Es ist noch nicht lange her, da führte ein Versagen der Nieren rasch zum Tod. Das Doppelorgan entgiftet unseren Körper und hält das Blut sauber. Wie lebenswichtig diese Funktion ist, macht sich oft erst bemerkbar, wenn sie ausfällt. Erst in den 1960er-Jahren begann sich in Deutschland die Hämodialyse als Behandlung zu etablieren. Heute garantiert sie einer wachsenden Zahl nierenkranker Patienten eine hohe Lebensqualität: vor allem dank einer technischen Perfektion der künstlichen Blutwäsche.
Die Zahl der Dialysepatienten und somit der benötigten Geräte steigt
„87 000 Patienten in Deutschland müssen regelmäßig zur Dialyse“, sagt Dr. Christoph Sahm. Er leitet das Schweinfurter Werk von Fresenius Medical Care (FMC). Der Dax-Konzern ist der führende Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für Patienten mit chronischem Nierenversagen. Jedes zweite weltweit gefertigte Dialysegerät kommt aus dem Werk in Schweinfurt. Dort entwickeln und fertigen rund 1200 Mitarbeiter Spezialapparate für die Hämo- oder Peritonealdialyse.
„Von den 2,6 Millionen Dialysepatienten weltweit werden mehr als 50 Prozent mit unseren Geräten behandelt“, erklärt der promovierte Physiker. Und die Zahl der Dialysepatienten und somit der benötigten Geräte steigt: In aufstrebenden Schwellenländern verlangen die Menschen nach besserer medizinischer Versorgung – und wollen Zugang zu Dialysebehandlungen. China etwa setzt sich zum Ziel, ab 2020 jedem nierenkranken Bürger eine Dialyse zu ermöglichen; für FMC zählt das Land zu den wichtigsten Wachstumsmärkten.
Hoher Kostendruck
Gleichzeitig steigt der Kostendruck im Gesundheitssektor. Ein Dialysepatient muss drei Mal pro Woche zur Blutwäsche. Jede Behandlung dauert bis zu fünf Stunden. Dazu kommen die Ausgaben für Klinikunterhalt und Krankentransport: Für die zunehmend klammen staatlichen Gesundheitssysteme sind Dialysepatienten teuer. Also wird intensiv versucht, die Behandlungskosten zu senken. „Mitunter bedarf es nur des Federstrichs eines Ministers, und die Erstattungsraten für die Hersteller werden um zehn Prozent gesenkt“, erklärt FMC-Werksleiter Sahm. „Das wirkt sich direkt auf unseren Umsatz und Gewinn aus.“
Beispiel USA: Dort wurden trotz der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama die Erstattungen für die Dialyseversorgung mittelfristig um zehn Prozent gesenkt. Das drückte bei Gerätehersteller Fresenius Medical Care auf die Marge. Hinzu kommt der Preiskampf unter den Medizintechnikherstellern. Aus Asien etwa drängen neue Anbieter auf den Markt, die die Geräte der Konkurrenten mitunter einfach kopieren.
Gesundheit geht vor – auch die wirtschaftliche. Für Fresenius Medical Care ergibt sich daraus eine große Herausforderung: Um dem weltweit wachsenden Bedarf an Dialysegeräten zu begegnen, will das FMC-Werk in Schweinfurt die Produktionsmenge bis 2020 verdoppeln. Gleichzeitig sollen die indirekten Kosten pro Dialysegerät um die Hälfte gesenkt werden, um auf stagnierende Budgets bei den Auftraggebern zu reagieren. Zum Erreichen dieses ambitionierten Ziels holte FMC die Experten von Porsche Consulting an Bord.
Nach Produktion und Logistik nahmen die Berater vor allem die indirekten Bereiche wie IT, Personal, Einkauf oder Customer Service unter die Lupe. Die indirekten Kosten sind ein wichtiger Posten auf der Ausgabenseite. Steigt die Produktion, müssen diese Bereiche mitwachsen, lautet ein unmittelbarer Reflex. Für die Porsche-Leute gab es keine Denkverbote. Wie stark müssen die indirekten Bereiche wirklich wachsen? Wo ist effizienteres Arbeiten möglich? „In jeder Nische wurde nach Potenzialen gefahndet, um unnötige Kosten einzusparen und die Produktivität zu steigern“, erläutert Christoph Sahm.
Fokus auf Kernkompetenzen
Indirekte Bereiche schaffen die Rahmenbedingungen dafür, dass die Produktion reibungslos funktionieren kann – an diesem Anspruch wurde nicht gerüttelt. Doch gemeinsam mit den Porsche-Beratern wurden die Kernkompetenzen dieser Abteilungen ausgelotet. Aufgaben, die von Dienstleistern kostengünstiger als im eigenen Haus erledigt werden können, aber in vergleichbarer Qualität, werden ausgelagert. Eigene Kompetenzbereiche hingegen werden gefördert und effizient aufgestellt. Beispielsweise wurde eine weltweite Steuerung von Produktanpassungen von der Entwicklung bis ans Montageband eingeführt. Änderungsvorschläge werden über ein IT-System zentral verwaltet. So entfallen langwierige und ressourcenintensive Schleifen, bei denen Anträge nacheinander von allen betroffenen indirekten Bereichen wie Finanzen, Qualität oder Einkauf geprüft werden müssen.
Im Produktentstehungsprozess will Fresenius Medical Care künftig Mitarbeiter der verschiedenen Fachbereiche frühzeitig in die Entwicklung einbeziehen. Sogenannte Simultaneous Engineering Teams arbeiten noch enger interdisziplinär zusammen und stellen so sicher, dass alle Anforderungen an das Produkt von Beginn an Berücksichtigung finden. Das hilft, aufwendige Änderungen oder Nachbesserungen von in Serie gegangenen Produkten zu vermeiden, und entlastet ebenfalls die indirekten Bereiche.
Porsche Consulting entwickelte ein Simulationsmodell
Unter dem Strich konnten bei FMC so die Voraussetzungen geschaffen werden, um künftig tatsächlich 50 Prozent der Overheadkosten pro Dialysegerät zu sparen. „Wachsen ohne zu wachsen, um den Wettbewerbsvorsprung weiter auszubauen – das ist das zentrale Vorhaben“, unterstreicht Dr. Roman Hipp, Partner bei Porsche Consulting. Zur strategischen Orientierung entwickelte Porsche Consulting ein Simulationsmodell, das wie Leitplanken auf einer Autobahn funktioniert. Damit kann Fresenius Medical Care verschiedene Szenarien bis zum Jahr 2020 berechnen – vom bestmöglichen über den moderaten bis zum ungünstigsten Verlauf. Berücksichtigt werden Faktoren wie Lohnsteigerungen, Währungs- und Preisschwankungen und die tatsächlich produzierte Zahl an Geräten.
Das Modell hilft FMC, in jedem Fall in der Spur zu bleiben. Je nach Marktlage und Stückzahlentwicklung kann flexibel agiert werden. „Wir können jetzt genau sehen, an welcher Stelle wir Personal aufbauen und reduzieren oder von einem Bereich in einen anderen transferieren müssen, um unser Wachstum zu bewältigen“, so Sahm. „Diese Transparenz ermöglicht es Fresenius Medical Care, die Fachkräfte in indirekten Bereichen dort einzusetzen, wo sie benötigt werden.“ Die Nieren galten schon im Altertum als Sitz des Gemüts, als Ort der innersten Gefühle. Jeder kennt die Redewendung „Das geht mir an die Nieren“. FMC in Schweinfurt beweist nun auch beim Wachstum viel Gespür für das richtige Maß.
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting - Das Magazin", Ausgabe 16
Autor: Haiko Prengel // Fotos: Olaf Hermann