Zukunftsforscher, Ökonomen und Unternehmer sind sich einig: Die Digitalisierung wird die Wirtschaftswelt schneller und tiefgreifender verändern als die industrielle Revolution vor 150 Jahren. Bis 2020 sind entscheidende Neuerungen zu erwarten, die auch grundlegende Industriestrukturen betreffen und damit viel mehr Akteure als die heutigen „Digital Player“.
Hochflexible Newcomer – oft aus anderen Branchen – nutzen die dynamische Entwicklung der Informationstechnologien geschickt und stellen so etablierte Wettbewerber ins Abseits. Wer heute qualitativ hochwertige Hardware für die Industrie produziert, konnte sich als Top-Marke noch gestern auf genügend Nachfrage verlassen. Vielleicht schon morgen fehlt ihm jedoch der Schlüssel zum Kundenzugang. Der liegt nämlich beim Besitzer der digitalen Plattform, die Nachfrage und Angebot automatisch zusammenbringt. Für die Old Economy kommt es deshalb jetzt darauf an, nicht in Trägheit zu verfallen, sondern die Kombination aus Erfahrung und Historie mit neuen digitalen Möglichkeiten als Chance zu verstehen. Porsche Consulting stellt die Trends der Industrie 4.0 vor:
Revolution
Next-Shoring
Die Nachfrage nach individuellen Produkten steigt. Gleichzeitig ergeben sich Kostenvorteile durch zunehmende Automatisierung und neue Technologien wie 3D-Druck. Das führt zur Trendwende: Die Produktion rückt aus Niedriglohnländern zurück in die lokalen Absatzmärkte und nahe an den Kunden heran. Dort werden technisches und lokales Know-how kombiniert. Die kürzeren Wege sorgen für eine schnellere Lieferung an den Kunden und führen zu einer Entlastung der Umwelt.
Co-Creation und Concierge-Prinzip
Unternehmen können sich über den gesamten Lebenszyklus der gegenseitigen Beziehung hinweg mit ihren Kunden vernetzen, deren Bedürfnisse so besser verstehen und nach dem Concierge-Prinzip darauf eingehen. Kunden beteiligen sich beispielsweise bereits an der Produktentstehung (Co-Creation) oder individualisieren das gewünschte Produkt über Co-Customizing-Angebote. In der Besitzphase liefern die Nutzungsdaten aufschlussreiche Informationen, auf deren Basis Unternehmen gezielt zusätzliche Dienste anbieten können. So wird die heute übliche Transaktion zwischen Unternehmen und Kunden zur permanenten Interaktion – zum Vorteil und Nutzen beider Seiten.
Kapazitätsbörsen
Auf digitalen Marktplätzen kann jedes Unternehmen in kürzester Zeit Zulieferer für Einzelaufträge suchen und finden, Kapazitätsspitzen ausgleichen oder in Zeiten geringer Auslastung die eigenen Leistungen anbieten. So entsteht in der Industrie beispielsweise mit dem sogenannten Farming ein neues Geschäftsmodell für die dezentrale Produktion: Maschinenparks arbeiten flexibel für verschiedene Auftraggeber. Aber auch andere Dienste wie Konstruktion oder Logistik können hinzugebucht werden, wenn die eigenen Ressourcen ausgeschöpft sind.
Evolution
Intelligente Auftragsabwicklung
In einem vernetzten System aus Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern organisiert ein digitaler Auftrag selbstständig alles, was für seine Ausführung benötigt wird. Bereits während der Kunde den Auftrag konfiguriert, wird der entsprechende Bedarf mit allen betroffenen internen und externen Ressourcen von Konstruktion, Lieferanten, Fertigung und Montage abgeglichen und ein Liefertermin unmittelbar ermittelt. Bei der Bearbeitung „zieht“ sich der Auftrag den benötigten Konstrukteur, den richtigen Lagerplatz, die verfügbare Werkzeugmaschine und bucht den Transport zum Kunden.
Autonome Regelkreise
Daten allein machen Produkte und Prozesse in Industrieunternehmen noch nicht besser. Aber sie führen zu Qualitätssprüngen und verbessern Kosten und Liefertreue, wenn die vielen Sensoren und Messinstrumente ihre produkt-, prozess- und anlagenspezifischen Informationen in ein unternehmensweites System einspeisen. Prozessabläufe lassen sich so lückenlos überwachen, gezielter steuern und verbessern; Effizienz und Qualität steigen deutlich. Beispiel: In einer Aluminiumgießerei konnten Ausschuss und Nacharbeit um 80 Prozent reduziert werden. Für maximale Geschwindigkeit sind geschlossene Regelkreise notwendig, die ein System autonom steuern und vollautomatisch Maßnahmen einleiten.
Logistikroboter
Die hautnahe Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ohne trennenden Schutzzaun verändert den Blickwinkel in der Logistik. Künftig wird nicht mehr der Mensch das Material holen, um es für die Produktion zu kommissionieren, stattdessen bringen Roboter dem Kommissionierer die richtigen Teile. Oder die Roboter liefern gleich zum Verbauort. Der Versandhändler Amazon hat das bisherige Prinzip „Mitarbeiter zu Ware“ bereits umgedreht in „Ware zu Mitarbeiter“. In seinen Lagerhäusern fahren motorisierte Regale nach Bestellungen automatisch zu den Mitarbeitern, die die gewünschten Produkte nur noch entnehmen und verpacken.
Info
Text erstmalig erschienen in „Porsche Consulting - Das Magazin", Ausgabe 17
Text: Gerald Scheffels / Maren Eitel // Foto: Porsche Consulting