netzwerke sind Chancenpoole und ihr Erfolg beruht auf Offenheit und Kooperation.“ Zwar kämen die Vorteile oft in erster Linie den großen Partnern eines Netzwerks zugute. Aber: „Wer wirklich profitieren könnte – viel stärker als er das im Moment macht –, das ist der deutsche Mittelstand. Er hat häufig nicht die Management-Kapazitäten, um außerhalb der Unternehmensgrenze professionell zu agieren und zu kooperieren.“ Dabei ist der Nutzen sogar wissenschaftlich belegt: „Empirische Studien zeigen, dass kleine und mittlere Unternehmen, die sich in solchen Verbünden engagieren, geringere Insolvenzrisiken erleiden und bessere Finanzierungsmöglichkeiten genießen als Unternehmen, die auf sich allein gestellt sind.“

Die Schattenseite von Clustern

All diese Argumente sind auch weltweit in den Ministerien bekannt und ein Grund dafür, dass Cluster häufig staatliche Förderung genießen. In China gehört die Implementierung von Riesenclustern, beispielsweise für die Schuhindustrie, zum Wirtschaftsprogramm. Ein Risiko steckt dabei in der einseitigen Entwicklung einer Region – vor allem dann, wenn Kostenvorteile im Vordergrund stehen. Johannes Glückler: „Cluster ziehen ihre Wettbewerbsvorteile aus der fortlaufenden Innovativität und eben nicht aus der Kostenersparnis.“ Sonst besteht die Gefahr der Abwanderung, wenn die Fördermittel auslaufen. Die Textilindustrie ist, so Glückler, hierfür ein Negativbeispiel: „Wenn die Verlagerungskosten gedeckt sind, zieht die Karawane einfach weiter, wie einst von Portugal nach China und gegenwärtig von Bangladesch nach Myanmar.“

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