Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihr erstes Auto?

Johann Jungwirth: Natürlich, das erste eigene Auto war für mich ein Meilenstein in meinem Leben. Ich habe gleich mit 18 Jahren meinen Führerschein gemacht und mir einen roten Golf TDI gekauft. Einsteigen und fahren, wohin ich will – das war ein unglaubliches Gefühl von Freiheit, das ich sehr genossen habe.

Werden künftige Generationen dieses Gefühl so überhaupt noch kennen?

Ich glaube diejenigen, die nach uns kommen, werden anders darüber denken. Die nächste Generation wird uns wohl eher dafür bedauern, dass ihre Eltern und Großeltern noch selbst fahren mussten. Für sie wird es ganz selbstverständlich sein, die Zeit, die sie unterwegs verbringen, für Schöneres und Nützlicheres zu verwenden als Lenken und Pedale zu bedienen. Die autonom fahrenden Autos werden deshalb auch ganz anders gestaltet sein, als das heute der Fall ist.

Inwiefern ändert sich die Gestaltung?

Das Interieur ist das neue Exterieur. Im Innenraum spielt die Musik – bei manchen sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Fahrzeug kann künftig ein Proberaum, ein Fitnessstudio, eine Lounge, ein Kinosaal oder ein Büro sein. Wie ein Zimmer im Haus ist das Innere völlig frei gestaltbar. Das sehe ich als Riesenchance für unsere Marken, gerade im Premiumsegment.

Sie glauben also nicht, dass der Fahrspaß zu kurz kommt, wenn das Auto selbst fährt?

Gegenfrage: Macht es Ihnen Spaß, im Stau zu stehen? Es gibt unterschiedliche Nutzungsarten. Für die Mobilität im Alltag macht es Sinn, einen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln zu haben. Autonom fahrende Fahrzeuge werden da eine große Rolle spielen. Für Menschen, die selbst am Steuer sitzen wollen, wird es auch Angebote geben. Ich finde, die Kundenerlebniszentren wie die Porsche Experience Center können ein Vorbild dafür sein, wie Fahrspaß in Zukunft erlebt werden kann.

Und wie sieht der Verkehr in der Stadt der Zukunft, sagen wir im Jahr 2030, aus?

Es wird Unterschiede geben je nach Region. In manchen Städten werden achtzig Prozent des Verkehrs über Mobility-as-a-Service, also Mobilität als Dienstleistung auf Abruf angeboten werden. Die Masse des Transports von Menschen und Waren von A nach B wird über diese großen Flotten an selbstfahrenden Fahrzeugen, die elektrisch angetrieben werden, erfolgen. Sie machen die Städte leiser durch ihren fast lautlosen Elektroantrieb. Das Fahren wird sicherer und bequemer. Aus Effizienzgesichtspunkten – was die Anzahl der Autos und was die Reduktion von Staus angeht – ist das schlichtweg die richtige Lösung. Ich glaub auch, dass Städte in Zukunft viel mehr aktiv bestimmen werden, wie der Verkehr in der Stadt aussehen soll und wie er sich aufteilt auf Konzepte wie Ride-Hailing, Ride-Pooling und den öffentlichen Nahverkehr. Wahrscheinlich wird es sogar Städte geben, die zu hundert Prozent auf Flotten von selbstfahrenden, elektrischen Fahrzeugen setzen werden.

Weniger Staus durch weniger Autos – ist damit das Geschäftsmodell von Volumenherstellern wie Volkswagen bedroht?

Das aktuelle Geschäftsmodell wird sich verändern müssen, das stimmt. Aber es bleibt insgesamt zukunftsfähig. Nehmen Sie zum Beispiel Berlin. Wir haben in einer Studie ermittelt, dass man dort nur etwa ein Siebtel der heutigen Fahrzeugflotte bräuchte, wenn die Stadt zu hundert Prozent auf Mobilität als Dienstleistung umstellen würde. Diese Fahrzeuge wären aber quasi dauernd im Einsatz und würden nach etwa zwei Jahren ihr Lebensende erreichen und ersetzt werden. Wenn die Fahrzeuge sieben bis acht Mal öfter ausgetauscht werden als heute, dann kompensiert das die Reduktion der absoluten Anzahl. Und es kommen auch neue Kundengruppen hinzu: Menschen mit Einschränkungen, Senioren, Blinde, Kinder – in Summe wird der Bedarf an Automobilen nach oben gehen. Die Herstellungskosten und somit der Preis für die Endkunden werden aber sinken. Das heißt, es wird sehr attraktiv werden, vom öffentlichen Nahverkehr auf Mobilität auf Knopfdruck als Dienstleistung umzusteigen. Trotzdem wird es auch in Zukunft Leute geben, die sich ein eigenes Auto – oder sogar mehrere – leisten.

Johann Jungwirth, Leiter Mobility Services des Volkswagen-Konzerns, 2018, Porsche AG
Ideen sofort in Prototypen verwandeln: Im Raum 10 X in der IT-City von Volkswagen in Wolfsburg


Viele werden sich eben kein eigenes Auto mehr kaufen – wie sieht denn dann die Kundenbeziehung der Zukunft aus?

Ganz klar: Plattformen sind der Schlüssel dazu. Wir wollen um unsere Produkte ein hochattraktives Ökosystem bauen, in dem die Menschen Mehrwert finden und es deshalb gar nicht mehr verlassen wollen. Apple hat ein Ökosystem mit sehr hohen Austrittsbarrieren. Wer die Vorteile der Produkte nutzen will, setzt am besten konsequent auf diesen einen Anbieter. So ähnlich sehe ich das bei uns auch. Es gibt bereits die digitale Plattform RIO für Volkswagen Truck and Bus, MAN, Scania und Volkswagen Nutzfahrzeuge. In diesem B2B-Ökosystem können Spediteure eine komplette Flotte und ihre Transportdienstleistungen digital managen – auch Fahrzeuge von Wettbewerbern. Das ist ein Riesenvorteil. Es funktioniert auch deshalb so gut, weil die Hardwareschnittstelle für die sogenannte Telematik-Box von Trucks standardisiert ist. Wenn ein Spediteur bisher verschiedene Systeme für die Auftragsverwaltung und Überwachung seiner Flotte nutzt, kann er einfach eine RIO-Box in einen Lkw einer anderen Marke einbauen und komplett in unserem System arbeiten. Für unsere acht Pkw-Marken brauchen wir auch so eine Plattform. Daran arbeiten wir jetzt.

Welchen Vorteil haben die Kunden davon?

Für sie wird alles so einfach und bequem wie nur möglich. Ich gebe Ihnen ein Beispielszenario: Wenn Sie sich innerhalb unseres Ökosystems bewegen und sich für das nächste Fahrzeug der gleichen Marke oder für ein Konzernprodukt entscheiden, entfallen die zwei Stunden Konfiguration im Fahrzeug, denn in Ihrem Profil sind Ihre Präferenzen und Einstellungen gespeichert – vom Sitz über die Klimaanlage bis hin zur Ambientebeleuchtung. Sogar im Mietwagen. Der intelligente Sprachassistent kennt den Verlauf der bisherigen Konversationen und greift über Ihren digitalen Kalender auf das nächste Fahrziel zu. Und das alles passiert schon, während Sie noch auf das Auto zugehen. Mit Machine Learning und Deep Learning nehmen wir unseren Kunden diese ganze Last ab, die sie heute noch für ein notwendiges Übel halten. Und natürlich brauchen sie sich auch nicht ums Parken, Laden oder Waschen des Autos zu kümmern. Ich könnte mir übrigens gut vorstellen, dass wir unser Netz von Abertausenden Händlern in den Städten einbinden, um eine dichte Infrastruktur an Service-Hubs zu schaffen für unsere Flotten von selbstfahrenden Fahrzeugen für Mobilitätsdienstleistungen.

Was muss noch passieren, bis das alles Realität wird?

Das ist natürlich ein massives Vorhaben. Wir haben in der Vergangenheit die Hardware perfektioniert, darin sind wir wirklich top. Jetzt geht es darum, Software und Services auf das gleiche Niveau zu heben. Das bedeutet, dass wir im gesamten Konzern originär digitale Organisationen aufbauen müssen, wie wir es auch bereits tun. Wichtig ist, dass diese Einheiten wirklich als Unternehmen für Software und Services geboren sind. Als echte Digitalunternehmen brauchen sie von vornherein die richtige Kultur und vom Programmieren von Software und Plattformen über künstliche Intelligenz bis hin zu Quantenrechnern die richtigen Kernkompetenzen. Parallel dazu brauchen wir auch eine Transformation der Kernorganisation.

Zum Schluss: Warum sind in diesen Räumen eigentlich alle Decken schwarz?

In diesem Bereich der IT-City wird nach dem Vorbild des Silicon Valley gearbeitet. Zum Beispiel sitzen alle zusammen auf einer offenen Kollaborationsfläche, auch das gesamte Leitungsteam. Diese Nähe schafft Geschwindigkeit in der Kommunikation und Entscheidungsfindung. Daneben gibt es Räume, in denen man diskutieren oder in Ruhe telefonieren kann. Es geht darum, neue Ideen zu finden. Deshalb gefallen mir auch unsere schwarzen Decken – sie erinnern an die Unendlichkeit des Nachthimmels und wirken dadurch viel höher.

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