Spanisch oder deutsch? Wir überlassen dem Mann aus Mexiko die Sprachwahl, als wir ihn zum Gespräch im Restaurant „Christophorus“ im Stuttgarter Porsche-Museum treffen. „Gerne deutsch. Mit meinen Eltern spreche ich deutsch, mit meinen Geschwistern spanisch. Obwohl ich in Mexiko aufgewachsen bin, denke ich sogar oft auf Deutsch – zum Beispiel, wenn ich zähle.“ Der Chef des mexikanischen Automobilzulieferers Bocar, Marcus Baur, pendelt zwischen den Welten. 1967 gründete der aus dem süddeutschen Esslingen nach Mexiko-Stadt emigrierte Vater Friedrich Baur, heute Frederico genannt, die Firma, die damals Vergaser und Wasserpumpen hergestellt hat.

Eines der ersten Produkte von Bocar war ein Vergaser für den sogenannten Mexiko-Käfer, eine Version des Volkswagen Typ 1, der von 1967 bis 2003 bei Volkswagen de México in Puebla gebaut wurde. Heute produziert die Bocar Group in zehn Werken in Mexiko hochwertige Präzisionsteile und komplexe Baugruppen aus Aluminium und Kunststoff für automobile Anwendungen. Der Spezialist Bocar beherrscht neben anderen Gießverfahren auch den Druckguss, um beispielsweise Strukturteile für Karosserien zu gießen und sie anschließend hochpräzise auf Mehrachsen-CNC-Zentren zu bearbeiten. Zu den Kunden zählen namhafte Automobilhersteller wie Volkswagen, Audi, Daimler, BMW, Toyota, Nissan, Ford, Chrysler und General Motors, außerdem große Zulieferer wie Bosch, Continental und Valeo.

Profit durch deutsche Prägung

Marcus Baur erklärt, warum das Familienunternehmen derart gut verankert ist: „Als 1994 das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA , Kanada und Mexiko in Kraft trat, waren die wenigsten mexikanischen Unternehmen in puncto Qualität und Prozesskompetenz auf den internationalen Wettbewerb vorbereitet. Wir haben damals von unserer deutschen Prägung profitiert und konnten auch deshalb in den vergangenen 20 Jahren stark wachsen.“ Das unternehmerische Denken und Handeln nach deutschem Vorbild bewahrt und pflegt Bocar bis heute: „Jedes unserer Werke könnte genauso hier in Zuffenhausen stehen“, sagt Baur und blickt nach draußen auf die Gebäude des Porsche-Werks.

Die deutsche Prägung ist Teil der Erfolgsgeschichte des mexikanischen Unternehmens. Als junger Mann ging Baur zum Maschinenbaustudium in die Heimatstadt seines Vaters, nach Esslingen. „Ohne diese Zeit in Deutschland könnte ich unsere Firma heute vermutlich nicht so führen“, so der 48-Jährige. „Einige unserer wichtigsten Lieferanten sind in Deutschland und wir beziehen über den regen Austausch mit diesen Firmen auch teilweise unsere Prozesskompetenz.“ Für die Präzisionsfertigung von Aluminium- und Kunststoffteilen gilt bei Bocar ein kompromissloser Qualitätsanspruch, denn schon kleinste Abweichungen von den definierten Prozessparametern oder in der Werkzeugkontur führen zu fatalen Fehlern wie Lufteinschlüssen oder Oberflächenfehlern. Bocar bezieht Formen für Druckguss, Kokillenguss oder Spritzguss in erster Linie von Spezialisten aus Deutschland. „Wir haben auch deutsche Mitarbeiter auf Technikerebene, Fachleute für Gießen, Bearbeitung und Montage. Mit deutscher Expertise und mexikanischer Einsatzbereitschaft produzieren wir in Mexiko auf höchstem internationalem Niveau“, so Baur.

Firmenphilosophie: Sauberkeit, Ordnung und Disziplin

Doch Bocar bezieht nicht nur Kompetenzen aus Deutschland, sondern baut diese auch im eigenen Unternehmen auf: „Wir haben vor mehr als 40 Jahren ein Ausbildungsprogramm nach deutschem Muster eingeführt.“ In jedem Werk gibt es eine Lehrlingswerkstatt. 170 Lehrlinge werden aktuell zu Mechanikern, Werkzeugmachern oder Gießereitechnologen ausgebildet. Die meisten bleiben hinterher im Unternehmen. Zudem beherrscht seit Gründung des Unternehmens ein Dreiklang typischer Tugenden, die den Deutschen zugeschrieben werden, die Firmenphilosophie: Sauberkeit, Ordnung und Disziplin. Diese drei Dinge machen für Marcus Baur 50 Prozent des Erfolgs aus: „Wer sich darum keine Gedanken mehr machen muss, kann sich um die wirklich schwierigen Aufgaben kümmern.“

Und so verbindet Bocar das Beste aus beiden Welten. Das Wertegefüge des lateinamerikanischen Landes passe sehr gut zu dem Familienunternehmen, meint Baur. „Unsere langjährigen Mitarbeiter betrachten die Firma fast schon als Teil ihrer Familie und sind sehr loyal.“ Damit sei auch eine entsprechend große Verantwortung verbunden. „Wir verhalten uns beispielsweise bei Investitionen eher konservativ und achten auf eine solide Finanzbasis. Als inhabergeführtes Unternehmen können wir außerdem langfristiger denken als viele Wettbewerber.“ Das zahle sich am Ende immer aus.

„Vertrauen ist ein sehr wichtiger Faktor“

Langfristig angelegte Entscheidungen bedürfen jedoch einer besonderen Basis. Während in Deutschland und anderswo oft Verträge das Maß aller Dinge bilden, ist es in Mexiko ein anderes Wort: Vertrauen. Das gelte auch und gerade für die Zusammenarbeit mit den Beratern von Porsche Consulting, die vor zehn Jahren zum ersten Mal ein Projekt mit Bocar umsetzten. „Vertrauen ist ein sehr wichtiger Faktor“, so Baur. „Die Porsche-Berater haben sich das Vertrauen und die Akzeptanz unserer Mitarbeiter erarbeitet. Sie sind zwar immer noch externe Berater, die mit dem Blick von außen oft mehr sehen und bewegen können als interne, aber sie sind gleichzeitig voll akzeptiert, und das ist ein wichtiger Grundstein für den Erfolg.“

Seit 2008 sind Porsche-Berater durchgehend an verschiedenen Stellen im Unternehmen im Einsatz. Die umfassende Zusammenarbeit ermöglicht eine außergewöhnliche Durchdringung des Unternehmens. Stück für Stück wurden Optimierungen „von innen nach außen“ ausgeweitet, also vom Kern – der Produktion – auf weitere Ebenen, bis hin zur Strategie. In einem speziell auf Bocar zugeschnittenen Produktionssystem sind die Grundwerte des Unternehmens heute über konkrete Werkzeuge und Prozesse institutionalisiert. Einheitliche Produktionsabläufe in allen Werken des Automobilzulieferers sorgen für maximale Effizienz. Ein modernes Projektmanagement entlastet außerdem die Ingenieure und verschafft ihnen Freiräume für die Konzentration auf die Produkte. Diese werden regelmäßig hinsichtlich der Kosten überprüft und optimiert.

Hilfe zur Selbsthilfe

Mittlerweile sind für die Berater unterstützende Bereiche wie Einkauf und Vertrieb sowie strategische Fragen ins Blickfeld gerückt. Für die Strategie 2022 wurden bereits 2012 gemeinsam mit den Porsche-Beratern je drei Ziele für die Bereiche Kunde, Qualität und Mitarbeiter erarbeitet. „Diese langfristigen Ziele sind seitdem unverändert geblieben und jedes Jahr leiten wir daraus rund 15 konkrete Projekte ab, die sowohl die lang- als auch die kurzfristigen Ziele unterstützen“, so Baur. Getreu dem Anspruch, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, wurde bei Bocar ein Project Management Office unter Leitung von eigenen Mitarbeitern etabliert, das stetig auf das Erreichen der strategischen Ziele hinwirkt.

„Die Porsche-Berater kennen unser Unternehmen mittlerweile sehr gut und können uns deshalb sehr umfassend, fast schon ganzheitlich beraten“, so Baur. Insbesondere die Führungsmannschaft sei über die Jahre der Zusammenarbeit gereift und habe heute die Denkweise operativer Exzellenz verinnerlicht. „Wir sind zwar eine mexikanische Firma, aber wir richten uns an deutschen Standards aus. Porsche Consulting hilft uns dabei, dass wir uns damit messen können.“

Hohe Einsatzbereitschaft

Das Durchschnittsalter der mexikanischen Bevölkerung liegt bei unter 30 Jahren. Auch in den Bocar-Werken arbeiten viele junge Menschen. „Die Leute hier sind sehr begeisterungsfähig und zeigen hohe Einsatzbereitschaft“, so Oliver Kayser, Partner bei Porsche Consulting und seit der ersten Beratungsstunde bei Bocar am Start. Dadurch könnten viele Dinge schneller und unkomplizierter umgesetzt werden als anderswo. Optimierungen würden schon mal sprichwörtlich über Nacht realisiert. „Eine Tugend, an der wir noch arbeiten, ist die Nachhaltigkeit“, ergänzt Marcus Baur. „Porsche Consulting stellt mit regelmäßigen Audits sicher, dass wir immer weiter Fortschritte machen und nicht stehen bleiben oder gar Rückschritte machen. So sichern wir unsere Erfolge langfristig ab.“

Für Mexikos Automobilmarkt wird in den kommenden Jahren überdurchschnittliches Wachstum erwartet – Baur ist darauf vorbereitet und will seinen Wettbewerbern auch künftig immer einen Schritt voraus sein. Mittelfristig denkt der Firmenchef an eine Internationalisierung der Bocar-Produktion, um sich auch außerhalb des NAFTA -Raumes Standbeine aufzubauen. Bis in fünf Jahren soll das erste Werk außerhalb Mexikos eröffnet sein und mit denselben Prozessen funktionieren wie die Werke im Heimatmarkt.

Deutsch-mexikanische Erfolgsgeschichte

Die Verbindungen zu Deutschland wird Bocar jedoch aufrechterhalten. „Besonders bei der Produkt- und Prozesskompetenz schauen wir weiterhin nach Deutschland und bauen an unserem Standort für Verwaltung und Entwicklung bei Stuttgart zusätzliche Ressourcen auf“, berichtet Baur. Die deutsch-mexikanische Erfolgsgeschichte geht also weiter – und läuft und läuft und läuft. Wie der schwarze Volkswagen-Käfer, den Baur in der Museumsausstellung entdeckt: Bocar von heute ist mit der Firma seines Vaters, die damals den Vergaser produzierte, nicht mehr zu vergleichen. Und doch ist sie sich im Kern treu geblieben.

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